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Erich Moechel

EU-Kommission zu Mängeln in Österreichs Schengen-System

Der österreichische Teil des Schengen-Systems ist in Teilen offenbar nicht fertig ausprogrammiert. Rätselhafterweise empfiehlt die Kommission aber auch, die „Section Control“-Systeme wieder anzuschließen.

Von Erich Moechel

Die EU-Kommission hat dem Ministerrat ihren Abschlussbericht zum Einsatz des Schengener Informationssystems (SIS) durch das österreichische Innenministerium vorgelegt. Das geht aus einem als „sensitiv“ eingestuften Ratsdokument vom 2. Juni hervor, das ORF.at vorliegt. Aus den darin enthaltenen Empfehlungen zur Mängelbehebung an Österreich sticht eine ganz besonders hervor.

Die Kommission empfiehlt da nämlich, „das in Österreich verwendete System zur Erkennung von Kfz-Kennzeichen wieder an das SIS anzubinden“. Die geplante Vernetzung dieses Systems aber hatte der österreichische Verfassungsgerichtshof (VfGH), wie auch die Weiterverarbeitung von Daten aus der Section-Control, bereits 2019 als unverhältnismäßig verworfen. Dazu wurde nun eine Anfrage an das Innenministerium gestellt.

Dokumente EU Kommission zu Österreichs Schengen-System

EU Kommission

Diese Passage lässt wenig Zweifel offen, dass die EU-Kommission damit LIDAR-Systeme zum automatisierten Einlesen von Autokennzeichen meint, wie sie auf einer ganzen Reihe von Autobahnstrecken routinemäßig von der ASFINAG eingesetzt werden, um die Einhaltung von Geschwindigkeitsbeschränkungen zu überprüfen. Auch bei regionalen Fahndungen, etwa nach Einbruchsserien in grenznahen Regionen werden solche Systeme zeitlich begrenzt seit Jahren eingesetzt. Da die Evaluation aufgrund ihrer Einstufung als „sensitiv“ nirgendwo einsehbar ist, stellt es FM4 für Evaluationen durch die Zivilgesellschaft zur Verfügung.

Dazu in ORF.at

Der VfGH hatte im Dezember 2019 Teile des „Sicherheitspakets“ der damaligen ÖVP-FPÖ-Regierung gekippt. Darunter waren der „Bundestrojaner“ sowie die automatische Kennzeichenerfassung.

Was der VfGH 2019 verworfen hatte

Das noch unter der großen Koalition unter dem damaligen Innenminister Wolfgang Sobotka begonnene „Sicherheitspaket“ wurde dann von der ÖVP-FPÖ-Koalition unter dem neuen Innenminister Herbert Kickl 2018 verabschiedet. Dadurch hatten die Behörden vorerst das Recht erhalten, die von den Section-Control-Anlagen der Autobahnen erfassten Daten automatisch auszuwerten. Außerdem hätte die Polizei auf Überwachungskameras von Verkehrsbetrieben, Autobahnen und Flughäfen zugreifen können. Geplant war überdies, dass dahinter dann Gesichtserkennungs-Software laufen sollte.

Dieses System war also für flächendeckende Rasterfahndung auf Österreichs Straßen und im gesamten öffentlichen Verkehr samt Vorratsspeicherung der erhobenen Daten konzipiert. Die Bürgerrechts-NGO Epicenter.works hatte gegen dieses „Sicherheitspaket“ mobilisiert, bis mehrere Nationalratsabgeordnete (NEOS, SPÖ) Klage gegen das „Sicherheitspaket“ eingereicht und im Dezember 2019 vor dem VfGH Recht bekommen hatte. Die „verdeckte Erfassung und Speicherung von Daten zur Identifizierung von Fahrzeugen und Fahrzeuglenkern“ sei „im Lichte des verfolgten Ziels unverhältnismäßig“, hieß es dazu vom VfGH. Die Ermächtigung der Sicherheitsbehörden sei ein „gravierender Eingriff“ in die Geheimhaltungsinteressen im Sinne des Datenschutzgesetzes sowie das Recht auf Achtung des Privatlebens nach der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK). Auch die Verarbeitung von Daten aus der Section-Control wurde 2019 unter anderem mit Verweis auf die EMRK gekippt.

Dokumente EU Kommission zu Österreichs Schengen-System

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Die Klassifizierung dieses Dokuments als „sensitive“ widerspiegelt die absurde Geheimniskrämerei des Rats. In der Fußnote zu „sensitive“ sind die Regeln für den Umgang mit dem Dokument angemerkt: „Nicht an öffentlichen Orten offen tragen oder lesen. Das Dokument muss für Transmission und Speicherung sicher verschlüsselt werden. Allfällige Kopien müssen geschreddert werden“. Die genauen Regeln der Kommission für den Umgang mit solchermaßen eingestuften Dokumenten umfassen zwei A4-Seiten.

Schengen-Systeme nicht fertig ausprogrammiert

Die ASFINAG hatte noch während der Gesetzeswerdung angeführt, dass ihre LIDAR-Systeme für eine einfache Geschwindigkeitsmessung jedes Fahrzeugs mit anschließender Löschung aller Daten ausgelegt seien. Ein Echtzeitabgleich oder eine Speicherpflicht würden die Systeme restlos überlasten. Dasselbe traf wenigstens bis Oktober 2020 auf die automatischen Passkontrollen an den österreichischen Flughäfen zu, als eine Expertengruppe aus mehreren EU-Staaten im Auftrag der EU-Kommission die österreichische Schengen-Datenverarbeitung vor Ort überprüfte.

Für die „Anwendung in der ersten Kontrolllinie“ - das ist der automatisierte, biometriegestützte Abgleich des Passfotos mit dem Gesicht der einreisenden Person - sollen „die Verbindungsprobleme gelöst werden“, dass „die Anwendung schneller arbeitet“. Da durch die Gesichtserkennung weitere Latenzen hinzukommen, sind diese automatisierten Systeme insgesamt deutlich langsamer als Passkontrollen durch einen Beamten vor Ort. Desgleichen bemängelte die EU-Expertengruppe die Benutzbarkeit aller in Österreich eingesetzter Schengensysteme, zudem haben die Softwares ganz offensichtlich noch Schwierigkeiten, Aliasprofile bzw. Identitätsbetrug korrekt darzustellen, überall fehlen Verknüpfungen insbesondere zu Bildmaterial. Von der Grenzpolizei bis in die Büros des Innenministeriums dürften die Schengen-Applikationen nicht fertig ausprogrammiert sein.

Dokumente EU Kommission zu Österreichs Schengen-System

EU Kommission

Das SIS wird durch das System SIRENE ergänzt, das jeweils aktuelle Zusatzinformationen aus den Mitgliedsstaaten zu den Basisdaten des SIS enthält.

Im EU-Ministerrat wird derweil heftig um neue Kompetenzen für Europol gerangelt.

Die Summe unscheinbarer Mängel

Auch bei der Kommunikation zwischen den österreichischen Polizeibeamten und den SIRENE-Administratoren ist noch viel Luft nach oben. Die Expertenkommission verlangt nämlich „den Kontakt der Endnutzer mit den SIRENE-Mitarbeitern zu erleichtern, indem eine einheitliche Telefonnummer eingerichtet“ werde, „die zu den Geräten mehrerer Mitarbeiter führt“. Die geforderte 24/7 Verfügbarkeit scheint also in Österreich noch nicht durchgehend gewährleistet zu sein. Auch eine ganze Reihe von weiteren Empfehlungen betreffen fast nur Umsetzung von Maßnahmen, „Best Practices“ und die interne Organisation.

Die Evaluation enthält aber auch Lob. So werden die „Back-Ups mit Datenkonsistenzprüfungen“ im österreichischen Teil des SIS oder der „Automatisierungsgrad des SIRENE-Workflow-Management-Systems“ und weitere Punkte als bewährte Vorgehensweisen eingestuft. In der Praxis aber entscheiden die angeführten, eher unspektakulären Mängel, ob die EU-weite Zusammenarbeit auf Polizeiebene funktioniert, oder eben nicht. Der Fall des Attentäters, der im Wiener Bermuda-Dreieck ungehindert vier Menschen töten konnte, obwohl er dem deutschen Verfassungsschutz, dem österreichischen BVT und auch den slowakischen Polizeibehörden in den Monaten davor mehrfach aufgefallen war, zeigt, welche mörderische Konsequenzen die Summe aus Nicht-Erreichbarkeit wegen Urlaubs, Kommunikationsfehlern und versäumten Fristen haben kann.

Das Innenministerium hat geantwortet

Am Montag kam die Antwort auf die beiden Fragen von ORF.at aus dem Innenministerium. „Die Evaluierung hatte keinen besonderen Anlass“, zumal „solche Evaluierungen in allen EU Staaten in einem 5-jährigen Zyklus“ erfolgten. Eine direkte Klärung, wie die Empfehlung der Kommission, die Section-Control-Systeme wieder mit dem Schengen-Informationssystem verbinden, in die Evaluation gekommen war, gab es nicht. Festgestellt wurde aber: „Mit der Aufhebung der gesetzlichen Bestimmungen – konkret § 54 Abs. 4b SPG – durch den Verfassungsgerichtshof - wurde auch der Betrieb der Kennzeichenerkennungssysteme eingestellt.“

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