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Greentea Peng

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Greentea Peng’s Debüt ist wie Balsam für suchende Seelen

Die 26-jährige Musikerin aus London hat 2017 am Strand von Mexiko in einer Open Mic Session ihre Stimme entdeckt. Vier Jahre später liefert sie mit ihrem Debütalbum „Man Made“ Spiritualität und Klassenbewusstsein zugleich.

Von Melissa Erhardt

Konzerte auf fahrbaren Untersätzen zu geben ist 2021 eigentlich keine Innovation mehr. Schon vor 17 Jahren sind U2 für ihr Musikvideo zu „All Because of You“ auf einem Pritschenwagen durch die Straßen New Yorks gefahren – dicht gefolgt von johlenden Fans und lauten Polizeisirenen.

2020 hat es ihnen der Reggaeton-Popstar und Hobby-Wrestler Bad Bunny gleichgetan: Auch er fuhr, in einem langen Wintermantel performend, von Harlem bis in die Bronx, um sein Album YHLQMDLG zu promoten. Auf YouTube verfolgten ihn dabei rund 1,5 Millionen Menschen.

Letzten Freitag gab es wieder einmal so eine Performance, die sich in die Reihe der Konzerte-on-the-Road einordnen wird: Die britische Musikerin Greentea Peng hat ihre Fans, gemeinsam mit ihrer Band, mit einem Spontan-Gig beglückt. Diesmal aber auf keinem Truck, sondern – wie soll es in London auch anders sein – auf einem roten Doppeldecker Bus, dem „Seng-Mobile“.

Die 26-jährige Musikerin aus dem Süden Londons setzte damit mehr oder weniger um, was sie mir ein paar Tage zuvor noch in einem Interview erzählt hatte:

Albumcover "Man Made"

Greentea Peng / Universal Music

„Man Made“ ist am 4. Juni bei Universal Music erschienen.

„Ich mach keine Virtual Shows, ich will diese neue virtuelle Realität nicht bestärken. Also versuch ich irgendwie durchzuhalten, bis die Gigs zurückkommen. Und wenn die Gigs nicht zurückkommen, dann fange ich einfach an, auf der verdammten Straße zu spielen“.

Eine einzige Jam-Session

Es hätte aber wohl keine passendere Art und Weise für Aria, so Greentea Peng’s eigentlicher Name, geben können, ihr Debütalbum zu promoten: Die spontane und niederschwellige Ankündigung auf Instagram passt wie angegossen zu „Man Made“, einem Album, das so klingt, als wäre man mitten drin in einer der lebendigen Jam-Session von Aria und ihrer Seng Seng Band, umgeben vom Duft indischer Räucherstäbchen und anderer berauschenden Substanzen.

Auf insgesamt 18 Tracks liefert sie einen Sound, der irgendwo zwischen Lauryn Hill und Amy Winehouse, zwischen Rastafari-Philosophie und Millenial-Spiritualität, Gesellschaftskritik und Systemmisstrauen und einem vielfältigen Genre-Mix einzuordnen ist. Oder, wie ein YouTube-Kommentar fantastisch festhält: „Greentea Peng is Amy Winehouse with perfectly aligned chakras“. Entstanden sind die Tracks in einer einmonatigen Session, abgekapselt von jeglicher Ablenkung.

„Es war alles sehr authentisch und irgendwie… göttlich. Es war wahrscheinlich die größte Freiheit, die ich je hatte, was das Schaffen von Musik angeht. Wir haben nichts zurückgehalten. Es war das erste Mal, dass ich von Anfang an mit der Band zusammengearbeitet habe. Normalerweise bekomme ich die elektronischen Tracks von Earbuds, schreibe etwas dazu und später, wenn der Song soweit fertig ist, ersetzen wir ein paar Sounds durch richtige Instrumente. Aber für das hier waren wir alle in einem Haus, von morgens bis abends, 24 Stunden am Tag, einen Monat lang, um einfach Musik zu machen. Das war sehr befreiend“.

Bis auf ein paar wenige Tracks wurde der Großteil gefreestyled und auf der Stelle kreiert. Besonders stark zur Geltung kommt dieser spontane Charakter etwa auf dem zweiten Track, „This Sound“, wo Aria auf einem bassgetriebenen, Dub-inspirierten Rhythmus in Spoken-Word-Manier versucht, ihren eigenen Sound in Worte zu fassen: „This Sound is sensual / And plentiful / Alchemical / It’s medicine and medical / Like medicine / Now open wide and let it in“. Unterbrochen wird das Ganze von improvisierten Trompeten und Wah-Wah-Gitarren.

Ein „medizinischer Sound“ mag zwar etwas weird klingen, wenn man aber die Hintergründe dazu kennt, ist es gar nicht mehr so weit hergeholt: Aria hat sich für eine Aufnahme in 432 Hertz entschieden; einen Halbton tiefer, als es in der Musik der Standard ist. Wie das funktioniert: keine Ahnung. Der 432-Hertz-Frequenz wird jedenfalls eine beruhigende und tiefenentspannende Wirkung nachgesagt - wirkliche Belege gibt es dafür aber nicht.

Aria dazu: „Ich hab mich damit seit Jahren immer wieder mal beschäftigt. Künstler wie Jimi Hendrix haben ihre Musik in 432 Hertz gemacht, zumindest hab‘ ich das gelesen. Die Intention des Albums war es, eine Art Heilung anzubieten, die ich in der Zeit so dringend gebraucht habe – und die man in so einer schwierigen Zeit generell braucht. Warum also nicht einfach die Frequenzen manipulieren und das Ganze auf ein neues Level bringen?“

Zwischen Consciousness und Healing

Balsam für die spirituelle Seele, das ist „Man Made“ auf jeden Fall. Nicht nur durch die Frequenz, auch mit den Lyrics besinnt sich Aria auf das Göttliche, the divine. So dankt sie auf „Mataji Freestyle“, einer Art musikalischen Manifestation, mit den Lyrics „Thanks Ma“, nicht ihrer wirklichen Mutter, sondern der hinduistischen göttlichen Mutter Kali. Auch der Track Kali V2 ist der Göttin des Todes und der Zerstörung, aber auch der Auferstehung gewidmet, wenn es heißt: „May Kali’s fire burn you down, rid this land free of rotten crown“.

Dass Aria selbst noch nicht ganz auf dem Level an Spiritualität ist, auf dem sie gerne wäre, wird etwa auf „Earnest“ deutlich – ein Song, der stark an den Urban Jazz von IAMDDB erinnert: „One foot in the material, the other in the spiritual / Sometimes, I lose myself / I don’t know which way I am goin’ (…) My Hare Krishna boys tell me it’s ’bout service / But if my mind binds me here / Are my words to God earnest?” Es ist vor allem diese Ehrlichkeit, sich auch mit ihren Schwächen auseinanderzusetzen, die „Man Made“ so berauschend macht. Auf die Frage, ob sie mit den inneren Kämpfen, die ihre Musik seit ihrer ersten EP an begleiten, heute besser umgehen kann, sagt sie:

„Nein, ich glaube nicht, ich erforsche sie denke ich nur tiefer und arbeite die Knoten langsam raus. Die beste Art und Weise, etwas zu heilen, ist, sich eingehend damit zu befassen, das versuche ich mit meiner Musik. Ich hoffe natürlich, dass diese inneren Kämpfe nicht für immer präsent bleiben, aber gleichzeitig ist es sehr optimistisch zu denken, dass sie das nicht tun würden.“

Gesellschaftskritik und Politikverdrossenheit

Greentea Peng’s Album auf Spiritualität, Meditation und Chanting zu beschränken wäre aber zu kurz gegriffen. Getreu der Rastafari-Philosophie, die sich auch durch die Reggae- und Dub-Elemente der Platte immer wieder bemerkbar machen, lässt „Man Made“ auch eine große Portion Gesellschaftskritik und Politikverdrossenheit über – und das nicht nur, wenn Babylon (die im Reggae oft verwendete Bezeichnung für den korrupten, rassistischen und kapitalistischen Westen) in Flammen steht: „Viel auf dem Album ist ein Produkt des letzten Jahres und dieser globalen Katastrophe, in der wir uns befunden haben und noch immer befinden. Es ist eine sensible Zeit“.

Bezeichnend dafür sind die Tracks „Free my People“, „Kali V2“ oder ganz besonders „Poor Man Skit“, wo Aria singt: „Why must a poor man / steal from the poor man / hate on the poor man (…) like he ain’t a poor man” um dann zu fragen „Who is the real poor man? Is it the man that shows his success with objects? Or the man that thinks money is the only objective?”.

Insgesamt klingt Greentea Peng’s Debüt wie seine Produktion: Spontan und warm, als wäre man beim Hören mittendrin in einer Live-Session, umgeben von den Düften berauschender Gräser. Es bietet damit einen wunderbaren Soundtrack zum Abschalten und Runterkommen: Von dem letzten Jahr, von den inneren „Battles“ und allem anderen, was einen Tag für Tag aus der Fassung bringt. Die tatsächlichen Banger kann man wahrscheinlich auf einer Hand abzählen, aber das macht nichts. Das Album sollte man sowieso in einem Durchgang genießen.

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