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Publikum auf der Diagonale im Kino 2021.

Diagonale / Sebastian Reiser

Diagonale

Diagonale 21: Wenn Regisseur*innen Einblicke in ihre Werke geben

Das Schönste nach den Filmen sind gleich die Publikumsgespräche auf der Diagonale, von „Hochwald“ bis „Weiyena“. Noch bis morgen ist das Festival des österreichischen Films in Graz in vollem Gang und so viele Regisseur*innen sind vor Ort.

Von Maria Motter

Diagonale’21 – Festival des österreichischen Films

8. bis 13. Juni 2021 in Graz

Alle Infos auch auf diagonale.at und auf orf.at/diagonale21

Noch auf jedem Filmfestival ist der magische Moment passiert, in dem man als Besucher*in plötzlich Schauspieler*innen oder Regisseur*innen im echten Leben sieht. Regisseurin Evi Romen und Schauspieler Thomas Prenn waren gestern vor dem UCI Annenhof-Kino, als ein Grazer mit seinem selbstgebauten E-Hockerchen mit Rädern am Gehsteig vorbeigerast ist, während ich star-struck war wie Jahre nicht. Weil Evi Romens „Hochwald“ ist ein Meisterwerk, von der ersten Szene an.

Thomas Prenn und Evi Romen auf der Diagonale vor dem Annenhof Kino in Graz.

Maria Motter

Thomas Prenn und Evi Romen auf der Diagonale in Graz.

Premiere hatte das Drama beim Zurich Film Festival, diesen Sonntag läuft „Hochwald“ noch einmal auf der Diagonale und im Herbst kommt der Film in die österreichischen Kinos. Und Thomas Prenn ist schon im Juli im nächsten Film auf einem Festival vertreten: „Die große Freiheit“ von Sebastian Meise ist nach Cannes eingeladen worden und läuft dort in der Sektion „Un certain regard“. Sebastian Meise gewann 2012 den großen Diagonale Preis Spielfilm für „Stillleben“.

Das Festival des österreichischen Films in Graz ist also eine Raststätte auf dem Weg zum Sehnsuchtsort an der Sonne, wie das die Intendanten vor drei Tagen als ein Bild für diese Diagonale ausgaben, nach einem Jahr des Bangens um Gesundheit, Arbeitsmöglichkeiten und Wiedersehen.

In den Grazer Kinos ist die Öffnung nach dem letzten Lockdown gut angelaufen. Barbara Brunner, die Geschäftsführerin vom KiZ RoyalKino, freut sich sehr, dass die Diagonale wieder da ist: „Zum Auftakt so ein Festival ist wunderbar und bringt das ganze Leben wieder zurück“. Die Vorschriften zum Schutz vor Covid19, die Maskenpflicht und die 3G-Regelungen sind allerdings Hürden für Kinobesuche, stellt Barbara Brunner fest. Für den Sommer wünscht sie sich möglichst wenige Beschränkungen, der Ausblick auf die Filme der nächsten Wochen ist sehr schön. Und erfreulich viele Diagonale-Filme haben bereits Starttermine. Der Eröffnungsfilm „Fuchs im Bau“ läuft bereits nächste Woche an.

Eine emotionale Achterbahnfahrt

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„Wir wollten immer dahin, wo die Satelliten leuchten, immer wieder eine Runde im Karussell drehen und die Lichter der Sterne sehen“, sagt Valerie Pachner in ihrer Rolle als Anna in „Another Coin for the Merry-Go-Round“. Das Drama rund um Freunde, die sich die Nächte um die Ohren schlagen, in Proberäumen Innigkeit zelebrieren und doch verloren gehen. „Aber jetzt merkte ich, dass mich die Lichter immer nur geblendet haben und ich nicht bei den Sternen hätte stehenbleiben sollen.“ Dazu pulsiert „Comb Job/Sic Owl“ von A Thousand Fuegos, einer der schönen Songs des handverlesenen Soundtracks, und Valerie Pachner ist am Ende einer emotionalen Achterbahnfahrt angekommen. Dieses Langspielfilmdebüt ist intensiv, ja auch anstrengend in den ersten zwanzig Minuten, doch es lohnt sich, dranzubleiben.

In wenigen Drehtagen realisierte Hannes Starz mit seinem Cast an schauspielernden Musikern und auch singenden Schauspieler*innen die Geschichte, die ihn aus mehreren Gründen Jahre beschäftigt hatte. „Der Grund waren Sachen, die mich immer verwirrt haben und ich dachte, vielleicht schaffe ich das über die Fiktion, indem ich eine Geschichte erfinde. Dann gab es tatsächlich einen Vorfall, wo ein Freund verschwunden ist“, erzählt Hannes Starz im FM4-Interview. Hannes Starz schrieb das Drehbuch, setzte am Set jedoch viel auf Improvisation. Der längste Take hatte 35 Minuten.

Valerie Pachner umarmt David Öllerer innig im Film "Another Coin for the Merry-Go-Round".

KGP Filmproduktion

„Another Coin for the Merry-Go-Round“

Inszenierungen des Künstler*innendaseins als tage- und nächtelanges Abhängen sind auf dieser Diagonale keine Seltenheit. Ob in „Another Coin for the Merry-Go-Round“ oder auch „Sargnagel - der Film“, der deutliche Längen hat, tolle Auftritte von David Scheid als Verleger und Veronica Kaup-Hasler als Gemeindebaubewohnerin, eine beeindruckend spielende Hilde Dalik – das gleich in zwei Rollen – und das rettende Schmunzeln Stefanie Sargnagels. Sehr schön ist die Passage der Lesereise, insgesamt wirkt die Inszenierung aber altbacken und viel zu sehr um Klamauk bemüht.

Auch zwei Anfang Dreißig: Die Dokus „Eva-Maria“ und „Soldat Ahmet“

“Soldat Ahmet” und “Eva-Maria“ sind zwei Porträts Dreißigjähriger, die sehr persönlich erzählt sind und doch genau vom Leben zum Beginn des dritten Jahrtausends berichten. Ahmet ist Berufssoldat, Sanitäter, und liebt das Schauspielen, er ist Sohn türkischer Einwanderer und statt eines Kleinkindes krabbelt in seinem Wohnzimmer eine Schildkröte auf ihn zu. Eine kleine Tomate rollt zuerst ins Bild, das Tier eilt hinterher. Die Szene ist eine der besten dieser Diagonale.

Eva-Maria will nicht kinderlos leben. Sie arbeitet an der Pädagogischen Hochschule in Innsbruck, ist auf einen Rollstuhl und einen persönlichen Assistenten angewiesen und hat den Vater ihres Kindes im Internet nach Wunschkriterien ausgesucht. Dem Filmemacher und persönlichen Assistenten Lukas Ladner spielt Eva-Maria die Tonaufnahme des Samenspenders vor, der sich bereit erklärt, später auch mögliche Kontaktversuche des zukünftigen Kindes zu ermöglichen. Die Doku „Eva-Maria“ begleitet die Protagonistin durch ihre Schwangerschaft und überrascht mit all ihrer Harmonie. Das ist vor allem auch ein Film über lebenslang gelebte Mutterschaft.

Filmemacher und persönlicher Assistent Lukas Ladner und Eva-Maria sitzen im Freien. Szene aus der Doku "Eva-Maria".

Golden Girls, Bunny Beach Films, Lukas Ladner

Filmemacher und persönlicher Assistent Lukas Ladner und Eva-Maria, über deren Kinderwunsch er die nach ihr benannte, harmonische Doku gemacht hat.

Sie haben viele Dokus über Menschen mit Behinderungen zusammen angeschaut, aber mit den Repräsentationen waren sie nie zufrieden, sagt Lukas Ladner beim Publikumsgespräch nach der Österreich-Premiere. Lange dachte Eva-Maria, lieber kein Kind zu haben, aus Angst, dass es ihr weggenommen würde.

Klischees und Vorurteilen setzt auch Jannis Lenz in „Soldat Ahmet“ eine Offenheit entgegen. Da soll Ahmet für ein Stück seiner Theatergruppe weinen, doch das will ihm auch abseits der Proben lang nicht gelingen. Jannis Lenz verhandelt in seinem, sehr musisch geschnittenen Film Männlichkeitsbilder und hat Daniel Johnstons „Don’t Let the Sun Go Down on Your Grievances“ ebenso wie Hubert von Goiserns „Weit, weit weg“, interpretiert von dem Militärchor, im Film.

Eine tolle Doku nach der anderen

Sich mit allen Problemen, aber auch Sehnsüchten und auch schönen Dingen und allen Aspekten des Lebens und verschiedenen Lebenseinstellungen zu beschäftigen, das macht das Schauspiel aus, fasst es die Schauspielerin Maya Unger zusammen. Im Kurzfilm „Magda fährt Motorrad“ spielt Maya Unger die Hauptrolle, auch am Diagonale-Wochenende sind noch die beliebten Kurzfilmprogramme zu sehen.

Und Maya Ungers Ansicht über Schauspiel trifft auch auf den Dokumentarfilm zu und was Dokus betrifft, wird auf dieser Diagonale eine ganze Schatzkiste geöffnet. Festivalbesucher*innen schwärmen von „Bitte warten“ und „Weiyena - ein Heimatfilm“. Es wird sehr viel geboten auf diesem Festival des österreichischen Films. Ist man im Kino, ist es herrlich. Einzig das Bilden von Wartereihen und Abstand halten ist hierzulande leider lang nicht Teil des Alltagslebens. Aber das liegt nicht am Festival.

Serienarbeit während der Pandemie

Der Freitag bot Gelegenheit für einen Tag des Exzesses. Um halb sieben in der Früh „★“ von Johann Lurf zu schauen, ist ein herrlicher Plan. Aber die Realität erinnert manchmal eher an den witzigen und kurzen Trailer von Jennifer Mattes. Innen- und Außenwahrnehmung kleschen dann ordentlich in den ersten vier Folgen von „Ich und die Anderen“, der neuen Serie von David Schalko.

In Steadycam-Läufen und Spaziergängen durch Wien, die Haneke-Ausmaße annehmen, ist man unterwegs mit dem Werber Tristan, gespielt von Tom Schilling, der mit schwangerer Freundin, wahnsinniger Künstlerfamilie mit Mama Sophie Rois inklusive ausgestopftem Pferd und einem neuen Tech-Tool mit Produktnamen Bobbie genug um und in den Ohren hat. David Schalko sieht Tristan als Mann ohne Eigenschaften, der sich durch die Zuschreibungen der anderen zusammensetzt.

"Ich und die Anderen" mit Lars Eidinger.

Superfilm

„Ich und die Anderen“ hat eine Staffel. Eine zweite ist ungewiss.

Lars Eidinger geht barfuß auf Sand in seinem Büro, wird von Tristans Künstlerschwester Geißel genommen („Ich werde mein Hirn nicht zur Verfügung stellen für den Kunstdilettantismus dieser Bitch!“), weil er ihrer Projektion weder entsprechen kann noch will. Alle paar Meter biegt eine neue Pathologie um die Ecke, ist es eine Persönlichkeitsstörung oder doch nur ein AI-Produkt, das hier im Testlauf ist - man weiß es noch nicht. Der Schlüssel zum großen Ganzen liegt in der zweiten Staffel. Doch ob es die jemals geben wird, weiß allein der Medienkonzern Sky.

Ein „surrealer Trip“, befanden Kritiker*innen während der Branchen-Berlinale im Winter zu „Ich und die Anderen“. Für den Autor und Regisseur ist die neue Serie wie eine Simulation, ein Traum oder etwas, das im Kopf stattfindet. „Das ist alles wie ein Autounfall“, habe er von Produktionseite einmal gehört. „Was hat dich geritten, dass du so etwas schreibst?“, will eine Diagonale-Besucherin wissen und ein Diagonale-Besucher fragt David Schalko, der zwischen Folge drei und vier vorbeischaut, ob er die Serie „Legion“ kenne. Nein, wo die läuft, fragt Schalko. Lustig die Antwort, Schalko fasst sie gleich zusammen: Dann werde er die Serie illegal auf Disney Plus nachholen.

„Serien sind Figurenarbeit“

Serien sind Figurenarbeit, sagt Barbara Albert im Hotel Wiesler, während die dritte Folge „Ich und die Anderen“ im UCI Annenhof Kino läuft. Ich laufe auch, weil Barbara Albert in Graz über ihre Serienarbeit mit David Dietl für „Paradiso“ spricht. „Paradiso“ ist die achtteilige Adaption von Thomas Pletzingers großartigem Roman „Bestattung eines Hundes“. In den Hauptrollen werden Friedrich Mücke, Alina Tomnikov und Albrecht Schuch zu sehen sein.

Sowohl David Schalko als auch Barbara Albert und David Dietl haben an ihren neuen Serien während des Coronajahres 2020 gearbeitet. „Manchmal gab es Sieben-Minuten-Tage und es logistisch ein ziemlicher Wahnsinn, zu sagen, man teilt eine Serie nach Folgen auf“, sagt Barbara Albert im Gespräch über die Produktion mit achtzig Drehtagen in Bulgarien, Italien, New York, Südamerika, Finnland und Deutschland, mit einem Budget von 16 Millionen Euro für acht Folgen mit je 45 Minuten.

Das Set für die Serie „Paradiso“ in Italien wurde einmal überschwemmt. „Corona war dann immer extremer. Wir waren in einem kleinen Ort die Einzigen, die überhaupt noch leben, hatte man das Gefühl. Alle anderen waren wie verschluckt, geisterhaft. Es war ziemlich skurril phasenweise. Ein bisschen irreal war das schon, unter diesen Bedingungen zu drehen“, erzählt Barbara Albert. Immer fünf Tage und dann wieder drehfreie Tage zu haben, fand David Dietl jedoch toll. Und vor Ort in Italien war ein Editor im Team.

Barbara Albert auf der Diagonale 2021.

Diagonale/Sebastian Reiser

Barbara Albert im Werkstattgespräch über die Serie „Paradiso“

Barbara Albert im Werkstattgespräch über „Paradiso“

Barbara Albert hat nach ihrem letzten Kino-Spielfilm „Licht“ 2017 die Serienarbeit zu schätzen gelernt. Schon beim Kurzfilm war sie immer zu lang. „Ich muss wieder Regisseurin sein und nicht immer Stoffe entwickeln und warten, ob das Geld kommt“, sagt Barbara Albert. Als Regisseurin ist sie schon an der nächsten Serie: Die Mystery-Mini-Serie „Schnee“ ist in einem einst beliebten Wintersportort angesiedelt und initiiert ist das Projekt von Produzentin Ursula Wolschlager, sie hat Barbara Albert quasi in diese Serien-Gondel geholt. "Frech gesagt, finde ich, dass es im deutschsprachigen Raum noch nicht genug spannende, ambivalente Figuren gibt. Ungewöhnliche Momente! Jetzt schaue ich „Mare of Easttown", als großer Kate Winslet Fan, wo ich genau merke: Das muss man schreiben. Man muss die Szenen auch reinschreiben in die Serien“.

Ein Ende der Regiemeisterschaft?

Sie komme aus der Tradition der Regie-Meisterschaft, sagt Barbara Albert in Graz. Persönlich habe sie diesen Zugang immer abgelehnt und sich als Filmarbeiterin gesehen, die Dinge mit Produzent*innen und dem Team erarbeitet. Die Vorstellung, zusammen Regie zu führen, war ihr fremd.

„Ich habe gemerkt, ich reize da was in mir und ich weiß nicht, ob ich das schaffe“, sagt Albert offen. Jetzt bemerkt sie auch bei der Serie „Schnee“, wie toll es ist: „Je mehr, desto mehr!“ In Europa würde man aus Angst, jemand würde einem etwas wegnehmen, sich oft zurückhalten. In den USA ist das System indes so: „Ich sag’s lieber, damit ich weiß, ob die anderen nicht schon viel weiter sind als ich. Du bist viel offener.“

Einer, der grundsätzlich nur von einem „Wir“ in Bezug auf seine Arbeiten spricht, ist Sebastian Brauneis, wie er im Interview mit FM4-Filmchefin Pia Reiser erklärt. Sein Melodram „1 Verabredung im Herbst“ feierte Donnerstagabend Premiere auf der Diagonale, aus dem Titel wurde bei manchen Zuschauer*innen „Rendevous im Nebel“. Sebastian Brauneis ist mit Marlene Hauser und Lukas Watzl plus Ton- und Kameraleuten auch in Graz eifrig unterwegs. Morgen gibt es die Auflösung bei der Diagonale Preisverleihung, die auf der FM4-Website im Live-Stream zu sehen sein wird.

Sebastian Brauneis mit Team überraschen eine Schauspielerin auf der Diagonale 2021 mit einem Preis.

Maria Motter

Sebastian Brauneis filmt schon wieder! Morgen mehr dazu in der Diagonale Preisverleihung - im Live-Stream auf fm4.orf.at

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