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Thomas Prenn in Countryhemd in einer Bar

Amour Fou/Take Five/Flo Rainer

Evi Romens „Hochwald“ ist der beste Spielfilm der Diagonale

Evi Romen ist eine erfahrene Drehbuchautorin und Editorin. Ihr Spielfilmdebüt „Hochwald“ hat den großen Diagonale Preis gewonnen. Beste Doku ist „Aufzeichnungen aus der Unterwelt“. Die Diagonale in Graz war ein richtiges Filmfestival, in Kinosälen und mit Publikum.

Von Maria Motter

„Kimm halt mit.“ Mehr braucht es manchmal nicht. Es ist mehr ein verheißungsvoller Vorschlag als eine Frage, die der Sohn des Dorfkaisers auf Kurzbesuch Heiligabend gegenüber Mario im Drama „Hochwald“ ausspricht. Da sitzen dieser adrett gekleidete Lenz, der bald weiter nach Rom will, und Mario mit weißer Lockenperücke über den eigenen Locken und Countryhemd auf einem Bock in der Turnhalle ihrer Kindheit. Der Mehrzwecksaal im Grundschulgebäude ist Marios Rückzugsort, dort trainiert er tanzen, „John Travolta Style“, bis die Kinder zum Neujahrschweinderlbasteln kommen. In „Hochwald“ gibt es ein Oben, das Dorf, und ein Unten, Bozen mit seinem Bahnhof. Es gibt eine Bergstraße und eine Seilbahn. Wegkommen ist ein Motiv in mehrfacher Hinsicht.

„Hochwald“ ist gestern Abend zum besten Spielfilm der Diagonale 2021 gekürt worden. Wie wunderschön!

Thomas Prenn und Noah Saavedra in ihren Rollen in "Hochwald", sie schauen einander an.

Amour Fou/Take Five/Flo Rainer

Thomas Prenn und Noah Saavedra in „Hochwald“ von Evi Romen.

Ein selbstzufriedenes Schmunzeln von Lenz, als Mario ihm das Preisschild einer neuen, gescheit teuren Jacke mit Pelzkragen abreißt – so wenig braucht es, um ein Eltern-Sohn-Verhältnis auf den Punkt zu bringen. Und derart präzise erzählt Evi Romen all die großen Themen, die des Weges kommen. Diesen Film kann man als Mehrzweck-Konstruktion sehen, so viele Themen tauchen auf – von Schichtzugehörigkeit zu Terror. Oder man sieht „Hochwald“ als eine sehr emotionale Liebes- und Überlebensgeschichte.

Lenz (Noah Saavedra) ist einer, der weiß, was er will. Der in einer Bar in Rom den Rotwein seiner Familie auf der Karte entzückt entdeckt und bestellt. Noch in der ersten Nacht in Rom passiert die Katastrophe, die bis zum Ende die Handlung bestimmt.

Thomas Prenn in "Hochwald" in einer Seilbahn.

Amour Fou/Take Five/Flo Rainer

„Hochwald“

Ein Heimatfilm, der auch in Alaska spielen könnte

Evi Romen mit ihrer goldenen Nuss, einer kleinen Skulptur zum Hauptpreis der Diagonale.

Diagonale/Sebastian Reiser

Evi Romen mit der goldenen Diagonale-Skulptur, einem Kunstwerk von Anna Paul.

Evi Romen wollte eine Art modernen Heimatfilm machen und Elemente, die täglich mitschwingen und eine Heimat bedrohen oder auch beglücken, in die Geschichte packen. Ausschlaggebend für die Erstidee für ihr Spielfilmdebüt war die Radionachricht über den Terroranschlag in der Konzerthalle Bataclan in Paris, als Evi Romen im Südtiroler Dorf ihrer Kindheit zu Besuch war. Als das Wort „Antiheimatfilm“ in einer Zuschauerfrage fällt, schüttelt Romen verneinend den Kopf. „Zwei, drei Mal sieht man einen Berg. Es gibt keine Drohnenflüge über unsere herrlichen Dolomiten. Jemand, der einen Südtirol-Film erwartet, ist vielleicht enttäuscht.“

Bei der Hauptrolle des Mario entschied sich Evi Romen für Thomas Prenn. Der gebürtige Südtiroler studierte noch an der renommierten Berliner Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“ und überzeugte beim Casting mit der Antwort auf die Frage, was er denn so in seiner Jugend im Dorf gemacht hätte. Prenn war bei den Perchten, erzählt Evi Romen im Gespräch mit FM4-Filmredakteur Jan Hestmann auf der Diagonale.

Die Filmmusik schrieb Florian Horwath, dazu steuerte Johannes Silberschneider aus seiner Musiksammlung Rickey Shaynes „Uno dei Mods“ bei und Adamos „Inch’Allah“ ist zu hören. Die erfahrene Editorin Romen wünschte sich für ihr Spielfilmdebüt als Editorin Karina Ressler und an der Kamera Martin Gschlacht und Jerzy Palacz. „Hochwald“ wird im Oktober in den österreichischen Kinos starten und als Preview bei vielen Sommerkinos zu sehen sein.

Großartige Oral History Montage: „Aufzeichnungen aus der Unterwelt“

„Halbe Unterweltler mit Anstand“, nennt ein ehemaliger Justizwachebeamter Alois Schmutzer und Kurt Girk. „Hat es so etwas wie eine Unterwelt in Wien gegeben?“, fragt Filemacher Rainer Frimmel neugierig und Alois Schmutzer antwortet gelassen und beschwichtigend: „Hot’s nie geben“.

115 kurzweilige Minuten führt die „Aufzeichnungen aus der Unterwelt“ in fast vergessene Zeiten, zuerst zurück in die Jahre zwischen Erstem und Zweiten Weltkrieg in Wien. Die Erinnerungen Kurt Girks reichen von der Kindheit mit der lebensbedrohlichen Armut und Gewalt über die zwei „Judenbua“ in der Gasse, zum Versuch Verwandter, einen Angehörigen aus einem Konzentrationslager freizubekommen – mit Schweinefleisch für den Bestechungsversuch der Nazis. Die Interviews sind in bester Oral History Tradition geführt, doch unterhaltsam montiert.

Und bald eröffnet sich in „Aufzeichnungen aus der Unterwelt“ noch eine ganz andere Dimension. Es geht um Schlägereien und Glücksspiel, noch mehr um spektakuläre Prozesse, Polizeigewalt und schließlich den Strafvollzug in Österreich – in der Zweiten Republik. Am ersten Tag in Haft ließen Justizwachebeamte die Alteingesessenen auf die Neuzugänge los, aber die schlugen nicht immer zu.

Bei den Spaziergängen im Gefängnishof musste sich der Bruder eines Mordopfers die wenigen Minuten an der Frischluft mit dem Brudermörder teilen.

Alois Schmutzer erzählt in der Doku "Aufzeichnungen aus der Unterwelt" von Tizza Covi und Rainer Frimmel.

Vento Film

Alois Schmutzer erzählt aus seinem Leben. „Aufzeichnungen aus der Unterwelt“ von Tizza Covi und Rainer Frimmel hat den Großen Diagonale Dokumentarfilmpreis gewonnen.

Justizwachebeamte sorgten sich, als Schmutzer in der Anstaltsküche zu arbeiten begann. Die skandalösen Umstände seines Strafprozesses hallen lange nach, Schmutzer fügte sich dem Schicksal. Der legendäre Anstaltsleiter Karl Schreiner erklärte Schmutzer, er wisse, dass der kein Messer brauche. „Wenn’s einmal hinhau’n, dann hat sich das eh erledigt“, hätte Schreiner gesagt und Schmutzer angeboten, einen anderen Betrieb auszusuchen. Vielleicht die Bäckerei, er esse ja gern.

Neben solchen Anekdoten legt die Doku ausgeblendete Geschichtsflecken offen: Etwa wie menschenrechtswidrig der Strafvollzug in Österreich Jahrzehnte hindurch war. „Zuckersiaß, so wie die Stadt, sind ah die echten Weana Leit“, singt Kurt Girk beim Heurigen.

Die Zeitgeschichte ist in Schwarzweiß gehalten, am Ende wird es ein Farbfilm. Alois Schmutzer kontrolliert seine Bienenstöcke. Zwanzig Jahre lang hat er den Bienen den Honig jetzt schon in den Stöcken gelassen. Damit die Insekten, auch die kranken, nach dem Winter gut weiterkommen. „Aufzeichnungen“ in der Unterwelt ist von der Diagonale-Doku-Jury zur besten Dokumentation des Festivals gekürt worden und startet am 10. September in den österreichischen Kinos.

Tizza Covi und Rainer Frimmel bekommen einen Preis direkt im Kino.

Diagonale/Johanna Lamprecht

Tizza Covi und Rainer Frimmel freuen sich gleich über zwei Preise, den Kodak Analog-Film Preis und den Großen Diagonale-Preis des Landes Steiermark für die beste Doku über 19.000 Euro.

“Liebe, Pflicht & Hoffnung“

Nach fünf Festivaltagen ist es möglich, den als besten Kurzspielfilm ausgezeichneten „Liebe, Pflicht & Hoffnung“ online in der 3sat-Mediathek zu schauen. Der gebürtige Steirer Maximilian Conway hat in 29 Minuten einen großen Film über die sogenannten kleinen Leute gemacht: Da verliert eine junge Supermarktangestellte ihren Job, weil sie einen Pfandbon einlöst. Zuhause tropft das Wasser von der Decke und in einer Kiste lagern CDs ihres ersten Albums. Und man kann gar nicht anders, als ständig nur Barbara Colcerius Gesicht sehen zu wollen. Sie brilliert als diese Elisabeth Gramm. Sie spielt so fantastisch, dass man nach dem Film googeln muss, was sie jetzt macht. Theaterspielen in Basel. Und Maximilian Conway studiert Regie im Master an der Filmakademie Wien.

Barbara Colceriu im Kurzspielfilm "Liebe, Pflicht & Hoffnung" als Aushilfe in einem Berliner Späti.

Janis Brod

Ausgezeichnet: „Liebe, Pflicht & Hoffnung“ ist via 3Sat-Mediathek zu sehen.

Die höchstdotierten Filmpreise Österreichs sind vergeben

Noch viel mehr Preise sind auf der Diagonale vergeben worden. Und Sebastian Brauneis hat eine Preis-Revue inszeniert, die locker die Preisverleihungen so einiger vergangener Diagonale-Jahre in den Schatten gestellt hat. Denn vor Ort waren zusehends nur noch die Preisträger*innen erschienen, war manche Moderation der Bedeutung des Anlasses nicht gerecht.
Und für die diesjährige Preis-Revue gab es schon während der Festivaltage Überraschungen. Ein fantastischer Moment war nach der Vorführung von „Sargnagel - Der Film“ in der Helmut-List-Halle. Da kommt nach der Mockumentary Brauneis mit Filmteam auf Hilde Dalik zu und gratuliert ihr. Alles echt, Hilde Dalik konnte sich freuen. Wie sie die Freundin der fiktionalisierten Autorin Sargnagel gibt, etwas neben der Spur und naiv, fällt im Film sofort auf.

Sebastian Brauneis und das Diagonale-Preisrevue-Team überraschen Hilde Dalik nach der Vorführung von "Sargnagel - der Film" mit dem Preis als beste Darstellerin der Diagonale 2021.

Maria Motter

Hilde Dalik wird von Sebastian Brauneis und seinem Diagonale-Preisgala-Team überrascht

Lukas Miko hat seine goldene Diagonale-Nuss und den Preis für die beste Darstellung gleich zu Festivalbeginn bekommen, ohne großes Aufsehens im Trubel, und für seine Rolle als Betreuer in einem Geflüchtetenheim in dem recht betulichen Drama „Me, We“. Die Diagonale-Preisskulpturen sind Kunstwerke von Anna Paul.

Lukas Miko in "Me, We" mit Warnweste und Kapperl, gehetzt wirkend.

coop99

Lukas Miko spielt in „Me, We“ einen Angestellten in einer Geflüchtetenunterkunft, der an Emotionen unterdrückt, was nur geht - auf der Diagonale 2021 wurde Miko für diese Rolle als bester Schauspieler ausgezeichnet.

Eine beachtliche Festivalleistung

Das war die Diagonale’21 – Festival des österreichischen Films

Alle Infos auch auf diagonale.at und auf orf.at/diagonale21

Der Diagonale 2021 hätte man nur ab und zu mehr Publikum gewünscht - allein, die Umstände waren beschränkt, links und rechts von jedem Kinoplatz weiße Bänder über den Polstersitzen statt Freund*innen zu haben, das führt vor allem dazu, dass es in den Sälen oft bemerkenswert still war. Nicht immer ist das ein Vorteil. Aber wieder mit anderen Menschen in diesen magischen Räumen zu sitzen, war sehr schön und wie gut das alles funktioniert, ja funktioniert hat, ist nicht groß aufgefallen. Weil alles so glatt lief. Monatelang erarbeitete die Diagonale diverse Umsetzungsoptionen.

„Ob wir die Variante E bis M irgendwann mal noch aufsperren, wissen wir nicht“, sagt Peter Schernhuber, der mit Sebastian Höglinger die Diagonale leitet, vor der letzten Vorführung zum Publikum. Im Pandemiejahr hat das Intendantenduo seine Verträge mit dem Festival des österreichischen Films verlängert. „Hoffentlich kehren wir nächstes Jahr im April mit einer normalen Diagonale wieder zurück nach Graz!“

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