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Autor Thomas Arzt

Joseph Krpelan

„Die Gegenstimme“ von Thomas Arzt: „Eine Stimm‘ war dagegen, warst du das?“

Autor Thomas Arzt beschreibt 24 Stunden in einem oberösterreichischen Dorf. Es ist der 10. April 1938, der Tag, an dem der „Anschluss“ Österreichs an das nationalsozialistische Regime durch eine Volksabstimmung legitimiert werden soll. Arzt zeigt, wie sozialer Druck, Fanatismus und Angst das Dorfgefüge verändern.

Von Lena Raffetseder

Eine Gegenstimme, eine Enthaltung und 1.153 Ja-Stimmen: So geht die Abstimmung zum „Anschluss“ in Schlierbach, der Heimatgemeinde von Student Karl Bleimfeldner aus. Während der Abstimmung ist das freilich noch nicht klar, die meisten machen ihr Kreuz vor den anderen Anwesenden, denn die Abstimmung ist weder frei noch geheim. Geht wer – wie Karl – in die Wahlkabine, sorgt das für Misstrauen. Trotzdem ist die Stimmung unter den Gemeindebediensteten bei der Auszählung gut, jede Ja-Stimme wird gefeiert, es wird getrunken: „Prost, auf den Adolf.“

Stimmzettel zur Volksabstimmung für den Anschluss Österreichs an Nazideutschland 1938

gemeinfrei

Stimmzettel für die Volksabstimmung 1938

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Am Abend steht aber fest, dass nicht alle im oberösterreichischen Ort mit „Ja“ gestimmt haben. Dahin ist der Sonderzuschlag für „Geschlossenheit“ und die Dorfbewohnerinnen und -bewohner beginnen zu mutmaßen, wer daran schuld ist: „Eine Stimm‘ war dagegen, warst du das?“

Eine Mischung an Einstellungen und Widersprüchen

Autor Thomas Arzt ist als Dramatiker („Grillenparz“, „Alpenvorland“) bekannt, „Die Gegenstimme“ ist sein Debütroman. Die kurzen Kapitel sind wie Szenen eines Stücks, die in Alltag und Gedanken der verschiedenen Dorfbewohnerinnen und -bewohner Einblick geben.

Da gibt es etwa den Gemeindebediensteten Seppl, der aus Angst leise Widerstand leistet: „Sie werden auch mich versperren. Nicht gleich, aber später“. Es gibt den resignierten Abt im Kloster, der „natürlich“ auch hingeht zur Wahl, denn „die Angst ist größer gewesen als die Wucht des Widerstands.“ Und man lernt auch die fanatische Bürgermeistertochter Cilli kennen, die ein Hitlerbild unter der Bluse an der Brust trägt und sich ganz der „neuen Politik“ hingibt, denn die gebe „neuen Sinn.“ Sie ist es auch, die noch in der Nacht Jagd auf Karl macht.

Cover vom Roman "Die Gegenstimme"

Residenz Verlag

„Die Gegenstimme“ (192 S.) von Thomas Arzt ist im Residenzverlag erschienen.

„Ich spiele Positionen gegeneinander aus und suche die Widersprüche in jedem Einzelnen. Tatsächlich ist der Roman dann eine Bestandsaufnahme, 24 Stunden im Dorf, wo sehr viel an Angst herrscht und auch sehr viel an Hoffnung, dass etwas anders wird,“ sagt Thomas Arzt im Ö1-Interview über die verschiedenen Perspektiven in seinem Roman.

Protagonist ist Großonkel des Autors

Arzt hat für seinen Roman eine - anfangs gewöhnungsbedürftige – gesprochene Sprache gewählt. Der Grund, warum er diesen 10. April im lokalen Dialekt beschreibt: Ihm ist die Geschichte des „Bleimfeldner Karl“ mündlich überliefert worden. Karl war der Bruder der Großmutter, Arzt hat in Archiven recherchiert, um mehr über seinen Großonkel zu erfahren, den er nie kennengelernt hat: „Ich habe versucht, vielleicht den einen Marxisten in dieser erzkatholischen Familie zu finden. Das war er sicher nicht. Aber er war einer, der diese 1.153 Blicke ausgehalten hat am nächsten Tag.“

„Die Gegenstimme“ ist keine Heldengeschichte. Mit der Mischung von echten Begebenheiten und fiktiven Erzählungen hat Thomas Arzt eine Art Collage an Stimmen und Einstellungen dieses 10. April 1938 erstellt. Und diese ist eben nicht nur schwarz-weiß, sondern hat auch viele Grautöne.

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