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Attwenger

FM4/Lukas Lottersberger

Mit Quetschen-Trap das Hier und Jetzt begranteln

Auch auf „drum“, ihrem neunten Album in 30 Jahren, bleiben sich Attwenger treu – und musikalisch wie inhaltlich radikal im Heute verwurzelt.

Von Rainer Springenschmid

Mit den ersten Beats sind alle Zweifel verflogen, die Zweifel, ob die Welt auch im Jahr 2021 – dreißig Jahre nach der ersten – noch eine neue Attwenger-Platte braucht. Ob sich das, was 1990 als Quetschenpunk begonnen und mit Gstanzlrap und Dialekt-Techno neue Dimensionen erreicht hat, was immer wieder geerdet wurde durch urbane Beats ebenso wie durch Blech und Blues, das global und lokal in eins zusammendenkt, ob sich das Attwengerische also immer noch zurechtfindet im Hier und Jetzt. Und dann wummert der Bass und die Hi-Hat flirrt und wir sind mit dem ersten Takt mittendrin in der Welt des Jahres 2021.

Es war natürlich Absicht, diese freshen Beats gleich an den Anfang zu stellen, meint Markus Binder im Interview. Und dann erzählt er von einem Konzert der Trap-Musikerin Leikeli47, das er vor ein paar Jahren in New York gesehen hat, von den Hi-Hats, die sich von der Bassdrum emanzipiert haben und auch dem Sprechgesang den Flow vorgeben, und die aus dem Rappen ein Trappen werden lassen.

er so und sie so und er so
warum bist du so und wieso i so
er so und sie so
owa normalerweis
is er eigentlich nie so
sie so und er so
sie sogd yes und er no
sie mog ned und er scho
und so geds dahi

„Es gibt auf dem Album 4, 5, 6 Songs, die diesen trappigen Sound haben, aber natürlich auf Attwenger-Style halt. I hör des irgendwo und setz des dann so um, wie i des gern moch – oder überhaupt zambring“, sagt Binder.

Der Rhythmus, der Beat und die Rhymes sind nach wie vor das Gerüst einer Attwengerplatte. Ebenso wie der Spaß am Tüfteln, am Basteln mit Sounds und Worten, Klängen und Bedeutungen, der nach einigen Jahren Livespielen, Konzerte Anschauen und einer Buchveröffentlichung wieder zurück ist.

Plattencover von Attwenger "drum": Riesiges rotes Objekt hinter einer Autobahnbrücke

Trikont

„drum“ von Attwenger ist bei Trikont erschienen

„I bin ned der Typ, der permanent am Beats Basteln is oder am Sounds kreieren. Das ruht dann auch wieder für ein paar Jahre, aber dann macht’s halt auch wieder Spaß,“ meint Binder, und Hans-Peter Falkner pflichtet ihm bei: „Nixtun is eh sehr super; um dann wieder mehr tun zu können, muss man ja vorher mal nix tun und abwarten, was passiert überhaupt im Kopf. Aber wir tun nie wirklich nix.“ Und Markus Binder amüsiert sich über die Musikjournalistenfloskel „Nach fünf Jahren Pause“ gebe es wieder ein neues Attwenger-Album. „Ja wann glaum die machen wir des Album?“ grinst er. „In der Pause!"

Wirklich Ruhe geben Attwenger nie, sie machen nur selten klassische Touren mit vielen Konzerten am Stück, dafür spielen sie im Durchschnitt jede zweite Woche irgendwo einen Gig. Das sei ja auch eine Art Fitnessprogramm, meint Markus Binder, das gehe in der Pandemie natürlich schon ab. Genauso wie das ständige Arbeiten am Live-Set. Das Programm, das 2015 nach dem letzten Album herausgekommen ist, war ganz ein anderes als das der wenigen Konzerte im Sommer 2020. Auch als Konzert funktionieren Attwenger wie eine Rockband und ein DJ-Set gleichzeitig. Songs gehen ineinander über, werden miteinander verwoben, Textzeilen und Sounds werden hinein gesampelt und wieder entflochten.

Auch im Studio oder im Proberaum entstehen Beats und Rhymes gemeinsam, erzählt Markus Binder, der die elektronischeren Tracks allein im Homestudio entwirft. „Es geht das Eine ohne das Andere nicht. Ob jetzt ein Beat zuerst da ist oder ein Text, ist egal, das Eine spielt mit dem Anderen, aus dem zusammen muss sich dann ein Flow ergeben. Ich hab relativ schnell eine Vorstellung von einem Song zusammen, aber das funktioniert dann oft nicht gleich so, es fängt nicht zum Grooven an oder ich bleibe an irgendeiner Textzeile hängen und renne fünf Tage herum und suche das richtige Wort, das sagt, was ich sagen will und das auch groovt.“

Auch am Sound von Falkners Ziehharmonika wird hingebungsvoll getüftelt, um aus dem traditionellen Instrument bisher ungehörte Klänge herauszubekommen. Manchmal klingt sie noch wie auf den ersten, klassischen Attwenger-Alben - zwar verzerrt, aber immer noch als Ziehharmonika erkennbar - in anderen Songs aber auch völlig abstrahiert, verwandelt in ein Grummeln oder Heulen. Oder sie erinnert wiederum an eine Bluesharp, wie in der Trap-Blues Garagenrock-Nummer „foisches viech“. Hier ist auch Fuzzman, in dessen Studio die klassischeren Nummern aufgenommen wurden, mit seinem Bass zu hören.

Der Blues kommt auf „drum“ überhaupt wieder recht häufig zu Besuch, zum Beispiel bei „leider“, einer Nummer, die nur aus einem Shellac-Sample von nicht einmal einer Sekunde besteht – „reduce it to the max“, sagt Markus Binder dazu – und vor diesem Grundrauschen das Dilemma eines nach rechts abgedrifteten Proletariats abhandelt, mit der meistzitierten Zeile des Albums: „Die Mehrheit, die Mehrheit, die nervt mi wieder sehr heit“.

Auch auf „drum“ findet sich die Attwenger’sche Mischung aus politisch-gesellschaftlichen Reflexionen, Beziehungsdramoletten und philosophischen Sprachspielereien. Und obwohl sie es selbst abstreiten, entsteht schon der Eindruck, dass der Grant und das Unverständnis über die Welt diesmal ein deutlich größeres Gewicht haben als auf den letzten Alben. Vielleicht weil die kleinen Alltagsminiaturen abgehen, über japanische Touristen oder automatische Türen, die auf „spot“ oder „flux“ eine gewisse Leichtigkeit vermittelt haben.

Dafür wird auf „drum“ fast überall mehrstimmig gesungen, und am Ende einiger Songs fangen süße Melodien den grantigen Sprechgesang mit Harmonie auf. „Das ist bei einigen Songs so, ohne dass es der Plan war,“ meint Markus Binder, „dass sie nicht klassisch nach Strophe – Refrain – Strophe – Bridge – Refrain aufgebaut sind, sondern erst kommt Strophe – Strophe – Strophe und dann kommt etwas Musikalisches“.

i waas es ned i bock des ned
wo führt uns denn des hi
i waas es ned i frog mi nur
wo woama denn nu nie

Attwenger’sche Sprachkunst, die in einem Halbsatz am Schluss des Songs völlig wurscht Verunsicherung in Neugierde verwandelt. Bis zu acht Gesangsspuren liegen da übereinander, erzählt Markus Binder, „weil auch, wenn ich die Songs alleine mache, ist dann trotzdem eine Art Kollektiv da, eine zweite Stimme, wie ein Echo. Zu zweit sind wir sowieso das minimalst denkbare Kollektiv.“

Attwenger posieren im FM4 Studio

Radio FM4 / Lukas Lottersberger

So ähnlich wie sie uns am Songende mit Harmonie und Zuversicht auffangen, verleihen Binder und Falkner auch dem ganzen Album im letzten Drittel eine emotionale Tiefe, die zwar nicht nur positiv daherkommt, aber doch eine kathartische Wirkung entfaltet. In „i mog“ arbeitet Falkner den Tod seiner Frau vor zehn Jahren auf, wozu er, wie er erzählt, bei der Arbeit zu „spot“ fünf Jahre davor noch nicht fähig gewesen sei.

Den Vers „i mog i mog/i kunt liang und song i mog“ haben sie sich von Billie Eilishs „When the Party‘s Over“ ausgeborgt: „I could lie and say I like it like that, like it like that” „Für mich einer der geilsten Rhymes der letzten zehn Jahre“, sagt Markus Binder.

Und ganz am Schluss des Albums, im hidden track „my friend“, wird schließlich der ganze Grant, das Unverständnis und auch die Trauer, die auf „drum“ thematisiert sind, einfach und berührend hinweggestanzelt, von Markus Binder und seiner vor einem Jahr verstorbenen Exfrau Caroline Binder-Pöstinger. „Ich hab das natürlich mit unseren beiden gemeinsamen Kindern abgeklärt“, erzählt Binder, „und es war auch das Letzte, was ich mit ihr besprochen habe drei Wochen vor ihrem Tod, ob das denkbar für sie wäre, dass dieser Song auf’s Album kommt. Wobei sie dann auch noch gesagt hat, ‚vielleicht wird’s ja doch noch und wir nehmen das noch einmal neu auf, weil es ist eigentlich ein bisserl zu schnell gespielt.‘“

scheiss di ned au my friend
scheiss di ned au
olles wird guad aum end
scheiss di ned au

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