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Diagonale 2021 Eröffnung: Diagonale-Intendanten Peter Schernhuber (links) und Sebastian Höglinger.

APA/ERWIN SCHERIAU

Der fulminante „Fuchs im Bau“ eröffnete die Diagonale

Vom Unterschied zwischen Kunst und Kultur, dem Festival des österreichischen Films als Rastplatz auf unserem Weg zum Sehnsuchtsort an der Sonne und dem so unterhaltsamen wie klugen Spielfilm „Fuchs im Bau“.

Von Maria Motter

Diagonale’21 – Festival des österreichischen Films

8. bis 13. Juni 2021 in Graz

Alle Infos auch auf diagonale.at

Wie schön ist das, es wuselt wieder in Graz! Die Diagonale hat einen Sonnenschirm mit fröhlichem Markisenmuster in der Herrengasse vor dem Festivalzentrum aufgestellt und einen vor der Helmut-List-Halle. „Es wird kein normales Festival‘“, sagt Peter Schernhuber, der gemeinsam mit Sebastian Höglinger die Diagonale leitet. „Aber es ist möglicherweise ein erster Rastplatz auf unserem Weg zum Sehnsuchtsort an der Sonne.“ – „Und es ist hoffentlich ein Autogrill!“, spricht Sebastian Höglinger vielen Festivalbesucher*innen aus dem Herzen.

Und fürwahr ist das Programm der Diagonale dieses Jahr außergewöhnlich toll. 108 Filme laufen im Wettbewerb, führen etwa von Österreich nach China und gleich in fünf Dokus in die USA und machen uns mit dem Leben anderer Menschen vertraut. Nach einer abrupten Absage und einer Verschiebung heißt es jetzt wieder Gute Projektion auf der Diagonale. Und für alle, die es nicht nach Graz oder ins Kino schaffen, präsentiert FM4 von 10. bis 12. Juni zur Prime-Time um 20.15 Diagonale-Filme im Stream auf fm4.orf.at.

Reflexion statt Hysterie am Eröffnungsabend

Uns allen müsse klar sein, so wie es war, wird es nicht mehr werden, hält Sebastian Höglinger in der Eröffnungsrede fest. „Das gilt auch für die Diagonale, das Festival des österreichischen Films, mit der Einbettung in einen globalen Filmmarkt im Umbruch“. Die Rolle von Filmfestivals und Kinos in der Zukunft soll somit auch Thema sein in den kommenden Festivaltagen. „Anders formuliert: Es wird kein Sommer wie damals“.

FM4 bringt die Diagonale zu dir! Vier Spitzenfilme und die große Diagonale-Preisrevue im Videostream für alle, die nicht in Graz dabei sein können!

Nachdem Filmschaffende hierzulande bis Sommer 2020 nur höchst eingeschränkt drehen konnte, hat die Diagonale dennoch gleich viele Einreichungen wie vor der Corona-Pandemie bekommen. So sehr große Dramen in den kommenden Festivaltagen auf der Leinwand laufen werden, ist die Reflexion am Eröffnungsabend groß.

Kultur habe nicht an Relevanz verloren, vielmehr sei man sich bewusst geworden, dass wir ihre Relevanz nie ausreichend ernstgenommen hätten – „politisch, gesellschaftlich, auch ökonomisch“, so Peter Schernhuber, der mit Sebastian Höglinger die Diagonale leitet und der Parole „Ohne Kunst und Kultur wird es still" widerspricht.

Der Preis für Ursula Strauss wurde auf Grund ihrer Abwesenheit virtuell von den Diagonale-Intendanten Peter Schernhuber (mitte) und Sebastian Höglinger an eine Kamera übergeben

APA/ERWIN SCHERIAU

Der Große Diagonale Schauspielpreis für Ursula Strauss wurde auf Grund ihrer Abwesenheit virtuell von den Diagonale-Intendanten Peter Schernhuber (Mitte) und Sebastian Höglinger an eine Kamera übergeben

„Wir scheitern zumeist schon an der Unterscheidung von Kunst und Kultur.“ Der Kulturbegriff, mit dem gegenwärtig agiert werde, sei naiv, mahnen die Intendanten der Diagonale. Sie widersprechen der in den vergangenen Monaten auch von Politiker*innen bedienten Argumentation, Kultur als luxuriöse Freizeitbeschäftigung, als Hobby und Liebhaberei abzutun, im schlimmsten Fall als Lebensmittel zu bezeichnen und im besten Fall noch als „Branche“ zu bezeichnen. „Dabei ist Kultur zuvorderst einmal nur die Summe aller Äußerungsformen, die unser Leben ausmachen“, erinnert Peter Schernhuber.

Kunst und Kultur prallen dann im fulminanten Eröffnungsfilm „Fuchs im Bau“ aneinander. Arman T. Riahi erzählt von einem Ort, auf den die Gesellschaft meist nur schaut, wenn Umstände in himmelschreienden Missstände pervertiert wurden – gerade wird ein Entwurf der Regierung zur Änderung des Maßnahmenvollzugs diskutiert. Arman T. Riahi hat seinem spannenden Drama zwei Krimiebenen eingezogen und arbeitet großartig mit Stress Relief.

„Fuchs im Bau“ ist ein Kino-Hit

Da tritt ein Hannes Fuchs, verkörpert von Aleksandar Petrović, in der Schulklasse einer Haftanstalt an. Zwar soll der passionierte Schlagzeugspieler die langdienende Lehrerin ablösen, aber die bestellt erst einmal Espresso für sich und die „Zauberbären“, wie sie die straffällig gewordenen Jugendlichen gelegentlich liebevoll nennt. Doch Fuchs ist nicht gekommen, um als Assistent zu dienen.

"Fuchs im Bau" Filmstill

Golden Girls Film

„Fuchs im Bau“

Maria Hofstätter spielt die resolute Lehrperson, die Fuchs aufklärt, dass im Bau jeder sich selbst der Nächste ist, nur der Gefängnislehrer nicht, und sie zeigt ihm Zeichnungen der Jugendlichen. Sie setzt auf Malen als Weg zur Selbsterkenntnis und Selbstheilung. In der letzten Bankreihe der Klasse sitzt eine Jugendliche, die nicht spricht und bald in Einzelhaft weggesperrt sein wird. Doch auch Fuchs muss schließlich tun, was Fuchs tun muss. Das Milieu der Justizwachebeamt*innen hat Arman T. Riahi genau studiert.

Maria Hofstätter bewirkt mit ihrer Darstellungsgabe einen Atmosphärenwechsel um 180 Grad in 30 Sekunden. Aleksandar Petrović ist als wortkarger Mann, der selbst mit der Vergangenheit und einer Schuldfrage ringt, ein Konkurrent auf Augenhöhe und nach diesem Film wird er hoffentlich viel öfter in Hauptrollen zu sehen sein. Luna Jordan überzeugt als Jugendliche mit bedrohlichen Aggressionen. „Fuchs im Bau“ ist großartiges, kluges und packendes Mainstream-Kino – im allerbesten Sinn. Das Drama kann man auch als Manifest für die Wirkmacht der Kunst und für einen allumfassenden Lehrstil sehen.

Maria Hofstätter und Aleksandar Petrović in "Fuchs im Bau"

Golden Girls Film

60 Menschen aus 22 Nationen waren am Set von „Fuchs im Bau“, erzählt mir am Eröffnungsabend der Pädagoge Wolfgang Riebniger, der Regisseur und Drehbuchautor Arman T. Riahi zu seinem neuen Spielfilm inspiriert hat. Ehrlichkeit sei sein Prinzip gegenüber Schüler*innen gewesen. „Es gibt in der Gesellschaft Geschichten, über die man normalerweise nicht informiert wird – außer durch diese Filme. Niemand weiß, wie Jugendliche in einem Gefängnis ihre Zeit verbringen“, ist eine der Besucherinnen der Österreich-Premiere angetan nach der Vorführung, „das war Kunst“.

In der Vorbereitung auf die Rolle hat Maria Hofstätter selbst viel erfahren, sagt sie im FM4-Interview: „Ich habe mir nie überlegt gehabt, dass man ja, wenn man mit vierzehn haftfähig ist, ja noch schulpflichtig ist und es dadurch eine Gefängnisschule gibt. Es war schon notwendig, vor Ort das wirklich kennenzulernen. Ich habe großen Respekt noch einmal vor dem Lehrberuf gekriegt in der Vorbereitung dieser Arbeit. Und speziell dann noch einmal in so einem Kontext. Alle Achtung, wenn das jemand macht und gut macht.“

Maria Hofstätter und Aleksandar Petrović in einem Klassenzimmer in einer Haftanstalt im Film "Fuchs im Bau".

Golden Girls Film

Umarmungen und Applaus

Die Diagonale verleiht die höchst dotierten Filmpreise im Land. Eine Auszeichnung findet bereits am Eröffnungsabend statt: Christine Ostermayer ist mit dem großen Diagonale Schauspielpreis für ihr bisheriges Bühnen- und Filmleben geehrt worden. Im Wiener Kindertheater der lange fast vergessenen Choreographin, Autorin und Antifaschistin Hanna Berger hatte Christine Ostermayer zu spielen und zu tanzen begonnen, erinnert Laudatorin und Schauspielkollegin Julia Franz Richter. Vor dem letzten „Lockdown“ war Christine Ostermayer als demente Dame in Arash T. Riahis „Ein bisschen bleiben wir noch“ im Kino zu sehen.

Diagonale 2021 Eröffnung: Schauspielerin und Preisträgerin Christine Ostermayer mit dem von Verena Dengler gestalteten Preis

APA/ERWIN SCHERIAU

Schauspielerin und Preisträgerin Christine Ostermayer mit dem von Verena Dengler gestalteten Preis.

Im Schachbrettmuster sicher im Kino

Auf der Diagonale nehmen alle Gäste im Kinosaal im Schachbrettmuster Platz. Und dennoch ist es dem Festival gelungen, auf 75 Prozent des regulären Angebots zu kommen: Diesmal bespielt die Diagonale das ganze Annenhof-Kino und hat die Helmut-List-Halle neben der Eröffnung noch für die Gala-Premieren von „Sargnagel“ und „Me, We“ zur Verfügung.

Quer durch das Programm sind viele Vorführungen bereits ausverkauft, doch es gibt für einige auch noch Karten, und spontanes Vorbeischauen ist auch in Zeiten von 3-G-Vorschriften möglich. Nach der Eröffnung, gerade hinaus aus der Helmut-List-Halle in Graz schnappte sich das geladene Publikum die FFP2-Masken geradezu aus dem Gesicht. Herzliche Umarmungen gab es schon vor Beginn, die 3-Gs wurden ja sorgsam kontrolliert am Einlass.

Und wie schön aufregend ist das, wenn man direkt nach einem Film dann entweder im Publikumsgespräch oder zufällig in den Straßen und Gassen der Stadt Protagonist*innen begegnet. Auch Tischa Thomas, die Bodybuilderin aus „I Am The Tigress“, ist schon in Graz gelandet. Und morgen Abend auf fm4.orf.at ist der Film „I Am The Tigress“ im Stream zu sehen.

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