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CC0 / Pixabay

„Unsere anarchistischen Herzen“ von Lisa Krusche ist ein sommerliches Teenie-Buch mit Tiefgang

Der erste Roman von Lisa Krusche wirkt auf den ersten Blick wie ein typisches Teenie-Sommerbuch, überrascht aber mit unverhofftem Tiefgang und überzeugt mit zwei einnehmenden Hauptfiguren.

Von Alica Ouschan

Buchcover "Unsere anarchistischen Herzen"

S.Fischer

„Unsere anarchistischen Herzen“ von Lisa Krusche hat 448 Seiten und ist im S. Fischer Verlag erschienen.

Diesen Donnerstag beginnen die 45. Tage der deutschsprachigen Literatur in Klagenfurt, am Samstag wird dann unter anderem der Ingeborg-Bachmann-Preis verliehen. Eine Autorin, die letztes Jahr in Klagenfurt gelesen hat und dort auch den Deutschlandfunk-Preis für deutschsprachige Literatur abgeräumt hat, ist Autorin Lisa Krusche aus Hildesheim in Deutschland. Ende April 2021 hat Lisa Krusche, die bisher vor allem Kurzprosa und Essays verfasst hat, ihren ersten Roman veröffentlicht.

Diese Aufeinanderzu-Geschichte hat es in sich

„Unsere anarchistischen Herzen“ erzählt die Geschichte einer Teenager-Freundschaft, vom Wunsch dazuzugehören und verstanden zu werden. Im Stil einer klassischen Aufeinanderzu-Geschichte lernen wir zwei junge Frauen kennen, die unterschiedlicher nicht sein könnten und sich beide mitten in der Selbstfindungsphase ihrer Teenagerjahre befinden.

Gwen, die Tochter reicher Eltern, ist auf der Flucht vor sich selbst, auf ständiger Suche nach Krawall und männlicher Bestätigung. Sie kämpft mit unkontrollierbaren Wutausbrüchen, ihrer Familie, die auf heile Welt macht, während sie zerbricht und nicht zuletzt mit ihrer eigenen Identität. Nacht und Nebelaktionen, unüberlegtes Haare Färben und andere impulsive Handlungen bestimmen Gwens Leben, die mehr als alles anderen ihren Emotionen ausgeliefert ist.

„Ich schlendere durch die Nacht. In mir drin britzelt es weiß, und es macht knackende Geräusche wie über gefrorene Blätter gehen. Ich will nicht nach Hause, ich will für immer durch die Nacht laufen.“ (Gwen)

Ihr gegenüber steht Charles aus Berlin, die mit ihrer Familie kurz vor den Sommerferien in eine Hippie-Kommune am Rand der deutschen Kleinstadt ziehen muss, in der Gwen wohnt. Weg vom besten Freund und ihrem alten Leben ist alles, was Charles dort vorerst bleibt, ihr psychisch labiler Vater, ihre eiskalte Mutter, komische Mitt-Vierziger-Mitbewohner*innen und das Pony ihres kleinen Bruders.

„Das Pony steht im Garten und säuft aus einem aufblasbaren Swimmingpool. Das Sonnenlicht fällt durch die Blätter der Bäume und alles sieht aus wie die gottverdammte Idylle, die es auch ist.“ (Charles)

Die Gedanken und Erlebnisse von Gwen und Charles werden abwechselnd erzählt, der heiß ersehnte Höhepunkt ihres ersten Treffens wird dabei unendlich lange aber gerade lange genug hinausgezögert. Autorin Lisa Krusche nimmt mühelos die markanten Perspektiven beider Frauen ein. Sie arbeitet den Kontrast und die Gemeinsamkeiten der Gefühle und Charakterzüge der beiden Figuren hervor, die einen, jede auf ihre Art, sofort in den Bann ziehen.

Herrlich überladener Jugend-Pathos

Lisa Krusche macht sich für die Erzählweise ihres Romans einen jugendlich-überladenen Pathos zu eigen, der authentisch bleibt, indem die Autorin zum Beispiel Gwens Handynotizen in die Erzählung einstreut, die von siebzehnjähriger Expression nur so strotzen. Ertappt fühlt man sich beim Lesen nicht nur an den Stellen, wo diese wirren, dramahaften Gedanken hochkommen. „Unsere anarchistischen Herzen“ bietet auf jeder Seite Möglichkeiten, sich in die beiden Figuren hineinzuversetzen und sich durch sie gesehen und gehört zu fühlen.

„so stelle ich mir erwachsenwerden vor: arme die mich halten & mein mädchen als komplizin für die rituellen operationen manchmal fließt ein bisschen blut aber in den lücken die bleiben kann die hoffnung wachsen“ (Gwen)

Obwohl das Buch sowohl thematisch als auch stilistisch als klassischer Adoleszenzroman einzuordnen ist, sticht es durch gezielten Zynismus, authentisches Einstreuen einer Prise von jugendlichem Slang und einem Hauch Selbstironie an den richtigen Stellen hervor. Lisa Krusche schreckt außerdem nicht davor zurück, schwierige Themen anzusprechen. Ihr gelingt das Kunststück, laue Sommernächte mit tiefgründigen Gesprächen, depressive innere Monologe und jugendliche Lebenskrisen in Worte zu fassen, ohne dabei kitschig oder seifenopernhaft zu werden. Trotz seiner Länge ist das Buch außerdem überraschend kurzweilig.

„Unsere anarchistischen Herzen“ ist kein typisches BFF-Teenie-Buch, weil es die Tiefpunkte und Grausamkeiten des Erwachsenwerdens nicht ausklammert, sondern den Finger in alle seine Wunden legt: Fragen nach Zugehörigkeit, der Wunsch, verstanden zu werden und Halt zu finden, im eigenen Gefühlschaos und die Erkenntnis, dass eine tolle neue Freundschaft zwar nicht alle Probleme löst, sie aber um einiges erträglicher macht. Das alles verhandelt Lisa Krusche in „Unsere anarchistischen Herzen“, ihrem großartigen Teenie-Sommerbuch mit unverhofftem Tiefgang.

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