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Dokuserie Pride

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Dokuserie „Pride“: Eine umfangreiche queere Geschichtsstunde

Die sechsteilige Dokuserie „Pride“ wirft einen umfangreichen Blick auf die Entwicklung der LGBTIQ+-Geschichte in den USA. Angefangen von den 50ern bis zum 21. Jahrhundert werden die wichtigsten Meilensteine mit persönlichen Einblicken erzählt.

Von Philipp Emberger

Der Pride Month nähert sich in diesen Tagen, wenn auch nur kalendarisch, dem Ende. Für die LGBTIQ+-Community ist aber gewissermaßen das ganze Jahr über Pride, gilt es doch jeden Tag für die eigenen Rechte einzustehen und darum zu kämpfen. Dass dieser Kampf schon sehr lange und sehr umfangreich in vielen verschiedenen Dimensionen geführt wird, zeigt die sechsteilige Dokuserie „Pride“.

Von versteckten queeren Partys in den 50ern bis zu öffentlichen Regenbogenparaden im Jahr 2021. „Pride“ zeichnet ein sehr detailiertes Bild der amerikanischen LGBTIQ+-Geschichte. Jede Folge beschäftigt sich mit einem anderen Jahrzehnt und wurde von sieben verschiedenen Regisseur*innen mit queerem Background inszeniert. Darunter etwa die afro-amerikanische Regisseurin Cheryl Dunye („The Watermelon Woman“, „Dear White People“), Alex Smith („Susanne Bartsch: On Top“) oder Yance Ford („Trial By Media“).

Gemeinsam mit vier anderen Regisseur*innen erzählen sie, wie sich der queere Kampf ausweitete und die einzelnen Buchstaben in LGBTIQ+ gekommen sind. Durch die unterschiedlichen Herangehensweisen der Regisseur*innen wirken die Folgen etwas chaotisch und lassen einen roten Faden vermissen. Allerdings zeigt das auch, dass die Entwicklung der LGBTIQ+-Rechte eben keine straight line ist und von vielen verschiedenen Personen mit unterschiedlichen Zugängen geführt worden ist. Dieser Tatsachen tragen die Regisseur*innen mit ihren Erzählungen Rechnung.

Dokuserie Pride

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Die sechsteillige Dokuserie ist ab 25. Juni 2021 auf Disney+ zu sehen.

Neue Blickwinkel für die bekannte Erzählung

„Pride“ klappert natürlich die Fixpunkte queerer Geschichte wie die AIDS-Krise und die Stonewall-Aufstände in New York City ab. Die Dokuserie versucht aber auch, öffentlich bisher vernachlässigte Perspektiven zu erzählen. Dazu zählt, dass Stonewall nicht der Anfang der queeren Aufstände war, sondern ein Höhepunkt. Die Historikerin und Leiterin des LGBT-Instituts an der University of Arizona, Susan Stryker, sagt zu Stonewall: „It was an important event, but it was not the beginning“.

Die zweite Folge mit dem Titel „Riots & Revolutions“ erwähnt dann nämlich auch gleich mehrere Aufstände, die den Beginn queeren Widerstands zeigen. Dazu zählen die „Cooper Do-nuts Riot“ in Los Angeles. 1959, und damit zehn Jahre vor den weltbekannten Stonewall-Auseinandersetzung im New Yorker Greenwich Village, haben sich LGBTIQ+-Personen, darunter viele Transpersonen, erstmals gegen Polizeischikanen gewehrt. Der Widerstand wird von manchen Historiker*innen mittlerweile als der erste moderne öffentlichen LGBT-Aufstand angesehen.

„Pride“ versucht aber auch an anderer Stelle das bekannte Narrativ zu brechen. Die erste Folge setzt sich mit den 50er-Jahren, die oftmals als „dark ages“ bezeichnet werden, auseinander. Diese Bezeichnung impliziert allerdings, dass homosexuelle Menschen zurückgezogen und einsam lebten. „Pride“ erzählt jedoch die Geschichte von schwulen Männern, die während des zweiten Weltkriegs in der Armee auf andere homosexuelle Männer getroffen sind, dort ihre Queerness auslebten und eine Community bildeten. Die von Regisseur Tom Kalin verantwortete Folge erzählt auch mittels Homevideos von schwul-lesbischen Dinner- und Cocktailspartys in den 50ern. Das zeigt, dass queeres Leben also immer schon stattgefunden, wenn auch versteckter und mit viel mehr Risiken verbunden.

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„Pride“ verknüpft die LGBTIQ+-Bewegung mit anderen zivilgesellschaftlichen Bewegungen

Beispiele wie diese finden sich in allen sechs Episoden und halten so auch für Personen, die sich schon intensiver mit LGBTIQ+-Geschichte auseinander gesetzt haben, neue Blickwinkel parat.

Persönlicher Touch

All ihre Geschichten erzählt die dokumentarische Serie, die ursprünglich für den amerikanischen Sender FX produziert worden ist, mit einem persönlichen Touch. Die AIDS-Krise wird beispielsweise aus der Sicht der AIDS-Aktivistin Ann Northrop nachgezeichnet. Die ehemalige Journalistin war lange an amerikanischen Schulen unterwegs und hat die Schüler*innen aufgeklärt: „There were times when I went into a classroom and I could see a scared closeted gay kid get wide-eyed at seeing us and hearing what we are saying. And I actually got a little scared for them, but I know for a fact it made the world safer for gay people in those spaces. Because kids changed their minds.” Eine Aussage, die gerade in diesen Tagen, vor dem Hintergrund, dass Ungarn ein homophobes Gesetz verabschiedet, das die Informationsfreiheit über Homo- und Transgender-Themen massiv einschränkt, Relevanz besitzt.

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Aktivistin Ceyenne Doroshow erzählt in „Pride“ von der Gründung der ersten Schönheitswettbewerbe für Drag Queens und der Entwicklung der Ballroom-Kultur

Die sechs Episoden sind sehr umfangreiche und detaillierte Mini-Geschichtsstunden. In einer Zeit, in der die Kommerzialisierung des Regenbogens so weit fortgeschritten ist, hält „Pride“ Fakten und Hintergrundwissen dagegen. Die Macher*innen zeigen, dass Pride ein Protest, ein Aufstand war und es immer noch ist. Und dass Songs von Volks Rock’n’Rollern daran ebenso wenig ändern werden wie pseudomäßig eingefärbte Logos von Fußballverbänden.

Neben gewohnten Elementen wie Talking Heads setzen die Macher*innen von „Pride“ auf viel Archivmaterial. Schön zu sehen ist, dass darunter viele bis dato unbekannte Homevideos sind. Zum Beispiel von queeren Dinner- und Cocktailpartys oder von RuPaul, der mittlerweile wohl bekanntesten Drag-Queen der Welt, bei ihren Karriereanfängen. Die Macher*innen nehmen sich auch thematisch große Brocken vor und verweben die LGBTIQ+-Bewegung mit anderen zivilgesellschaftlichen Initiativen wie der feministischen Bewegung, der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung oder aktuell der Black-Lives-Matter-Bewegung.

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Mit Videos von Nelson Sullivan wird das queere Leben in NYC in den 80ern erzählt

Damit zeigen sie, dass Geschichtsschreibung selten einen roten Faden besitzt und verzichten konsequenterweise in weiterer Folge gleich selbst in ihrem Storytelling darauf. Am Ende ist „Pride“ dann eine wilde, aber verdammt lehrreichen Abhandlung über die Entwicklung der LGBTIQ-Rechte und ein filmisches queeres Nachschlagewerk.

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