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Gaspard Augé von Justice

Jasper J. Spanning

Gaspard Augé und sein Debüt „Escapeds“

Mit dem Grammy-prämierten Elektro Duo Justice aus Paris hat Gaspard Augé die letzten 15 Jahre die Ästhetik zeitgenössischer Clubmusik wesentlich mitgeprägt. Mit seinem Solodebüt „Escapades“ versucht er sich nun mit alten Mitteln an einer neuen Vision für Europa.

Von Christian Lehner

Es war ein kleines Abenteuer, dieses Distanzinterview mit Gaspard Augé, der in einem Pariser Park nach einem ruhigen Plätzchen suchte, dabei aber vor einer Horde Skater, spielenden Kindern und einem Helikopter flüchten musste. Aber das passt dann auch wieder ganz gut zum Albumtitel: „Escapades“ bedeutet laut Wörterbuch so viel wie Streich, Seitensprung und Abenteuer.

Mit 42 Jahren hat Gaspard Augé erstmals den Absprung gewagt und legt nun sein Solodebüt vor. Obwohl der DJ, Produzent und Schlagzeuger stilistisch dem Dance-Floor verbunden bleibt, hat er sich einige Freiheiten genommen, die bei Justice wohl nicht durchzusetzen wären. So hat Augé gänzlich auf menschliche Stimmen verzichtet, Sänger*Innen und Vocal-Samples würden nur vom Kern der Musik ablenken, so Augé. Die gelegentlich einsetzenden Chöre kommen aus diversen Zwitschermaschinen. „Mir ist schon klar, dass ich damit wohl nicht zum Liebling des Popradios oder der Streamingportale werde, aber die Emotionen sollten doch eine starke Verbindung zu den Fans schaffen, das war mir wichtig.“

1x Fremdgehen bitte

Gaspard Augé hat „Escapades“ gemeinsam mit dem Komponisten Victor le Masne großteils in dem Pariser Studio Motorbass aufgenommen – hauptsächlich mit alten Instrumenten und Synthesizern. Das Album gehörte einem Freund, dem Produzenten Philippe Zdar, der vor zwei Jahren bei einem Unfall ums Leben gekommen ist. „Das Studio war sein Baby und wir wollten ihn mit dieser Arbeit ehren. Ich konnte ihn förmlich durch das Studio wirbeln sehen, wie er uns aufgeregt Änderungsvorschläge unterbreitet“, so Augé.

Escapes von Gaspard Augé

Ed Banger

Hier geht’s zum Interview-Podcast mit Gaspard Augé.

Aber wie klingt nun „Escapades“? Im Gegensatz zu Justice, wo die übersteuerten Bässe eine Rutsche für den modernen Sound des Trap, der EDM oder des Hyper-Pop legten, feiert Gaspard Augé den Pop und die Filmmusik der Siebziger- und Achzigerjahre.

Referenzpunkte sind Stile wie Italo-Disco, französischer New Wave, englischer Prog-Rock und Soundtrack-Musik von John Barry, Christian Bruhn und Ennio Morricone. Die Melodie von „Captain“ erinnert gleichermaßen an den Überhit Reality aus dem Soundtrack von „La Boum – die Fete“ und den britischen Eurovisionssiegessong Save Your Kisses For Me von Brotherhood Of Man aus dem Jahr 1976.

Die Single „Hey!“ wiederum will Augé als Huldigung an die heute vom guten Geschmack des Pop nur selten zitierte Orchester/Synth-Pop-Schnittstelle Rondò Veneziano verstanden wissen. Weit öffnet der Pariser Vollbartträger seine Flügel der Inspiration. Die Spannweite reicht von Richard Wagners „Ring Der Nibelungen“ bis zum Final Countdown der schwedischen Hairmetal-Band Europe – seinerzeit eine beliebte Wahlkampfmelodie für Parteien, die sich selbst in der Mitte der Gesellschaft verorteten.

Trans Europa Retro Express

Apropos l’Europe! Gaspard Augé sieht in seinem Solodebüt einen Gegenentwurf zu den Poptrends unserer Zeit, die im Wesentlichen aus der USA kommen. Das klingt ein bisschen befremdlich, wenn man bedenkt, dass Justice eifrig dabei mitgeholfen haben, eine globale elektronische Popästhetik zu etablieren. „Escapades“ soll nun ganz im Zeichen der europäischen Musiktradition stehen, die eine viel breitere Palette an Emotionen zuließe, so die gewagte These von Augé.

Unser musikalischer EU-Ratspräsident legt diese Vision mit viel Pomp, Esprit und Grandezza an. Wie oben beschrieben, haben wir es allerdings nicht mit einer ethnographischen Rundreise von der griechischen Bouzouki zur finnischen Nasenflöte zu tun, sondern mit einem Kniefall vor den Göttern Vangelis, Morricone und Captain Future.

Im Video zu „Force Majeure“ schmieden türkische Arbeiter aus Feuer und Eisen Schlagzeugbecken, deren Bestimmung Augé sogleich in High-End-Qualität demonstriert. In „Hey!“ lässt er einen mongolischen Reiter auf einer Geige spielend durch die Steppe galoppieren. Im Trailer zu „Captain“ flieht er vor einem Scharfschützen, der als Schießgerät einen E-Bass verwendet. Das alles ist süperkreativ, originell und schrullig und verdient unseren höchsten Respekt. „Ich wollte etwas Naives machen, das auf den Unity-Geist der Menschen abzielt. Ich glaube, wir alle träumen im Grunde von den selben Dingen, ein friedliches, erfülltes Leben, das Album soll ein Symbol dafür sein“ sagt Augé.

Eine erfüllte Vision: Die BBC machte „Force Majeure“ zum Intro-Song für die Berichterstattun zur laufenden Fußball Europameisterschaft

„Escapades“ ist ein wilder Ritt in eine idealisierte Vergangenheit. Gaspard Augé fährt große Synthesizer-Geschütze auf zwischen Bombast, Kitsch und Erhabenheit. Das Sympathische daran, der Justice-Solist macht keinen Hehl daraus und lädt uns alle auf seine durchgeknallten Retro-Party ein – Barockkostüme und gepuderte Perücken sind dabei ausdrücklich erwünscht.

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