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Lucy Dacus

Ebru Yildiz

You used to be so sweet

„Home Video“ heißt das neue, dritte Album der wie immer herrlich unprätentiösen Lucy Dacus. Jugendgeschichten, viel Nostalgie und (deshalb) auch ein bisschen Springsteen.

Von Lisa Schneider

Belle Island ist eine kleine Insel im James River. Da, wo er durch Richmond, Virginia fließt. Wenn man sich richtig auf einen der großen, flachen Steine setzt, werden die Baumkronen zumindest für kurze Zeit den Lärm und den Trubel verschlucken. Ein guter Platz zum Denken, Lachen, Tagebuchführen. Diesen Ort empfiehlt Lucy Dacus all jenen, die noch nie in Richmond waren. Mit ihrem neuen, dritten Album „Home Video“ kehrt sie in ihre Heimatstadt zurück.

„Being back here makes me hot in the face“ singt Lucy Dacus am Opening-Song „Hot&Heavy“, man mag an oft verwendete, bedeutungsschwangere Redewendungen wie „you can never go back home“ denken. Lucy Dacus war lange nicht zuhause, sie war in den letzten Jahren fast durchgehend auf Tour.

2016 veröffentlicht sie mit „No Burden“ eines der besten Indierockalben des Jahres, dabei ist doch das Genre tot. Lucy Dacus ist das egal. „I don’t wanna be funny anymore“ heißt da ein Lied. Die monotone Altstimme, die totale Genervtheit, die guten Melodieideen. Hier ist ein Rockstar, der man glauben möchte, sie sei so unkompliziert, wie sie sich gibt. Kein Self-Marketing, kein übertriebenes Insta-Posing, keine unnötige Nähe zu Menschen, die sie nicht kennt. Ein dezentes, höfliches, aber bestimmtes: Fuck Off.

Lucy Dacus’ Lieder sind in all ihrer Subtilität kleine Beobachtungsmeisterwerke. Hier schreibt jemand, der zwischen den Zeilen menschlicher Kommunikation liest und dann auch noch die richtigen Wörter dafür findet. Und das ist ja etwas, was man im Zusammenhang junge Musikerin und Gitarre auch gut über Phoebe Bridgers oder Julien Baker sagen könnte. Sie alle drei werden gern in die sehr blöd betitelte Schublade „sad girl music“ gesteckt (Frage: Was ist „happy girl music“?). Wahrscheinlich von denjenigen, die selbst nicht besonders gut - und schon gar nicht in Musik und Text - mit ihren Gefühlen umgehen können. Natürlich kennen sich Lucy Dacus, Phoebe Bridgers und Julien Baker, und natürlich haben sie eine sehr gute Band gegründet.

Der Erfolg des gemeinsamen Projekts boygenius - und auch der ihres zweiten Albums „Historian“ - haben Lucy Dacus dahingebracht, wo sie jetzt ist: Auf die großen Bühnen, aber halt auch „in a mood I’d call reflective“, wie sie im FM4 Interview über den Schreibprozess ihres neuen Albums erzählt. Die Tagebücher von früher liegen bereit. „Maybe there’s a little more of the core of who I am in this one than in the others.“

Das ist spannend, weil dieser core gleichzeitig die gut gelöste Crux des Albums und seiner gesamten Thematik ist. Schaut man zurück in die Vergangenheit und rollt seine eigene Kindheit und Adoleszenz in knappen 45 Minuten und elf Songs auf, sind es verschiedene Formen des Selbst, mit denen man sich auseinandersetzen muss.

„Home Video“ ist eine Zeitreise zurück ins Richmond von Lucy Dacus’ Jugendjahren, der erzählerische Bogen umspannt dabei in etwa ihr siebtes bis siebzehntes Lebensjahr. Anders als bei vielen Coming-of-Age-Platten ist Lucy Dacus mit ihren mittlerweile 26 Jahren fast spät dran für ein solches Innenschau-Projekt, aber wir haben hier auch kein klassisches Confessional-Pop-Album vor uns. „Home Video“ erzählt natürlich die Geschichte(n) von Lucy Dacus, aber das passiert durchs Erzählen der Geschichten der Menschen, die sie geprägt haben. Da ist die Freundin Christine, der ein Song gewidmet ist: Ein knackiger, traurig-schöner Zweieinhalbminüter über den Selbstwert, den man sich selbst nicht zugesteht: „There may be better / but you don’t feel worth it / that’s where we disagree“. Da ist die erste, noch zaghafte queere Liebe auf „Triple Dog Dare“, da ist der Ausflug ins Bibelcamp namens „VBS“. Im Nachhinein lächelt Lucy Dacus über ihr 13-jähriges „morally superior self“, das dem damaligen Freund mit Vorliebe Slayer leider sagen muss „Your poetry was so bad / it took a lot not to laugh“.

Kurze Sätze, mal Schmunzelsätze, mal Knie-zitter-Sätze: Wie Lucy Dacus im Auftreten ihr Understatement hegt und pflegt, so hält sie es weiterhin auch mit der Musik. Reduzierte Arrangements, Gitarre, Klavier, alles ein bisschen glatter produziert als früher, trotzdem gleichzeitig ein bisschen wärmer. Das Überflüssige ist oft das Notwendige, aber hier nicht.

Rock und Folk, die aufkeimende, erste Liebe und sogar ein bisschen was über Gott. Lucy Dacus knüpft an große amerikanische Erzähl- und Musiktraditionen an, und auch deshalb muss hier der Name Bruce Springsteen stehen (an Lucy Dacus’ Cover von „Dancing In The Dark“ denke ich mindestens einmal pro Tag). Oder der von Wilco, oder der von Sharon van Etten, einem der großen Vorbilder von Lucy Dacus.

Lucy Dacus Albumcover "HOME VIDEO"

Matador

„Home Video“ von Lucy Dacus erscheint via Matador.

In diesen Liedern steckt viel Nostalgie, im größtenteils zeitlosen Aufbau der Songs, aber auch in der ganzen Thematik des „Zuhause“. Es gibt die Art von Nostalgie, die fürs Kassenklingeln verantwortlich ist, wenn etwa alte Marvel-Filme neu aufgelegt und die Menschen hochgepeitscht von Kindheitserinnerungen ins Kino gelockt werden sollen. Und es gibt die persönliche Art der Nostalgie, wie Lucy Dacus sie auf ihrem neuen Album unter die Lupe genommen hat. „If you’re returning to something it means that it was significant. If you really love something - that’s cool.“

Das ist cool. So wie es die Teenagerzeit oft nicht ist. Auf „Home Video“ treffen wir Lucy Dacus und ihre Freund*innen, Widersacher*innen, großen Lieben und Idioten in all der Verwirrung. Alle sind sie Beute der großen Gefühle, die dem Pathos ganz unangemessen am Rücksitz eines Autos, im Hobbykeller oder im Kinofoyer stattfinden. Genau das ruft uns Lucy Dacus ins Gedächtnis: Nichts ist gleichzeitig so schön, schlimm und am nächsten Tag so belanglos wie in den Teenagerjahren. Aufregung und Geheimnisse und Ungehörigkeit, sonst eigentlich nichts.

Richmond, Virginia, Lucy Dacus sitzt vielleicht wieder einmal allein oder mit Freund*innen auf der Belle Isle. Was sagt sie ihrem 16-jährigen Ich?

„I’d probably tell her that no one can take credit for what she did. I really believed that I owed a lot of people things, and I absolutely didn’t. They’re just a bunch of egos, and you don’t have to be a people’s pleaser. Especially when nothing will please the person. Don’t set yourself up for failure.“

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