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Interview

Euro 2020: Österreich soll bitte nicht Europameister werden

Literaturwissenschafter und Fußballfan Klaus Zeyringer kritisiert im FM4-Interview die Sonderrechte der Fußballverbände und sagt, warum ein privater EM-Boykott keinen Sinn macht.

Heute, Freitag, beginnt die Fußball-Europameisterschaft 2020. Ein Jahr zu spät, aber immerhin dann doch. Und sogar mit Zuschauer*innen im Stadion, ein paar tausend zumindest. In ganz Europa findet diese Fußball-EM statt, von Sevilla bis Sankt Petersburg, von Baku bis Glasgow. Das Eröffnungsspiel am Freitagabend ist in Rom, es spielen die Türkei und Italien.

Wir sprechen mit Klaus Zeyringer, Literaturkritiker, Germanist und auch großer Sportfan, der mit „Das wunde Leder“ bereits vor drei Jahren die Probleme des Fußballs analysiert hat und dieses Jahr mit „Schwarzbuch Sport“ eine Systemkritik des Sportwesens verfasst hat.

Klaus Zeyringer sitzend an einem Tisch

privat

Radio FM4: Sie beschreiben die dunklen Seiten des Sports, Korruption, Geschäftemacherei, Doping und Betrug. Klaus Zeyringer, werden Sie sich die Fußball-EM heuer anschauen bzw. macht Ihnen das Fußballschauen überhaupt noch Spaß?

Klaus Zeyringer: Es geht mir wie sicherlich vielen anderen Menschen, die sich für Sport interessieren: Der Sport ist extrem faszinierend, Fußball ist extrem faszinierend, deswegen gibt es auch viele Zuschauer und Zuschauerinnen. Andererseits: Wenn man die Zustände analysiert, wenn man sich genauer erkundigt, wie der Betrieb funktioniert, dann muss man das ganz anders betrachten und kann eigentlich nur mit einem lachenden und einem weinenden Auge dem Ganzen entgegensehen.

Radio FM4: Die Weltmeisterschaft nächstes Jahr in Katar steht stark in der Kritik. Abgesehen davon, dass dort vielleicht nicht unbedingt die besten klimatischen Voraussetzungen herrschen, um Leistungssport zu betreiben. Von 6.500 toten Bauarbeitern für die WM-Stadien sprechen Medien und von Menschenrechtsverletzungen, die dort an der Tagesordnung sind. Aber auch die heurige EM findet in Ländern wie Aserbaidschan oder Russland statt. Was lässt sich daraus über Fußball in Europa bzw. Fußball allgemein ablesen?

Klaus Zeyringer: Es lässt sich etwas über den Welt-Fußball-Betrieb ablesen, und zwar, dass er das Monopol von mächtigen Verbänden und mächtigen alten Männern in diesen Verbänden ist. Dass diese Verbände in der Schweiz ihren Sitz haben, wo sie wenig Steuern bezahlen und dass sie überall, wo sie ihre Veranstaltungen durchführen, praktisch extraterritorial arbeiten. Das heißt also, dass sie der Meinung sind, dass das allgemeine Recht für sie nicht gelte. Und das führt dazu, dass wir einen Betrieb haben, der in erster Linie kommerziell organisiert ist, wiewohl er so tut, als wäre er gemeinnützig. Und das ist das grundsätzliche Problem mit der ganzen Struktur und dem System dieser Verbände, ob das jetzt FIFA oder UEFA ist.

Radio FM4: Ein anderes Beispiel. Jetzt hat die UEFA ja vor ein paar Wochen für Aufsehen gesorgt, weil sie mitten in der dritten Corona-Welle gefordert hat, dass die Veranstalterstädte garantieren müssen, dass sie zu den Spielen der EM Zuschauerinnen und Zuschauer ins Stadion lassen. Und sie hat auch zwei Städte, die das nicht garantieren können oder wollten, nämlich Dublin und Bilbao, von der Liste gestrichen. Sollte es jetzt nicht wichtigere Dinge geben als Zuschauerinnen und Zuschauer im Stadion mitten in einer Pandemie?

Klaus Zeyringer: Selbstverständlich sollte es das und es sollte überhaupt wichtigere Themen geben. Und es sollte andere Relationen geben, was etwa die Gehälter betrifft. Gehälter der durchschnittlichen Bundesligafußballspieler im Vergleich zu den Pflegern und Pflegerinnen, die gerade seit einem Jahr Großartiges leisten. Und man muss bedenken - und da sollten die Medien viel genauer darauf schauen -, dass diese großen Verbände, im Übrigen auch das IOC, von den Ländern, in denen sie veranstalten, einen Vertrag verlangen, der ihnen Exterritorialität garantiert. Das heißt im Stadion und um das Stadion gilt nun nicht mehr das Recht des Landes und des Staates. Und im Übrigen geben unsere Staaten für solche Veranstaltungen mindestens fünf wesentliche Hoheitsrechte an diese Schweizer - rechtlich gesehen - Vereine ab.

Radio FM4: Ein paar Wochen vor der EM hat es große Aufregung gegeben um die Super League. Da wollten ja einige große Vereine eine quasi geschlossene Liga gründen, ohne Auf- und Abstieg, nur sie unter sich. Das ist dann ein Fan-Protesten gescheitert. Sponsoren sind abgesprungen und auch der europäische Fußballverband, die UEFA, hat heftig dagegen reagiert. Ist diese Sache jetzt ein für alle Mal vom Tisch?

Klaus Zeyringer: Nein, natürlich nicht. Es wird auch weitergehen, denn insgesamt funktioniert der internationale Sportbetrieb in den reichen Sportarten so, dass es weniger um Sport geht, sondern viel mehr um Geld. Das heißt, es handelt sich nicht um wirkliche Vereine oder Verbände, sondern das sind im Grunde multinationale Konzerne, die noch dazu ein Monopol haben, noch dazu wenig öffentlich Kontrolle für sich haben und die außerdem wenig öffentliche Kontrolle hinnehmen müssen. Und dadurch entstehen solche Situationen. Das heißt, wir werden das weiterhin sehen. Im Übrigen ist die Super League nicht in erster Linie am Fan-Protest gescheitert, sondern in erster Linie an politischen Interventionen, etwa von Boris Johnson, von Putin, von Macron und anderen.

Radio FM4: Jetzt sind viele dieser Phänomene außerhalb des Sports in der Wirtschaft völlig normal. Dass große Player, ganze Branchen, aber auch Staaten die Bedingungen diktieren, dass fast alle Lebensbereiche zu Geld gemacht werden. Warum löst das ausgerechnet im Fußball dann solche Proteste aus?

Klaus Zeyringer: Weil der Fußball etwas ganz anderes behauptet. Im Übrigen auch das IOC, also der Sportbetrieb, behauptet ja für die Menschheit da zu sein, human und gemeinnützig zu arbeiten. Und nachweislich ist das nicht wirklich der Fall. Das heißt, der Sportbetrieb verschafft sich Vorteile, die er etwa im Steuerwesen bekommt - was ja Konzerne auch bekommen, wie wir wissen - aber der Sportbetrieb wird viel weniger kontrolliert und kann dadurch in der Hand von Netzwerken alter Männer sein.

Radio FM4: Sport, der für die Menschen da ist. Besteht da nicht die Gefahr, wenn man Ausnahmen für den Fußball macht, dass dann die Menschen panem et circensem-mäßig einfach abgelenkt werden von den Verhältnissen und einfach den Sport konsumieren?

Klaus Zeyringer: Selbstverständlich. Das ist eine der Funktionen des Sports und deswegen funktioniert das ja auch so. Und deswegen hofiert die Politik, egal in welchen Ländern, auch den Sportbetrieb. Und deswegen geht es völlig unter, dass für die reichen Fußballprofis Ausnahmen gemacht werden, jedoch die Kinder und Jugendlichen in unseren Ländern die längste Zeit nicht einmal trainieren durften.

Radio FM4: Um noch einmal auf das Thema Europameisterschaft zurück zu kommen, eine persönliche Frage: Wie viele Spiele der Europameisterschaft werden Sie sich ansehen?

Klaus Zeyringer: Ja, wahrscheinlich eher weniger. Genaueres weiß ich noch nicht. Was ich mit Sicherheit weiß ist, dass ein Zuseher-Boykott ganz gut wäre, aber nicht durchführbar ist. Wir haben das bei der WM in Russland versucht und haben das in unserem Buch „Das wunde Leder“ vorgeschlagen. Aber meine beiden Co-Autoren haben das selbst nicht geschafft und ich nur mit der größten Mühe. Also habe ich feststellen müssen, dass es eigentlich nicht durchführbar ist, wenn man sich selbst boykottiert.

Radio FM4: Haben Sie einen Wunsch für einen Europameister?

Klaus Zeyringer: Ich habe nur einen Wunsch, wer nicht Europameister werden sollte, das wäre Österreich, das wäre Frankreich, das wäre Deutschland. Dort würde dann der Nationalismus noch wesentlich steigen. Und das finde ich eigentlich gar nicht gut.

Radio FM4: Wie weit glauben Sie, wird Österreich bei der EM kommen?

Klaus Zeyringer: Ich fürchte, Österreich wird vielleicht sogar die erste Runde überstehen. Ich sage „ich fürchte“, denn was die im Moment spielen, was die für einen Angsthasenfußball spielen, das ist nicht anzusehen und furchtbar fad.

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