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James Blake

Amanda Charchian

FM4 Pop Diagnose: Angststörung

Im zweiten Teil der FM4 Reihe über Songs, in denen mentale Gesundheit eine Rolle spielt, beschäftigt sich mit „Don’t Miss It“ von James Blake.

Von Susi Ondrušová

Wenn Naomi Osaka, die Nummer 2 der aktuellen Tennis-Weltrangliste, schreibt, dass sie nach einem Spiel keine Interviews geben möchte, weil sie auf ihre mentale Gesundheit achten muss, wenn Prince Harry darüber spricht, wie sehr ihm seine erste Psychotherapie geholfen hat, aber auch wenn Lily Cornell Silver mit ihrem Mind Wide Open Podcast an ihren Vater Chris Cornell erinnert, dann sind das Schritte, die anderen Betroffenen sagen: „Du bist nicht allein.“ Schritte, die helfen, das Tabu rund um psychische Krankheiten zu durchbrechen.

Hilfe bei psychischen Problemen

Wenn du das Gefühl hast, du brauchst Hilfe, dann kannst du dich kostenlos und rund um die Uhr unter der Nummer 142 an die Telefonseelsorge wenden. Dort gibt es auch Chats und Online-Beratung.

Eine gute Übersicht über weitere Anlaufstellen findest du im Bereich Schnelle Hilfe auf der Website der Psychosozialen Zentren.

Ein Musiker, der in den letzten Jahren ebenfalls sehr offen über seine eigenen psychischen Herausforderungen gesprochen, geschrieben und gesungen hat, ist James Blake. Musik ist für ihn ein Ventil, um seine Gefühle auszudrücken. Seine Schulzeit war geprägt von Einsamkeit, für seine sensible Art wurde er gehänselt und als er mit 22 Jahren sein hoch gefeiertes Debütalbum veröffentlichte, musste er erst lernen mit dem Ruhm und der Aufmerksamkeit umzugehen. „I became afraid of the growing fog of war outside my house because of what I knew people expected of me if I entered it: a normal interaction and, even more impossible, a new album”, schreibt der Musiker in einem Essay über seine mentale Verfassung.

Blake kämpft mit Depressionen, Panikattacken, Angststörungen und: Er schämt sich dafür. Seine Freundin, die Schauspielerin und Aktivistin Jameela Jamil antwortet auf seine Frage „How can I complain?“, dass er seine Sorgen und Probleme nicht mit denen anderer vergleichen soll.

Als 2018 sein Song „Don’t Miss It“ veröffentlicht wird, schreibt ein Journalist, das sei „sadboy music“ und James Blake erklärt, wie toxisch und gefährlich diese Bezeichnung ist. Als Mann zu hören, dass man keine Schwäche und keine Gefühle zeigen soll, daran ist er schließlich selbst fast zerbrochen. Er plädiert an seine männlichen Fans: „Please don’t allow people who fear their own feelings to ever subliminally shame you out of getting anything off your chest or identifying with music that helps you. The road to mental health and happiness, which I feel so passionately about, is paved with honesty.”

„Don’t Miss It“ ist eine Art innerer Monolog einer Person, die Angst vor dem Leben hat und davor, was Menschen über sie denken. Der Ratschlag für ein gesundes Leben wird im Titel schon mitgeliefert. „It’s about not dwelling on all the negative thoughts. Don’t make these thoughts miss life“, sagt James Blake und bezeichnet das Lied als „very millennial“. Man könnte meinen, es ist die ultimative FOMO-Hymne.

Was an diesem Song ist nun aber typisch für eine Angststörung? Diese Frage kann Paul Plener am besten beantworten. Er ist seit 16 Jahren Facharzt für Psychiatrie und aktuell Leiter der Station der Kinder- und Jugendpsychiatrie im Wiener AKH.

Ein Kernelement der Angst, und das kommt im Song „Don’t Miss It“ sehr zentral vor, ist das Vermeiden von Situationen. James Blake singt zum Beispiel: „I could avoid real time. I could ignore my busy mind. I could avoid contact with eyes. I could avoid going outside.”

Angst haben ist per se noch nichts Schlechtes, genauso wie Trauer nichts Schlechtes ist, wie Paul Plener schon letzte Woche bei der Folge über Depression erwähnt hat. „Ängste sind eine Emotion, die prinzipiell Sinn macht. Sie soll uns davor bewahren, dass wir Schaden nehmen. Bei einer Angststörung sprechen wir aber davon, dass es Ängste vor Dingen gibt, vor denen man eigentlich rational keine Angst haben muss und dass diese Ängste durch eine Vermeidung – ‚Ich will das nicht machen!‘ - auch dazu führen, dass ich irgendwie meine Alltagsaufgaben nicht mehr bewältigen kann und auch darunter leide und wirklich Schaden nehme. Die Vermeidung ist etwas, was im Song total gut rauskommt, auch mit der Botschaft ‚Da verpasst du was!’“

Paul Plener

Radio FM4

Paul Plener vermutet, dass im Song mit den Worten „cyclical thoughts“ ein typischer Gedankengang von Patient*innen mit Angststörung besungen wird, nämlich „dass sich die Gedanken immer wieder im Kreis drehen und dass es schwer ist, da herauszubrechen. Wenn man in so einer Vermeidungsschleife drinnen ist - ’Ich habe Angst vor etwas? Dann vermeide ich das!‘ - dann ist natürlich eine Erleichterung da. Wenn in der Person nicht ein großes Vertrauen ist, im Sinne von ‚Ich schau mir meine Ängste mal ganz genau an, was da passiert, wenn ich es aushalte‘, dann komme ich aus dem nicht mehr heraus. Das ist dann ja oft in einer Psychotherapie Thema. Diese ‚cyclical thoughts‘ sind irgendwann selbsterhaltend und ich suche mir dann immer wieder Bestätigung dafür, dass das schon korrekt ist, wie ich mich verhalte.“

Wie also damit umgehen, wenn man im Freundeskreis oder in der Familie jemanden kennt, der auf Grund von Ängsten bestimmten Situationen aus dem Weg geht? Wichtig ist, die Beobachtungen und eigenen Wahrnehmungen mit Betroffenen anzusprechen. Am besten aber nicht in einer Situation „wo die Angst sehr groß ist“ und ein gewisser Druck herrscht, sondern in einer sicheren Situation.

In einer Therapie geht es in einem geschützten Rahmen um Exposition und Konfrontation: „Therapie von Angststörung ist meistens etwas eher Fieses. Es geht aber sehr gut, das zu therapieren, das muss man auch sagen. Man muss sich der Angst stellen und das auch aushalten. Die meisten Leute, die eine Angststörung haben, glauben: Man kommt an einen Punkt, wo es gar nicht mehr auszuhalten ist und etwas ganz Schreckliches passiert. Und erst wenn man denkt, an den Punkt zu kommen, und es auch aushält, merkt man ‚Hoppla, die Angst geht auch wieder runter‘, und je öfter man das macht, umso leichter fällt es einem. Das wäre so die klassische Exposition. Aber man kommt halt nicht dran vorbei, dass man genau das machen müsste, wovor man Angst hat.“

Aber wie entstehen überhaupt solche Angststörungen? Paul Plener: „Leute kommen mit einem gewissen Temperament auf die Welt und es gibt schon diejenigen, die eher ängstlich und zurückgezogener sind und das auch von Geburt an. Das ist per se nichts Schlechtes, die vermeiden ja auch eher Schaden, weil sie länger über Dinge nachdenken und vorsichtiger sind. Das ist als Spielart des Menschseins ja überhaupt nichts Pathologisches. Aber wir haben bei der Angst auch oft erzieherische Modelle. Wir lernen am Modell der Leute, die uns großziehen oder davon, was die uns über die Welt beibringen. Wir haben nicht nur Modelllernen, sondern auch Instruktionslernen. Das heißt, diese Bezugspersonen sagen uns: ‚Puuh, die Welt ist ein furchtbarer Ort‘ oder ‚Geh raus und explorier und schau, was da passiert‘. Und dann gibt es neben diesen erzieherischen Modellen auch oft Prozesse, wenn etwas Schreckliches passiert ist und wir das mit einer bestimmten Situation verknüpfen. Dann kann es sein, dass sich das immer weiter perpetuiert und sich daraus eine Angststörung - fast wie so ein Konditionierungsprozess - herausbildet."

Seit Beginn der Pandemie sind die Zahlen der Patient*innen mit Angststörungen, Depressionen, aber auch Essstörungen gestiegen. Hinter den Statistiken stehen ganz verschiedene Schicksale: „Wir haben auch Patienten gehabt, die erst einmal weniger Angst hatten, weil sie nicht mehr in die Schule gehen mussten, sich nicht exponieren mussten. Das hat sich für ein paar tatsächlich auch ganz gut angefühlt. Auf der anderen Seite sehen wir natürlich jetzt, bei der Rückkehr in die Schule, in den Beruf und so weiter, dass viele es nicht mehr schaffen, dahin zu gehen. Die Angst ist nämlich natürlich nicht kleiner geworden, sondern gewachsen. Und neue Ängste sind dazugekommen, wie die Bedrohlichkeit von Ansteckung, die ja eine reale ist, die man nicht wegmachen kann, und die Angst davor, andere anzustecken. Da waren auch ganz oft altruistische Gedanken dahinter: ‚Ich hätte auch gerne, dass ich nicht die Person bin, die andere ins Unglück treibt.‘"

Neben der aktuellen Coronasituation ist auch der Klimawandel bei Patient*innen der „Fridays For Future"-Generation ein Thema. Paul Plener dazu: „Das sind oft Leute, die sich nicht nur über sich selber, sondern auch über die Welt ganz viele Gedanken machen. Das ist gar nichts Absurdes und wir reden natürlich auch darüber, was gibt’s für Aktivitäten im täglichen Leben? Was gibt’s für Hoffnungen? Was gibt’s für Ziele? Und Klima ist, wenn man mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen arbeitet, ein Riesenthema. Das sieht man auch in allen letzten Jugend-Polls. Da gibt es viel mehr Bewusstsein dafür. Und deswegen ist alles, was in der Welt passiert, immer auch Teil in der Therapie.“

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