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Wolf Alice vor einem roten Vorhang

Jordan Hemingway

„Blue Weekend“ von Wolf Alice ist ein kleines Meisterwerk!

Die Band rund um Ellie Rowsell präsentiert detaillierte Songs, die wieder von diversen Musikgenres beeinflusst sind - von Rock über Folk bis zu altem Soul. „Blue Weekend“ ist der dritten Longplayer der Londoner Band, die mit ihrem letzten den großen Mercury Music Prize gewonnen hat.

von Eva Umbauer

Ellie Rowsell von Wolf Alice ist nachdenklich beim FM4-Interview. Hoffentlich halten die anstehenden Konzerte - englische Festivals wie das Latitude oder Klassiker wie das Reading Festival. Wenn sie wählen müsste, was sie mehr liebt, ob das Aufnahmestudio oder die Konzertbühnen, dann würde Ellie das Studio wählen. Aber man muss ja nicht gleich für Jahre darin verschwinden wie Kate Bush, die große englische Musikerin, die eine Inspiration für Ellie Rowsell ist. Und letztlich gehört für Wolf Alice beides zusammen wie die Sonne und der Mond - Songs aufzunehmen und sie veröffentlichen und auf Bühnen bringen.

Anfang letzten Jahres begaben sich Wolf Alice in ein Aufnahmestudio in Brüssel - die ICP-Studios, die bei Musiker*innen über Belgien hinaus einen guten Ruf genießen. Man kann dort auch wohnen, befindet sich also in einem sogenannten „live-in studio“ samt Küche, Wohnzimmer und Schlafräumen. Wolf Alice waren schon einmal dort, nämlich vor sechs Jahren für ihre „Creature Songs“-EP. Die Band kehrte also mit Freude zurück in das Herz von Brüssel, um sich der Entstehung neuer Songs zu widmen.

Doch dann kamen Corona und der erste Lockdown. Zum Glück mussten Wolf Alice ihren Studioaufenthalt in der belgischen Hauptstadt aber nicht abbrechen, sondern konnten, praktisch selbst-isoliert, mit den Albumaufnahmen weitermachen. Bands, die damals gerade auf Tour waren hatten es viel schwerer, vor allem jene, die gerade ihr erstes Album mittels Konzerten vorstellten. Ihnen gilt das Mitgefühl von Ellie Rowsell, während sich Wolf Alice, wie Ellie im FM4-Interview sagt, auf die neuen Songs und das Einspielen dieser konzentrieren konnten.

Die Arbeiten am Album haben Ellie Rowsell, Joff Oddie, Theo Ellis und Joel Amey eine Perspektive gegeben, sie davor bewahrt in Depressionen zu verfallen. Vielleicht sind die neuen Wolf-Alice-Songs gerade deshalb so detailliert, weil das Quartett keine Ablenkungen hatte und nicht einmal - wie ursprünglich geplant - am Wochenende heim nach London sausen konnte.

Wochenende bedeutet für Ellie Rowsell Freund*innen zu treffen, auszugehen, einfach nur abzuschalten. Das Wochenende ist aber auch eine Zeit, in der sich zwischenmenschliche „Dramen“ abspielen können, etwa der Break-Up eines Liebespaares. Aus der guten Laune und dem Spaß des Wochenendes kann also schon mal ein trauriges Weekend werden, ein „blue weekend“, wo man in der Badewanne liegt, Amy Winehouse hört und zu weinen beginnt.

„Crying in the bathtub to ‚Love Is A Losing Game‘“, singt Ellie Rowsell in „No Hard Feelings“, der aktuellen Single vom „Blue Weekend“-Album, die, wie Ellie sagt „started out trying to make a cheesy almost Motown-y kind of song about the end of a relationship.“ Ein melancholischer Vibe für eine melancholische Zeit.

Blue Weekend von Wolf Alice

Caroline/Universal Music

„Blue Weekend“ von Wolf Alice ist am 4.Juni 2021 bei Caroline/Universal Music erschienen.

Was also tun, um einem gebrochenen Herzen zu entgehen und um nicht allzu traurig zu werden? Vielleicht sich einfach nicht mehr zu verlieben? Nun ja, wenn das so einfach ginge, meint Ellie Rowsell im FM4-Interview. „Safe From Heartbreak (If You Never Fall In Love)“ heißt jedenfalls dieser Song mit der Folk-Gitarre, während uns Wolf Alice mit „Play The Greatest Hits“ dann schon in den Mosh-Pit führen.

Der Track ist inspiriert vom Riot-Grrrl-Punk der 90er Jahre - von US-Musikerinnen wie L7 oder Kathleen Hannah und ihrer Band Le Tigre. Aber auch die Spät-70er, 80er und frühe 90er Jahre US-Band The B-52s, rund um die beiden Sängerinnen Cindy Wilson und Kate Pierson, hörten Wolf Alice gerade viel als „Play The Greatest Hits“ entstanden ist.

Wolf Alice waren für die Aufnahmen zu „Blue Weekend“ zusammen mit dem englischen Producer Markus Dravs im Tonstudio in Brüssel. Die Liste der Künstler*innen, mit denen Markus Dravs schon Musik produziert hat, ist eindrucksvoll - sie reicht von Florence & The Machine über Arcade Fire bis zu Mumford & Sons und Coldplay. Namen wie Björk, The Maccabees oder Kings Of Leon sind ebenso vertreten wie der britische Elektronik-Pionier Brian Eno, der einer der Lehrmeister von Markus Dravs war.

Manche Bands produzieren ihre Musik selbst, entweder weil sie noch jung sind und kein Geld haben, oder weil sie bereits große Studioerfahrung sammeln konnten und selbst im Produzent*innensessel Platz nehmen möchten. Andere holen jemanden, den oder die sie kennen, und wiederum andere holen jemanden von außen. Wolf Alice taten mit Markus Dravs letzteres. Nach einem kurzen Beschnuppern kam man überein, miteinander im Aufnahmestudio arbeiten zu wollen. Für Ellie Rowsell ist der oder die Produzent*in einer Platte eine Art Steuermann/frau, der/die das Band-Schiff lenkt, sodass es nicht untergeht, nicht gegen einen Berg fährt oder auch nicht einfach nur im seichten Wasser herumtümpelt.

„Feeling Myself“ ist sinnlich und verträumt, „The Last Man On Earth“ - eine der Singles und eines der Herzstücke am Album - ist ein episches, vom Piano bestimmtes Stück, „The Beach“ ist hypnotisch, „Delicious Things“ cinematisch, das dunkle „Lipstick On The Glass“ hat einen schönen Beginn mit akustischer Gitarre und im Britrock-Song „Smile“, der ebenfalls schon veröffentlicht worden war, stellt Ellie Rowsell beinahe rappend klar: „I am what I am, and I´m good at it, and if you don´t like me, well that isn´t fucking relevant.“

Der letzte Song am „Blue Weekend“-Album von Wolf Alice heißt „The Beach II“. Es handelt sich um einen magischen Moment mit wallenden Gitarren, einem summenden Synthesizer und der sanften Stimme von Ellie Rowsell, die singt: „The tide comes in as it must go out, consistent like the laughter of the girls on the beach happy ever after.“ Da lebten sie also am Strand, mit dem zartrosafarbenen Drink in der Hand, für immer, fast wie in einem Märchen.

„Blue Weekend“ von Wolf Alice ist eine selbstbewusste Platte und, ja, ein richtiges kleines Meisterwerk, das noch mehr als zuvor viele Musikstile vereint, von Folk und Piano-Pop über Heavy Rock bis zu altem Soul, clever zusammengefasst in einer sehr aktuellen Pop/Rock-Platte.

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