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Sleater-Kinney "Path Of Wellness"

Nikko LaMere

Zurück zum Gitarrenpop: Sleater-Kinney und ihr 10.Album

Sleater-Kinney wurden in den 90er Jahren im Zuge der feministischen Riot-Grrl-Bewegung bekannt. Direkt nach den Aufnahmen zum letzten Album stieg Schlagzeugerin Janet Weiss aus einer der inzwischen wohl besten US-Rockbands aus. Mit dem neuesten Longplayer haben Sleater-Kinney den poppigen Hochglanz ihrer letzten Platte wieder abgelegt und kehren zu ihrem Original-Sound zurück.

von Eva Umbauer

Corin Tucker und Carrie Brownstein haben zum ersten Mal seit 24 Jahren ein Sleater-Kinney-Album ohne Drummerin Janet Weiss gemacht. Janet war bei den ersten beiden Alben der Band noch nicht dabei, aber vom 1997er-Werk „Dig Me Out“ an war sie mitverantwortlich, dass Sleater-Kinney zu einer der meistrespektierten US-Bands wurden. Für die Schlagzeug-Gigantin war vor zwei Jahren bei „The Center Won´t Hold“ dann aber nicht mehr der Platz wie zuvor, also ging Janet Weiss. Corin Tucker und Carrie Brownstein blieben mit diesem Sleater-Kinney-Album als Duo zurück.

Ihr bereits zehntes Album nennen Sleater-Kinney „Path Of Wellness“. Es handelt sich möglicherweise um einen persönlichen Pfad des Wohlbefindens, auf dem sich Sleater-Kinney befinden, oder es kann durchaus auch darum gehen, dass die Welt sich auf einen eben solchen begeben soll, damit sie nicht dem Untergang geweiht ist. Die Texte von Sleater-Kinney sind insgesamt sehr direkt, aber es lässt sich in ihnen immer auch gut nach noch mehr Bedeutung schürfen.

Von der aktuellen Zeit handelt „Path Of Wellness“ jedenfalls. Die Corona-Epidemie anzusprechen ist da natürlich unvermeidlich. Die Isolation der Lockdowns sind im Song „Worry With You“ Thema. Dieser tanzbare Track erinnert an „You´re No Rock n Roll Fun“ vom 2000er-Sleater-Kinney-Album „All Hands On The Bad One“.

Mit ihrem letzten Album haben Sleater-Kinney nicht nur ihr Publikum gespalten, sondern auch die Band selbst. Das poppige, manchmal stylish goth-ige, hochglanz-ige „The Center Won´t Hold“, entstanden unter der US-Musikerin Annie „St. Vincent“ Clark als Produzentin, kam nicht bei allen Liebhaber*innen der Band an, und eben auch nicht bei Schlagzeugerin Janet Weiss.

Von der letzten Sleater-Kinney-Platte blieben nur ein paar wenige Synthies zurück für das neue Album. Dazu gibt eine Cowbell, ein elektrisches Piano, eine Orgel und ein Clavinet - ein elektro-mechanisches Tasteninstrument, das in den 70er Jahren bei vielen US-amerikanischen Rock- und Funk-Aufnahmen verwendet wurde. Die beiden Gitarren und die Stimmen von Corin und Carrie bilden das Grundgerüst bei „Path Of Wellness“. Sleater-Kinney sind nun insgesamt zu ihrem klassischen Gitarrenpop-Sound zurückgekehrt.

Corin Tucker und Carrie Brownstein erschufen „Path Of Wellness“ im Frühjahr und Sommer und dann weiter gegen Ende letzten Jahres in ihrer Heimatstadt Portland, Oregon. Sie arbeiteten mit lokalen Musiker*innen wie der Schlagzeugerin Angie Boylan. Insgesamt trommeln aber drei unterschiedliche Menschen auf der neuen Sleater-Kinney-Platte. Die Drums sind weniger energisch als die von Janet Weiss, sie befinden sich mehr im Hintergrund, sind nicht mehr wirklich gleichberechtigter Teil neben den Gitarren von Corin Tucker und Carrie Brownstein.

Beim Song „Bring Mercy“ hört sich das Schlagzeug leicht melancholisch an, es ist ein elektrisches Piano zu hören und Corin Tuckers Stimme klingt sehr toll. Dieser Song - es geht um Protest, Gewalt und politische Spaltung - hat insgesamt einen Spät-70er-Jahre/Früh-80er-Jahre Vibe und erinnert vielleicht ein wenig an die Musikerin Rindy Ross und ihre Band Quarterflash, die, so wie Sleater-Kinney, aus Portland, Oregon kam und mit Songs wie „Harden My Heart“ Erfolg hatte.

Auch bei „High In The Grass“ singt Corin Tucker richtig gut. Überhaupt klingt sie sehr frisch auf der neuen Sleater-Kinney-Platte, etwa beim Song „Shadow Town“, in dem es um Portland, Oregon geht und der diesen herrlich stotternden Rhythmus hat. Corins kristallklare Stimme ist über die Jahre gewachsen und immer noch besser geworden.

„High In The Grass“ handelt vielleicht von der Sehnsucht nach der Zeit vor der Pandemie, oder wie Sleater-Kinney sagen, „It touches on the fragility and beauty of mortal life.“ Die Zerbrechlichkeit des Lebens als Thema, während die Gitarren von Corin und Carrie extrem toll zusammenspielen.

Der klassische Sleater-Kinney-Sound ist tatsächlich (fast komplett) zurück. Die Alben „One Beat“ aus dem Jahr 2002, „Dig Me Out“ von 1997 und das 99er Album „The Hot Rock“ fallen einem beim Hören ein, falls man langjährige/r Fan/in der Band ist. Auch auf „The Woods“, das letzte Album vor der Band-Pause zwischen 2006 und 2014, greifen Sleater-Kinney zurück.

Sleater-Kinney "Path Of Wellness"

Nikko LaMere

„Path Of Wellness“ von Sleater-Kinney ist am 11.Juni 2021 beim US-Plattenlabel Mom+Pop Music erschienen.

Der Albumtitelsong „Path Of Wellness“ hat eine tolle Post-Punk-Percussion, bei „Complex Female Characters“ schlüpft Carrie Brownstein in die Rolle eines frauenfeindlichen Typen: „You´re too much of a woman, you´re not enough of a woman“, singt sie, während es in „Down The Line“ heißt „take my hand and dance me down the line“. Es handelt sich um einen robusten Rock-Song, der ein bißchen etwas von Led Zeppelin und auch Deep Purple hat, während „Method“ an Patti Smith erinnert.

Carrie Brownstein und Corin Tucker produzierten mit „Path Of Wellness“ zum ersten Mal in ihrer langjährigen Bandgeschichte ein Album von Sleater-Kinney selbst. Die beiden haben eine ganz besondere Chemie und kreative Beziehung. Diese ist durch das Ausscheiden von Janet Weiss noch enger geworden.

Wie Corin Tucker und Carrie Brownstein miteinander singen und Gitarre spielen ist noch immer ein einzigartiges Erlebnis. Sie zaubern mit Sleater-Kinney auch mit ihrem zehnten Album noch den einen oder anderen Gitarrenpop-Trick aus der musikalischen Tasche. Carrie Brownstein und Corin Tucker haben sich für „Path Of Wellness“ richtig hineingesteigert, um ihr großes Vermächtnis fortzusetzen. Sleater-Kinney haben wieder, so scheint es jedenfalls, ihre Mitte gefunden, folgen wir ihnen einfach auf ihrem path of wellness....

P.S.: Im Song „No Knives“, einem kurzen Track ohne Schlagzeug, singt Carrie Brownstein „We’re here to serve you dinner without using any knives.“ Ob das vielleicht ein Friedensangebot an Janet Weiss ist?

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