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Bartolina Xixa, Ramita Seca, La Colonialidad Permanente [Trockener Zweig, Die permanente Kolonialität], 2019, Filmstill

Courtesy Maximiliano Mamani/Bartolina Xixa

Poetische Wut in der Kunsthalle Wien

Die Ausstellung „And If I devoted My life to one of its feathers“ kommt genau zur richtigen Zeit. Es ist ein themen- und länderübergreifender Mix aus künstlerischem Widerstand - gegen den Kapitalismus, gegen das Patriarchat, gegen die Klimakrise und gegen die Art, wie wir uns als Menschen als etwas Einzigartiges und Überlegenes betrachten.

Von Melissa Erhardt

Was verbindet eigentlich eine alevitisch-kurdische Künstlerin mit der indigenen Aymara-Kultur aus Bolivien? Und was haben die Black Panthers mit den Zapatistas aus Mexiko zu tun? Spoiler Alert: Sie alle wehren sich gegen ein kapitalistisches Gesellschaftssystem, das nur funktionieren kann, wenn Menschen wie sie unterdrückt, ausgebeutet oder einfach daran gehindert werden, zu wachsen. Wie so ein Abwehrkampf künstlerisch ausschauen kann, das könnt ihr gerade in der Kunsthalle sehen.

Dort läuft seit 14. Mai in Kooperation mit den Wiener Festwochen die Ausstellung „And if I devoted my life to one of its feathers?”. „Was alle Kunstwerke gemeinsam haben, ist, dass sie aus einer Position heraus entstehen, wo es viel Wut und Widerstand gibt. Und trotzdem wird das in etwas sehr Poetisches umgewandelt. Es ist nicht dieses Fingerzeigen auf den bösen Westen, sondern eigentlich geht es um das Selbstverständnis vieler, die ihr Anderssein zelebrieren und in ihren Arbeiten zu einer anderen Art von Selbstbewusstsein finden“, sagt Assistenz-Kuratorin Laura Amann bei einer kleinen Führung durch die Ausstellung. Auf zwei Ebenen kann man hier eindrucksvolle Textilarbeiten, (Stoff-) Skulpturen, Videoinstallationen und Gemälde sehen, die sich mit Themen wie Umweltkolonialismus, systematischer Diskriminierung, Machokultur und vor allem der Vorstellung, dass Menschen anderen nicht-menschlichen Lebensformen überlegen sind, auseinandersetzen.

Ausstellungsansicht: And if I devoted my life to one of its feathers, Kunsthalle Wien 2021

© eSeL.at - Lorenz Seidler

Vor allem letzteres war für den peruanischen Kurator, Miguel A. Lopez, bei der Konzeption der Ausstellung besonders wichtig. „Einer der Ausgangspunkte der Ausstellung war das Infragestellen menschlicher Überlegenheit, die Art wie wir uns selbst als einzigartig und überlegen betrachten.“ Darauf spielt auch der Titel der Ausstellung an, der ein Auszug aus einem Gedicht der chilenischen Künstlerin und Aktivistin Cecilia Vicuña ist: „Es ist eine offene Frage und auch eine Einladung an uns alle, uns zu fragen: Wem genau widmen wir unser Leben eigentlich? Ich glaube, diese Vernetzbarkeit, diese Verbindung zwischen dem Körper und der Feder, das ist vor allem jetzt von großer Bedeutung. Wir müssen uns fragen, wie wir zu Solidarität und gegenseitiger Fürsorge zurückfinden können – das ist wahrscheinlich die einzige Lösung, diese Pandemie und ihre zerstörerischen Effekte zu besiegen.“

Indigene Heilpflanzen und Aufzeichnungssysteme

Die Pandemie begegnet uns auch thematisch in der Ausstellung. Künstler*innen wie Santiago Yahuarcani oder Olinda Silvano zeigen in ihren Werken den eigenen Kampf mit dem Virus und die Rolle, die indigene und traditionelle Heilpflanzen dabei spielen. Beide kommen aus Gemeinschaften, die unverhältnismäßig stark von der Pandemie betroffen waren – bei Silvano etwa das Cantagallo-Viertel in Lima, wo viele Indigene eingewandert sind und unter sehr prekären Verhältnissen leben.

Ausstellungsansicht: And if I devoted my life to one of its feathers, Kunsthalle Wien 2021

© eSeL.at - Lorenz Seidler

Cecilia Vicuña, Burnt Quipu, 2018

Besonders eindrucksvoll ist auch die Arbeit „Burnt Quipu“ der bereits erwähnten Cecilia Vicuña. Das Quipu, ein altes Aufzeichnungssystem der Inka, das mit der Kolonialisierung verboten wurde, dokumentiert mit seinen meterlangen Wollfäden in den verschiedensten Rottönen die Waldbrände im Amazonas - und rund um den Globus. Es soll weniger intellektuell als sinnlich zu verstehen sein, so Laura Amann, die das Werk als Herzstück der Ausstellung beschreibt: „Ich denke auch, dass das bei vielen anderen Arbeiten der Wunsch ist: Diese westliche Form, Dinge zu verstehen und zu erfassen, einmal abzulegen und zu erkennen, dass es auch andere Formen gibt, die Welt zu verstehen“.

Auch die Performance der andinischen Drag-Künstlerin Bartolina Xixa, die auf einer Müllhalde in Argentinien zu einem traditionellen Lied tanzt und damit auf die Verschmutzung der Erde aufmerksam macht oder die Videoinstallation der Afroperuanerin Victoria Santa Cruz, die ihre Diskriminierungserfahrungen innerhalb weniger Minuten rhythmisch zu einer Form von Empowerment umwandelt, sind große Empfehlungen für die Ausstellung, die uns dabei helfen soll, neue Möglichkeiten zu erfahren. So Lopez: „Meine Rolle als Kurators ist es, eine kritische Öffentlichkeit herzustellen. Das heißt auch Themen wieder einzubringen, die aus dem öffentlichen Diskurs ausgelöscht wurden, zum Beispiel durch konservative Ansichten. Und das kann durch Ästhetik oder Kunst passieren. Kunst kann uns zwar vielleicht keine Antwort auf unsere Probleme geben, aber sie hilft uns dabei, die Komplexität vieler Dinge besser zu verstehen“.

Die Ausstellung läuft noch bis 26. September in der Kunsthalle Wien.

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