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John Grant

Bella Union/PIAS

John Grant erzählt mit „Boy From Michigan“ seine persönliche Geschichte

Der US-Musiker John Grant nennt sein neues Album „Boy From Michigan“. Es handelt sich um autobiografische Songs, in denen John Grant an den Ort seiner Kindheit zurückkehrt und dann weitergeht in seine Zeit als Teenager, die er mit seiner Familie in den Rocky Mountains verbracht hat.

Von Eva Umbauer

John Grant erzählt mit „Boy From Michigan“ seine Geschichte. Er erinnert sich bis heute ganz genau an einzelne Momente, etwa als er ein kleines Kind war und einmal am Rummelplatz beim örtlichen Volksfest noch nicht mit all den Attraktionen fahren durfte - mit dem großen Ringelspiel oder dem Autodrom. John musste weinen. Er hat später noch oft geweint, auf seiner beschwerlichen Reise zum eigenen Ich.

Zwischen Liebe und Hass

John Grant ist nicht nur körperlich groß gewachsen, er ist als Künstler ein Gigant - als Songschreiber, Sänger und Musiker. Ob alleine am Konzertflügel sitzend, mit Band oder als Electronic-Artist. Es ist ein Gänsehaut-Erlebnis, wenn er mit dieser großen Baritonstimme seine „Liebes"lieder singt, die auch schon einmal zu "Hass"liedern werden. John Grant trägt sein Herz ja meist auf der Zunge. Wieder und wieder erzählt er von seinen Erlebnissen und den Geschichten, die ihn prägten.

Albumcover "Boy From Michigan" John Grant

Bella Union/PIAS

"Boy From Michigan“ von John Grant ist bei Bella Union/PIAS erschienen.

Schon mit seiner Band The Czars war John Grant ein großes Talent. Die Band aus Denver, Colorado veröffentlichte insgesamt sechs Alben, allesamt waren voll mit ziemlich himmlischen Songs, irgendwo zwischen Harry Nilsson - dem großen US-Songschreiber aus den 1960er und 70er Jahren - und dem britischen Electronic-Pionier Brian Eno. The Czars waren benannt nach den russischen Herrschern, den Zaren. John Grant spricht perfekt Russisch, genauso wie er perfekt Deutsch spricht. Früher arbeitete er als Russisch-Übersetzer in einem Krankenhaus in New York. Inzwischen lebt John Grant längst vom Musikmachen.

In den ersten achtzehn Jahren des Lebens widerfährt einem allerhand, so John Grant: „Was immer dir in diesen Jahren passiert ist, plötzlich musst du damit fertig werden, denn es wird erwartet, dass du nun weißt, was zu tun ist, um im Leben glücklich und erfolgreich zu werden.“

Mit neunzehn Jahren verließ John Grant die USA und ging nach Deutschland, um Deutsch zu studieren. Als Teenager hatte er Nina Hagen gehört und sich durch ihre Musik in die deutsche Sprache verliebt. Heute lebt John Grant auf Island, zusammen mit seinem isländischen Partner. Dass er recht gut Isländisch spricht, versteht sich fast von selbst. John Grant ist gerne in Island, nur die Bäume vermisst er - die Bäume von Michigan, die im Herbst ganz besonders schön sind. Rund um die Kleinstadt Buchanan, Michigan, gab es viele Äpfel und man machte Ahornsirup. Im Winter spielten die Kinder stundenlang draußen im Schnee, und drinnen gab es dann heißen Kakao für sie.

Kindheit in Michigan

Wenn John Grant an Michigan denkt, jenen Staat im sogenannten Mittleren Westen der USA, dann denkt er weniger an die heute verarmten urbanen Räume und ihre große Vergangenheit durch die Autoindustrie, sondern er denkt vor allem an die Natur. Bis heute hat er den Geruch in der Nase, wenn der Schnee im Frühling endlich schmolz. Es ist ein ganz eigener Geruch, wie John Grant im FM4-Interview erzählt, ein Geruch, den er für immer mit seiner Kindheit in Michigan verbindet.

Die ersten drei Songs auf „Boy From Michigan“ bilden die Michigan-Trilogie: „Boy From Michigan“, „County Fair“ und „The Rusty Bull“. Der rostige Bulle, eine große Skulptur, machte ihm Angst. Dann geht das neue Album von John Grant über in seine Teenager-Zeit in Denver, Colorado. Johns Familie war in die Rocky Mountains gezogen, weil seine Mutter die Berge so sehr liebte. „Ich denke noch viel an meine Mutter“, sagt John Grant im FM4-Interview. Sie starb an Krebs als John Mitte 20 war. Aber er denkt auch viel an seinen Vater und die Geschwister in den USA, an die gemeinsame Zeit damals.

Einmal lief ein Horrorfilm im Fernsehen von Familie Grant: „See No Evil“ mit Mia Farrow. „Ich war viel zu jung für diesen Film“, sagt John Grant. Im Song „Dandy Star“ geht es darum. Dandy Star war das Pferd des Mädchens in diesem Film, der John Grant verstört hat.

Erste große Liebe

Einer der Höhepunkte von „Boy From Michigan“ ist der Song „Mike And Julie“. Mike war die erste große Liebe von John Grant. Die beiden jungen Männer kannten sich aus ihrer Kirchengemeinde in Denver, Colorado. Mike ging dann auf eine christliche Universität im US-Bundesstaat Arkansas. John besuchte ihn dort. Mike wollte darüber reden, was zwischen ihnen war, aber John konnte nicht, denn er hatte komplett verinnerlicht, dass schwule Typen für immer in der Hölle schmoren würden. Mit der guten Freundin Julie floh John schließlich aus der Situation. Er und Mike haben bis heute nicht beredet, was damals zwischen ihnen war.

In „Mike And Julie“ heißt es poetisch: „The bass line in your song on the cassette sounds like the storm clouds we see up ahead.“ John Grant bezieht sich dabei auf den Song „I Can´t Explain“ vom englischen 80er-Jahre-Pop-Duo Blancmange. Der recht experimentelle Song „Your Portfolio“ handelt von Reichtum und wie dieser in den USA sexualisiert wird, und in „The Only Baby“ geht es um die Wirtschaft: „Imaginary numbers dance like Vegas showgirls in his head“, singt John Grant.

John Grant

Bella Union/PIAS

Der sogenannte Amerikanische Traum

Neben all den persönlichen Inhalten behandelt „Boy From Michigan“ letztlich den sogenannten Amerikanischen Traum, also, dass man es im Leben mit viel Fleiß von ganz unten nach ganz oben schaffen kann. Aber es gibt diesen „American dream“ eigentlich schon länger nicht mehr, und so ist eine der Städte in Michigan, nämlich Flint, eine der ärmsten Städte der USA, und das war schon vor der Pandemie so.

„Boy From Michigan“ ist eine Platte, in der man sich total gut verlieren kann. Mit mikroskopischem Detail erzählt John Grant aus seiner Kindheit und Jugend - und darüber hinaus wie ein Maler, der sorgfältig mit dem Pinsel Strich für Strich Farbe aufträgt. Eine Klarinette hier, ein Saxofon-Solo dort, ein Hauch von Dreampop, summende Synthies und auch schon einmal jazzige Grooves. John Grant ist eloquent, er hat Witz, und sein musikalisches Gespür ist groß. „Boy From Michigan“ hat in einzelnen Momenten etwas Schweres, aber es ist auch eine zärtliche Platte.

Zusammenarbeit mit Cate LeBon

Die britische Musikerin Cate LeBon hat „Boy From Michigan“ produziert. Am 1.März letzten Jahres begannen John und Cate in Island mit den Aufnahmen. Dann kam schon der Lockdown. Die beiden machten weiter. „Es war eine sehr sanfte Zusammenarbeit“, erzählt John Grant im FM4-Interview: „Cate hat mich sanft bei diesem Prozess begleitet. Es war ihr wichtig, dass ich genau die Platte machen konnte, die ich machen wollte.“

John Grant und Cate LeBon sind seit einigen Jahren miteinander befreundet. Beide spielten einmal beim englischen Glastonbury-Festival, als John die Gelegenheit ergriff, Cate anzusprechen. Cate dachte erst, John sei ein Festivalmitarbeiter. Später sangen beide zusammen ein Duett. Als John in der großen Royal Albert Hall in London spielte, kam Cate auf die Bühne. Dass John Grant und Cate LeBon jetzt bei „Boy From Michigan“ zusammen gearbeitet haben, ist ein absoluter Glücksfall, ein richtiges „match made in heaven“.

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