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Wütend, ungestüm, elliptisch: „Drei Kameradinnen“ von Shida Bazyar

In „Drei Kameradinnen“ erzählt Shida Bazyar von einer Nacht, die drei Freundinnen miteinander in einer großen deutschen Stadt verbringen und schweift dabei großflächig ab.

Von Anna Katharina Laggner

Der zweite Roman der deutschen Schriftstellerin Shida Bazyar nennt sich nicht umsonst „Drei Kameradinnen“. Denn Kameradschaft, das ist etwas Anderes als Freundschaft. Etwas Bedingungsloseres, Härteres, fast Militärisches. Diese drei jungen deutschen Frauen sind durch das gemeinsame Aufwachsen in einer billigen Wohnblocksiedlung am Stadtrand, durch ihre „dreckige Kindheit“, durch die gemeinsame Ausgrenzungserfahrung aufgrund von Hautfarbe oder Namen, durch ihr von außen definiertes Anderssein zusammen geschweißt.

Shida Bazyar stellt ihren Roman „Drei Kameradinnen“ in der Hauptbücherei am Urban-Loritz-Platz vor: 2. Juni, 19 Uhr und sie wird davor, am Nachmittag, in FM4 Connected zu Gast sein.

Hani, Saya und die Ich-Erzählerin Kasih: Die drei Freundinnen treffen sich für ein paar Tage in einer nicht genannten großen deutschen Stadt. Sie trinken, sie feiern, sie stänkern. Hani ist pragmatisch, die Ich-Erzählerin Kasih ist Autorin und arbeitslos, Saya ist ein Wutbündel. Der Roman läuft auf eine Brandkatastrophe hinaus. Saya wird der Brandstiftung verdächtigt, das macht einen nicht unwesentlichen Teil der Spannung aus. Außerdem findet zum Zeitpunkt der Handlung auch ein medial aufgeladener Prozess gegen Rechtsterroristen statt. Die Ich-Erzählerin wirft Köder aus, die auf die kriminelle Energie ihrer Freundin Saya hindeuten. Und entlarvt uns weiße Leserinnen sofort, als Menschen, die einer dunkelfarbigen jungen Frau mit Namen Saya alles zutrauen, vor allem das Böse.

„Ich beschreibe Saya hier so, wie sie ist, und ihr macht aus ihr das, was ihr aus ihr machen wollt. Wenn ich die Geschichte fertig geschrieben habe und die Nacht noch immer nicht rum ist, schreibe ich sie einfach noch mal. Dann vielleicht aus eurer Sicht. Wie die Geschichte ginge, wenn einer von euch sie geschrieben hätte. Halt, stopp, um das zu wissen, muss ich ja nur in ein paar Stunden die Zeitung aufschlagen oder ins Internet gehen.“

Im nächsten Moment erzählt Kasih von ihrem Liebeskummer. Dann über das Aufwachsen im Ghetto, in das irgendwann nicht einmal mehr ein Bus gefahren ist. Kasih schreibt zynisch, wie nur eine schreiben kann, die in ihrem jungen Leben viel Ungerechtigkeit und Brutalität erfahren hat und sich nicht damit abfinden will, im Eck zu stehen und zu warten, bis man sie aufruft.

"Drei Kameradinnen" von Shida Bazyar Cover, rote Flammen vor schwarzem Hintergrund

Kiepenheuer&Witsch

„Drei Kameradinnen“ von Shida Bazyar, 352 Seiten, erschienen bei Kiepenheuer&Witsch.

  • Eine Leseprobe gibt es hier.

Nachts im Schlaf wirft sich Saya brutal gegen die Wand, wir werden nicht erfahren, was der Grund dafür ist. Wir erfahren auch nie etwas über den so genannten Migrationshintergrund der drei Freundinnen. Sie sind in Deutschland geboren, und aus. An einer Stelle des Romans spricht uns die Ich-Erzählerin auch diesebezüglich an, macht sich ein bisschen lustig, dass wir doch endlich wissen wollen, woher die drei in echt kommen. Auch wenn man da eh schon gecheckt hat, dass genau das das Spiel der Autorin ist: Unsere Erwartungen um jeden Preis nicht zu erfüllen.

„Drei Kameradinnen“ ist das Gegenteil einer linearen Erzählung: Autorin Shida Bazyar attackiert nicht nur weiße Vorurteile und Rassismus, sondern auch die konventionelle Erzählstruktur. Es sei intellektuell schon zumutbar, ohne Reihenfolge zu erzählen und nicht immer bei A anzufangen. Ihr Deutschlehrer und ihr Deutschlehrerkinder, nennt sie uns.

Shida Bazyar, die in Hildesheim Literarisches Schreiben studiert hat, gibt ihrer Ich-Erzählerin die Freiheit, großflächig abzuschweifen, jeder narrativen Laune nachzugeben und versieht sie mit Allwissenheit. Seien es die Ängste der Chefin ihrer Freundin Hani, seien es die Überlebensstrategien eines dunkelhäutigen Bekannten, Kasih weiß es. Nicht zuletzt diese Allwissenheit macht „Drei Kameradinnen“ zu einer sehr unmittelbaren, fast ungestümen Leseerfahrung.

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