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Was die „Islam-Karte“ wirklich abbildet

Für die österreichische Integrationspolitik ist die muslimische Community etwas, das erkannt, begrenzt und kontrolliert werden muss. Welches Werkzeug eignet sich da besser als eine Karte?

Von Ali Cem Deniz

Wer in Wien anfängt zu studieren, weiß schon bald, dass es eine zuverlässige Adresse für ein gutes und leistbares Mittagessen gibt: die Mensa des Afro-Asiatischen Instituts. Was die Tausenden Studierenden, die dort seit Jahrzehnten essen oder sich auf einen Cay im Afro-Cafe treffen, nicht wussten: Die Mensa ist ein Hort des Islamismus. Zumindest wurde sie in der ersten Version der sogenannten Islam-Landkarte so dargestellt. Inzwischen ist diese Information entfernt worden, aber ohne Verweis auf die Richtigstellung. So viel zur Wissenschaftlichkeit und Gründlichkeit dieser Karte.

Ein anderes Beispiel: Im Begleittext zu einer bosnischen Moschee in Salzburg ist ein Foto von einem Bosnienbesuch des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan zu sehen. Auf dem wohl nicht zufällig ausgewählten Bild eröffnet Erdoğan eine Moschee, der Text warnt vor dem türkischen Einfluss in Bosnien und Herzegowina. Was haben diese Informationen auf der „Islam-Landkarte“ verloren, wenn es hier „nur“ darum geht, muslimische Communities in Österreich abzubilden? Es geht um etwas anderes.

Zeichnen und Herrschen

Karten waren niemals nur neutrale Hilfsmittel zur Orientierung. Sie bilden nicht die Realität ab, sondern sind selbst ein Abbild von Ideologien und in dieser Funktion auch Herrschaftswerkzeuge. In der Kritischen Kartographie weiß man das schon lange. Karten schaffen die Wirklichkeit, die sie abbilden wollen. Im Kolonialismus stellen sie so Besitz- und Machtansprüche dar. In einer rassistischen Migrationspolitik erklären sie ganze Viertel zu No-go-Zonen und Ghettos, um in diesen Stadtteilen höhere Polizeipräsenz und Überwachung zu legitimieren. Eine Entwicklung, die man in den letzten Jahren in Wiener Bezirken mit migrantischen Communities gut mitverfolgen kann.

Die „Islam-Landkarte“ des Instituts für islamisch-theologische Studien ist nicht bloß ein schlampiges Forschungsprojekt. Sie wurde gemeinsam mit Integrationsministerin Susanne Raab präsentiert, weil die österreichische Integrationspolitik insbesondere die muslimische Community als etwas ansieht, das erkannt, begrenzt und kontrolliert werden muss. Welches Werkzeug eignet sich da besser als eine Karte?

Gerade die vermeintlich neutrale Darstellung als Landkarte macht das Projekt so perfide. Die Karte stellt nicht, so wie Integrationsministerin Susanne Raab behauptet, Informationen dar, die aus dem Vereinsregister abgefragt werden können. Wobei auch hier Jurist*innen kritisiert haben, dass Sammelanfragen nicht zulässig sind. Die „Islam-Landkarte“ schafft ein Bild von Österreich, das von Moscheen, islamischen Vereinen und ausländischem Einfluss durchdrungen ist.

Eine andere Karte

Susanne Raab betonte bei der Präsentation, dass es auch darum gehe, „dass man die Trennlinie schärfer ziehen kann, zwischen dem Islam als Religion und dem politischen Islam als gefährliche Ideologie, die wir in Österreich nicht haben wollen“. Doch gerade diese Trennung gibt es nicht.

Auf der „Islam-Landkarte“ werden mehr als 600 Organisationen, darunter auch einige Kindergärten, ohne irgendeine Differenzierung zusammengezählt. Teilweise sind Vereine auf der Karte zu finden, die seit Jahren nicht mehr existieren, und teilweise sind private Wohnadressen von Menschen zu finden, die sich jetzt fürchten müssen. Selbst ein arabischer Kulturverein, in dem auch arabische Christ*innen Mitglied sind, wird aufgeführt. So entsteht Generalverdacht. Jede Organisation mit muslimischer Beteiligung ist „politischer Islam“, solange nicht bewiesen wird, dass es „unpolitischer Islam“ ist.

Dass die Uni Wien sich von dem Projekt distanziert, macht Hoffnung, auch dass viele Menschen und Organisationen heftige Kritik geäußert haben. Damit aber Muslim*innen in ihren Moscheen beten können, ohne sich beobachtet zu fühlen, oder in ihrem Verein Tee trinken können, ohne Angst zu kriegen, müsste sich die österreichische Integrationspolitik komplett neu orientieren.

Vielleicht wäre da eine Karte eine gute Idee; eine partizipative Karte, auf der Betroffene ihre Rassismus- und Ausgrenzungserfahrungen abbilden. Auf einer solchen Karte gäbe es jedenfalls mehr als 600 Punkte.

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