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Liz Phair

Eszter David

Von „Exile In Guyville“ zu „Soberish“

Die US-Musikerin Liz Phair erschuf mit ihrem Debutalbum „Exile In Guyville“ Anfang der 1990er Jahre einen Meilenstein des Alternative-Rock. Später wurde es ruhig um die aus Chicago stammende Songschreiberin. Das letzte Album von Liz Phair ist über zehn Jahre her, aber jetzt hat sie es wieder getan: eine Platte gemacht, noch dazu eine inspiriert von „Exile In Guyville“.

von Eva Umbauer

Zu manchen Platten hat man eine ganz besondere Beziehung, ob man will oder nicht. „Exile In Guyville“ ist eine solche. Ich weiß noch, wie ich damals, im Frühling 1993, zum ersten Mal in New York war, in der Wohnung einer Freundin, die gerade auf Heimaturlaub in Österreich war. Ich goss die Blumen und durfte dafür wohnen. Eines Tages las ich in dieser New Yorker Wohnung sitzend in einem Musikmagazin von einer Platte, die vor dem Erscheinen stand, einem - laut Beschreibung - ganz tollen Album einer jungen US-Musikerin namens Liz Phair.

Ich musste diese Platte haben, rief forsch und mit der Unbesiegbarkeit eines ganz jungen Menschen bei Matador Records an, wo dieses Album namens „Exile In Guyville“ herauskam, ob ich denn die Platte haben könnte. „Und, haben sie dich raufgelassen in das Büro? Haben sie dir mein Album gegeben?“, fragt Liz Phair 28 Jahre später, als wir anlässlich ihres neuen Albums via eine dieser neuen Arten des Telefonierens miteinander sprechen.

Ich rede zum ersten Mal mit Liz Phair, es hatte sich vorher nie ergeben, und ich hatte es eigentlich auch nie angestrebt, zu „heilig“ war dieses Album namens „Exile In Guyville“, ich wollte vielleicht gar nicht näher wissen, wer die Frau dahinter genau war. Wer Liz Phair ist, konnte man vor fast zwei Jahren jedenfalls in ihrem autobiographischen Buch „Horror Stories“ lesen. Zu ihren „Horror Stories“ fügt Liz Phair gerade die „Fairy Tales“ hinzu, ein weiteres autobiografisches Buch, an dem sie gerade arbeitet - damit nicht alle Erzählungen aus ihrem Leben „doom and gloom“ sind.

„Ich hätte unbedingt jemanden gebraucht, der oder die mir damals geholfen hätte, wie man sich als junge Frau im Musikbusiness zurechtfindet“, sagt Liz Phair kürzlich im FM4-Interview. So blieb ihr nichts übrig als selbst „irgendwie herumzustolpern“, wie sie heute sagt. Hinter der jungen Frau mit der großen Klappe, der „goscherten“ Alternative-Rockerin mit der schnoddrigen, leicht monotonen Stimme, die sich weder in ihrem Songtexten - zum Beispiel „Fuck And Run“ - noch sonst wo ein Blatt vor den Mund nahm, steckte eine sensible, oft verlorene Seele, die mitunter zum Objekt der Faszination wurde.

Liz Phair stammt von der US-Ostküste, hatte eine schöne Kindheit bei Adoptiveltern, einem Akademiker-Ehepaar, das sich später in Chicago niederließ, wo Liz dann ihre Teenagerzeit verbrachte. Ihre leiblichen Eltern suchte Liz Phair nie, sie spürte keine Sehnsucht, diese zu finden oder kennenzulernen, war glücklich mit den Adoptiveltern.

In Chicago schrieb Liz Phair erste Songs und nahm diese zuhause mit einer kleinen 4-Spur-Maschine auf. Sie nannte diese Tapes „Girly-Sound“. Aus ihnen wurde schließlich das wunderbar minimalistische, rohe und raue Debutalbum „Exile In Guyville“. Das New Yorker Plattenlabel Matador Records - das heute etwa Musik von Julien Baker oder Lucy Dacus veröffentlicht - nahm Liz Phair, ohne sie je live gesehen zu haben, sofort unter Vertrag, nachdem sie ein paar ihrer „Girly Sound“-Sachen geschickt hatte.

Vor drei Jahren wurde dieses legendäre Album, das in Anlehnung an das Rolling-Stones-Album „Exile On Main Street“ geschrieben wurde, wieder veröffentlicht, neu gemastered von der US-Produzentin Emily Lazar: „Girly-Sound To Guyville: The 25th Anniversary Box Set“. Das wiederum inspirierte Liz Phair, doch wieder einmal eine Platte zu machen. Und warum nicht zusammen mit Brad Wood, jenem US-Musiker, der „Exile In Guyville“ produziert hatte.

Albumcover von Soberish

Chrysalis Records

„Soberish“ ist am 4. Juni bei Chrysalis Records erschienen. Liz Phair hat ihre Memoiren „Horror Stories“ bei Random House veröffentlicht.

Brad Wood ist einer jener Menschen mit denen Liz Phair immer in Verbindung geblieben ist. Auch er war irgendwann aus Chicago weggegangen und nach Los Angeles gezogen, seine Kinder und der Sohn von Liz Phair spielten miteinander. Brad Wood hatte Mitte der 1990er Jahre das erste Album der britischen Band Placebo produziert, vor allem aber Bands aus Chicago wie Red Red Meat, Tar oder The Jesus Lizard.

Chicago war ein hartes Pflaster für eine junge Künstlerin wie Liz Phair. Es war eine Männerwelt. Man konnte die Musikerinnen praktisch an einer Hand abzählen: Janet Bean von Eleventh Dream Day war eine davon, dann kamen Nina Gordon und Louise Post mit ihrer Band Veruca Salt, aber sonst? Chicago war definitiv keine feministische Hochburg wie Olympia, Washington, wo gerade die Riot-Grrrl-Bewegung aufgekommen war.

Die musikalische Laufbahn von Liz Phair weist viele Ups & Downs auf - vom Abgelehnt werden durch Plattenfirmen bis zu Grammy-Nominierungen. Von höchstem Kritiker*innenlob bis zu bösem Bashing ihrer Musik. „Jetzt macht Liz Phair auf Avril Lavigne“ hieß es irgendwann etwa, obwohl sie da eher an Lita Ford von der 70er-Jahre-Rockband The Runaways erinnerte. Wie auch immer, aber jetzt hat Liz Phair wieder eine Platte zusammen mit Brad Wood gemacht, sie klingt aber nicht nach „Exile In Guyville“, was jedoch nicht als Enttäuschung zu verstehen ist.

Im Song „Good Side“ gibt es etwa Bläsersätze, die Liz Phair gern als „ugly“ bezeichnet. Jeder andere Producer, so vermutet Liz jedenfalls, hätte sie rausgestrichen, während Brad Wood ihr half, sie in den Track zu integrieren, oder im Song „Ba Ba Ba“ wird das „ba ba ba“ immer schneller, auch ein Vorschlag von Liz Phair mit dem Brad Wood umzugehen wusste.

Das Album „Soberish“ - der Titel nimmt Bezug auf den Alkohol, von dem Liz Phair immer wieder nicht lassen kann - ist eine scharfsinnige Platte, mit zärtlichem, manchmal auch melancholischem Unterton, etwa wenn Liz Phair im Song „Sheridan Road“ an ihre Jugend in Chicago denkt oder bekennt „My Heart Is A Lonely Street“.

Die Backing Vocals beim Song „Spanish Doors“ erinnern ein wenig an Estelle, Alana und Danielle von der L.A-Band Haim, „Soul Sucker“ ist ziemlich experimentell und „Bad Kitty“ ist, ah, sexuell. Liz Phair ist zurück, manchmal trifft sie den Nagel auf den Kopf, manchmal nicht. Der Status eine der großen Frauen des US-Alternative-Rock zu sein, kann ihr niemals genommen werden.

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