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Nava Ebrahimi, wie sie erfährt, dass sie den Ingeborg-Bachmann-Preis gewonnen hat.

Zita Bereuter

Nava Ebrahimi gewinnt den Ingeborg-Bachmann-Preis 2021

„Ich bin sehr froh, jetzt mal auch was sagen zu dürfen“, sagt Nava Ebrahimi als erste Reaktion. Sie hat den Ingeborg-Bachmann-Preis mit ihrem Text „Der Cousin“ gewonnen. Und sie ist Jurorin beim FM4 Kurzgeschichtenwettbewerb Wortlaut!

Von Maria Motter

Der 45. Ingeborg-Bachmann-Preis geht an Nava Ebrahimi, die sich so sehr freut. „Ich bin wirklich völlig von den Socken, weil damit habe ich überhaupt nicht gerechnet“, sagt Nava Ebrahimi FM4-Kollegin Zita Bereuter unmittelbar nach der Bekanntgabe. „Das ist keine Koketterie. Es ist ja oft so: Die Geschichten, die sich mit Migration befassen, sind gerade schon gefragt, aber sie sind oft so die Beigabe zur ‚echten‘ deutschsprachigen Literatur. Vielleicht ändert sich das jetzt.“

Nava Ebrahimis Text „Der Cousin" beginnt mit dem riesigen Portrait eines Tänzers auf der Fassade des Lincoln Center for the Performing Arts: „Nackt siehst du noch besser aus“!“, kommentiert eine Autorin, die den abgebildeten Tänzer in New York besucht. Er ist ihr Cousin und er hat als zwölfjähriges Kind erlebt, was als „Sperrgebiet, zum Tschernobyl der Familiengeschichte“ unbehandelt zwischen den Verwandten steht. Die einstigen Kinder begegnen einander mit Neugier auf ihre künstlerischen Arbeiten und erinnern sich an die Eltern. Nava Ebrahimi verdoppelt die Fiktion in ihrem Beitrag für die 45. Tage der deutschsprachigen Literatur.

Und beim diesjährigen FM4 Kurzgeschichtenwettbewerb Wortlaut ist Nava Ebrahimi Jurorin: Sie wird mit Bernhard Aichner, Franzobel, Marjana Gaponenko und Matthias Gruber die Wortlaut-Gewinner*innen küren.

die glückliche Gewinnerin mit einem Glas Sekt

Zita Bereuter

Nava Ebrahimi freut sich herzlich!

Publikumsliebling Dana Vowinckel gewinnt den Deutschlandfunk-Preis

Dana Vowinckel gewinnt den Deutschlandfunk-Preis, der mit 12.500 Euro dotiert ist. Mara Delius lobt die jüngste Teilnehmerin des Bewerbs für ihren Text „Gewässer im Ziplock“ und gratuliert herzlich: „Wie kann man heute über das liberale jüdische Leben schreiben, ohne die zeitlich immer weiter von uns zurückliegende Geschichte der Shoa klein werden zu lassen? ‚Gewässer im Ziplock‘ erzählt komplex und doch unmittelbar von drei jüdischen, nicht-orthodoxen Erfahrungswelten in Berlin, Chicago und Jerusalem und von drei Generationen mittels Figuren, die eine greifbare, sinnliche Präsenz haben.“

Weil ihre Perspektive, ihr Blick auf die Welt und deren Widersprüche den Topos der gepackten Koffer für eine neue Generation aufladen, habe Dana Vowinckel die Jury für sich eingenommen, begründet Mara Delius die Wahl.

Von der jüdischen Diaspora erzählt Dana Vowinckel in Familienbildern der Gegenwart. Die kindliche Perspektive ist ausgezeichnet und dieses „Nie wieder“ im Text ist beiläufig, aber unübersehbar gesetzt. „Nie wieder, beschloss sie, würde sie den Pullover waschen, den sie gerade trug, weil die Klimaanlage im Auto so kalt war, dass ihr die Zähne klapperten.“

Dana Vowinckel war mit Nava Ebrahimi in der Stichwahl um den Ingeborg-Bachmann-Preis.

Auf Twitter war der Wunsch nach einem Roman zum Text nach Dana Vowinckels Lesung groß. Und dem wird Dana Vowinckel auch nachkommen: „Gewässer im Ziplock“ ist bereits ein Romanauszug.

Dana Vorwinckel

ORF/LST Kärnten/Catharina Tews

Dana Vowinckel war die jüngste teilnehmende Autorin, in der Stichwahl um den Bachmann-Preis und ist die Gewinnerin des Deutschlandfunk-Preises.

Auch ausgezeichnet und zwar doppelt: Necati Öziri!

Für seinen tollen Text „Morgen wache ich auf und dann beginnt das Leben“ wird Necati Öziri mit dem Kelag-Preis über 10.000 Euro ausgezeichnet. Insa Wilke hält die Laudatio: „Necati Öziri entwirft einen Brief an den Vater, der einem empfindsamen jungen Mann eine Bühne gibt, wie er noch nicht im Buche stand, für den der Blick in den Spiegel der Gesellschaft nicht selbstverständlich sein Bild zurückwirft“.

Das Drama einer imaginierten Vater-Sohn-Beziehung verbinde Necati Öziri mit der Erinnerung an die destruktiven Folgen der Gründungsideologie der Türkei und schließe seine Erzählung so an die Literatur transnationaler Erinnerungsräume an, ist Insa Wilke voll des Lobes. Das ist Literatur, die mit souveräner Geste von der Lebenswirklichkeit im 21. Jahrhundert erzählt. „Literarische, historische, politische Bildung ist im Schreiben von Necati Öziri auch Herzensbildung. Dieser Autor weiß: Wir denken alle in Klischees. Sein Text tut es nicht“, betont Insa Wilke.

Auch das Publikum hat für Necati Öziris Beitrag gestimmt: Der Theatermacher und Autor wird von Berlin nach Klagenfurt reisen und dort das Stadtschreiberstipendium antreten, das mit dem BKS-Bank-Publikumspreis verbunden ist.

Necati Öziri liest um den Ingeborg-Bachmann-Preis.

ORF/Landesstudio Kärnten

Necati Öziri ist Autor, Dramaturg, Theatermacher und er wird der nächste Stadtschreiber in Klagenfurt! Die Stadt kann sich glücklich schätzen.

Timon Karl Kaleyta erhält den 3sat-Preis

Timon Karl Kaleyta wird mit dem 3sat-Preis über 7.500 Euro für seinen Text „Mein Freund am See“ ausgezeichnet. Juror Michael Wiederstein hält die Laudatio und streicht zum „radikal durchkomponierten und nicht zuletzt ausgesprochen unterhaltsamen" Text hervor, dass es ein völlig schamloses, abgrundtief böse und gleichzeitig pervide-heiteres Psychogramm eines wohlstandsverwahrlosten Neurotikers“ sei. Timon Karl Kaleyta lasse den Ich-Erzähler im Stil eines J. D.Salinger alleine durch die eigene Inbezugsetzung zum Gegenüber erkennbar werden.

Der Autor Timon Karl Kaleyta.

Christian Werner

Timon Karl Kaleyta gewinnt den 3sat-Preis für „Mein Freund am See“.

Autor*innen bei der Videoanalyse

Was die Inszenierung betrifft, waren es die großen Stunden des Splitscreens beim „Ingeborg-Bachmann-Preis Spezial“. Denn die Jury war zwar zurück im Landesstudio Kärnten, aber die Autor*innen mussten noch fern bleiben. Sie waren zuhause und hatten ihre Lesungen aufgezeichnet. Bei der Sendung verfolgten sie ihre eigenen Lesungen und die Jurydiskussion via Live-Schaltung.

Vea Kaiser ist selbst Autorin und gab vor Jahren zu Protokoll, keine Kolleg*innen zu lesen. Jetzt war sie in der Jury des Bachmann-Wettbewerbs. Das hat sich wohl geändert, sie hatte Bücher teilnehmender Autor*innen in Klagenfurt mit. Ihr Hauptkriterium für die Bewertung von Texten scheint in ihrem ersten Jahr als Jurorin bei den Tagen der deutschsprachigen Literatur ihre Gefühlslage zu sein, vieles ist „großartig“, sie wird gern unterhalten und freut sich auch, schon mal fast ein Tränchen zu verdrücken, aber viele Klischees machten sie „traurig“.

Nicht nur dem Jurykollegen Philipp Tingler wird das einmal zuviel der Befindlichkeitsbekundung. Tingler ist zum zweiten Mal als Juror dabei, nachdem er letztes Jahr mit viel verbalem Gedöns auftrat, als sei er frisch im Ringkampf. Wenn Tingler einmal ein Gefühl hat und das äußert, zitiert er direkt Text, wie bei Julia Weber.

Neu in der Jury ist Mara Delius, Leiterin der „Literarischen Welt“ der deutschen Zeitung „Die Welt“, deren Co-Feuilletonchefin sie auch ist. Und Delius fiel vor allem mit einem kermitgrünen Stricktäschchen am Tisch auf und wenn sie sich überhaupt zu Wort meldete, dann um ihre genau vorbereitete Kritik zu verlesen.

Insa Wilke, die Juryvorsitzende, ist die Contenance in Person und analysiert Texte so, dass man als Zuschauer*in einen Mehrwert hat. Klaus Kastberger und Brigitte Schwens-Harant sind routiniert und haben längst ihre Rollen gefunden. Michael Wiederstein dreht diesmal auf und teilt bei einigen ungewohnt heftig aus.

Dass die Jury bei wenigen Beiträgen von den Texten abdriftete, kritisierte etwa Teilnehmerin Heike Geißler zurecht.

Über Necati Öziris Text sagte Heinz Sichrovsky auf ORFIII: „Da liegt ein junger Deutsch-Türke im Sterben, multiorganes Versagen, vielleicht eine Drogenkatastrophe, und er schreibt einen Brief an seinen Vater“. Im Text lässt sich kein Hinweis auf eine „Drogenkatastrophe“ finden. Große Empfehlung, den sehr schönen, klugen Text zu lesen und die Lesung nachzuschauen.

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