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Szenen aus "Nomadland" mit FRances McDormand

Nomadland

„Nomadland“: Eine Ode ans Unterwegssein

„Nomadland“ von Chlóe Zhao war der großer Abräumer bei der diesjährigen Oscar-Verleihung. Das semifiktionale Roadmovie, das eine große Portion Freiheitsgefühl atmet, kommt jetzt, genau im richtigen Moment, als einer der erste großen Filmproduktionen nach dem Lockdown in die gerade erst wieder geöffneten Kinos.

Von Jan Hestmann

Nach dem Tod ihres Mannes und dem wirtschaftlichen Zusammenbruch in ihrer Heimat, der Bergbaustadt Empire, Nevada beschließt Fern, all ihr Hab und Gut in ihren Van zu packen und fortan als Nomadin durchs Land, den Westen der USA, zu ziehen. Sie nimmt verschiedene kleine Jobs an, arbeitet als Saisonarbeiterin, etwa in einer Verpackungszentrale von Amazon einige Wochen vor Weihnachten. Auch wenn ihr nahegelegt wird, doch in Frühpension zu gehen und sich endlich zur Ruhe zu setzen, treibt es sie weiter: „I need work. I like work“, pflegt sie zu sagen. Dafür nimmt sie Einiges in Kauf. In den kalten Monaten friert sie nachts im Van. Zu ihrer Schwester, die, anders als sie, einen bürgerlich-konservativen Lebensstil pflegt, nimmt sie bewusst Abstand.

I’m not homeless, I’m just houseless

„Nomadland“ wurde bei der diesjährigen Oscarverleihung gleich mit drei Oscars ausgezeichnet. Neben „Bester Film“ wurde auch Chlóe Zhao für die Beste Regie und Frances McDormand als Beste Hauptdarstellerin ausgezeichnet. Das Drehbuch zum Film, das ebenfalls Zhao geschrieben hat, basiert auf dem 2017 erschienenen Sachbuch „Nomadland. Surviving America in the twenty-first century“ der US-amerikanischen Journalistin und Autorin Jessica Bruder, das das moderne Nomadenleben in den USA schildert.

Zehntausende sind es, die heute in den USA unterwegs sind, keinen festen Wohnsitz haben, sich also als Nomad*innen bezeichnen. Bruder ist einigen von ihnen ein Jahr lang quer durch die USA gefolgt und hat deren Tagesabläufe in ihrem Buch festgehalten. Es sind vor allem ältere Menschen, oft mit der Aussicht auf eine viel zu niedrige Pension. Sie brechen unter anderem auch deshalb auf, weil das Leben im Van für sie die einzig leistbare Lebensform darstellt. Einzelne dieser realen Personen lässt Zhao auch in ihrem Film auftreten. Sie spielen sich in „Nomadland“ mehr oder weniger selbst. Das macht aus „Nomadland“ eine Art semifiktionales Roadmovie, ein Filmdrama mit dokumentarischem Einschlag.

Szenen aus "Nomadland" mit FRances McDormand

Nomadland

Es sind Menschen wie Bob Wells, die Zhao in ihrem Film zu Wort kommen lässt. Wells veranstaltet jährliche Nomad*innen-Treffen in Arizona. Dabei hält er alle möglichen Workshops und Seminare unter freiem Himmel ab, waschechte Communityarbeit, angetrieben von der Leidenschaft des Nomad*innendaseins. Wir lernen auch die liebenswürdige Nomadin Swankie kennen. Im Film leidet sie an Krebs und hat folglich entschieden, lieber noch etwas auf den weiten Straßen Amerikas erleben zu wollen, anstatt in einem Krankenhaus dahinzuvegetieren. Dieser Handlungsstrang ist Fiktion und dienst der Dramaturgie des Films, die echte Swankie ist zum Glück bei bester Gesundheit.

Filmpodcast

Radio FM4

76. FM4 Film Podcast: Frances McDormand-Festspiele

Der FM4 Film Podcast läuft am Montag um Mitternacht auf Radio FM4 und ist auch in der Radiothek verfügbar.

Ihnen und vielen Anderen begegnet Fern auf ihrer Reise, bei ihnen findet sie Inspiration und Frieden mit sich selbst. Gespielt wird Fern von der großartigen Frances McDormand, die heuer für ihre Performance in „Nomadland“ ihren bereits dritten Oscar als beste Hauptdarstellerin bekommen hat. In Zhaos Konzept der geskripteten Story, teils besetzt mit realen Figuren, teils mit Schauspieler*innen, gliedert sich McDormand nahtlos ein. Die Dialoge zwischen ihr und den echten Nomad*innen gehören mitunter zu den schönsten und stärksten Szenen des Films. Niemals kommt einem als Zuseher dabei vor, dass hier eine Profischauspielerin einem Laien gegenübersteht. Darüber hinaus schafft es Zhao mit ihrem Film, dem Nomad*innendasein weder verklärt-romantisierend gegenüberzustehen, noch ins Eck des Sozialpornos abzudriften. Es sind stille, vor allem auch wertfreie Beobachtungen, die Zhao mit „Nomadland“ einfängt und damit einen unkonventionellen Lebensstil skizziert, mit all seinen Vor- und Nachteilen.

„Nomadland“ war in Österreich erstmals im letzten Jahr auf dem Viennale Filmfestival zu sehen, dann kam der große Lockdown. Jetzt, wo die Kinos endlich wieder aufsperren, ist „Nomadland“ einer der ersten großen Produktionen, die gezeigt werden können. Das ist ein Glücksfall. Zum Einen, weil die spektakulären weiten Aufnahmen des US-amerikanischen Westens nach einer Leinwand verlangen. Zum Anderen, weil Zhaos Film eine große Portion Freiheitsgefühl atmet - und auf dieses Gefühl haben wir doch alle lang genug gewartet.

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