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Kiley Reid

David Goddard

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„Such A Fun Age“: Kiley Reid verbindet Systemkritik und Satire

Systemkritik und Satire, das geht gut zusammen. Die US-amerikanische Autorin Kiley Reid ist mit ihrem ersten Roman schon 2020 auf der Longlist des Booker Prize gelandet. Jetzt ist die deutsche Übersetzung da.

Von Lisa Schneider

Philadelphia. Es ist ein später, warmer Septemberabend. Emira Tucker ist gerade mit dem Kind, mit dem sie 20 Stunden pro Woche als Babysitterin verbringt, im Lieblingssupermarkt der Familie Chamberlain. Die hat Emira spontan angerufen, damit sie die kleine Briar abholt. In ihrem Haus wird wegen einer eingeschlagenen Fensterscheibe nämlich gleich die Polizei vor der Tür stehen. Das Kind soll das alles nicht mitkriegen.

Ein Sicherheitsbeamter des Supermarkts wird darauf aufmerksam gemacht, dass da eine Schwarze junge Frau mit einem weißen Kind unterwegs ist. Die junge Frau ist leicht alkoholisiert, trägt auffallendes Make-up und High Heels. Emira war gerade auf einer Geburtstagsfeier, als der dringende Anruf der Chamberlains einging. Sie ist sofort aufgebrochen. Jetzt wird sie des Kidnappings bezichtigt.

Buchcover Kiley Reid "Such A Fun Age"

Ullstein Verlag

„Such A Fun Age“ von Kiley Reid erscheint in der deutschen Übersetzung von Corinna Vierkant im Ullstein Verlag.

So die Eröffnungsszene von Kiley Reids Debütroman „Such A Fun Age“, Kritikerliebling der New York Times inklusive Platz auf der Longlist beim Booker Prize 2020. Da ist viel drin: Satire, Geld- und Klassenfrage. Rassismus, Slapstick, Stolz und Erniedrigung. Fertignudelpackungen.

Als Emira ihren Auftraggeber, Mr. Chamberlain, vom Supermarkt aus anruft, lichtet sich die Lage. „Er ist ein alter, weißer Mann, das wird sicher alle beruhigen.“ Wird es. Aber jemand hat den Vorfall mit seiner Handykamera gefilmt.

Eine Schwarze Person, die sich um eine weiße kümmert, bzw. für sie als Hausangestellte*r arbeitet. Die Geschichte ist uralt. Mit dem Smartphonevideo bekommt sie aber einen modernen Twist. Können Menschen etwas live miterleben, und sei es nur via Bildschirm, ist die Wahrnehmung eine andere. Das Video soll im Laufe des Buchs noch einige weitere brisante Vorfälle auslösen.

Von guten Menschen

Alix Chamberlain ist knapp über 30, verheiratet, zwei Kinder, gut situiert. Geld war nie ein Problem, früher nicht, heute nicht. Auch sie hatte früher eine Schwarze Nanny. Alix bloggt, liebt New York und Mimosas, auch wenn sie der Arbeit ihres Mannes zuliebe mit ihm nach Philadelphia gezogen ist. Dann der Abend im Supermarkt. Der white saviour complex schlägt voll ein.

Alix will Emira unbedingt helfen. Flehende Hilflosigkeit. Sie steckt ihr den doppelten Wochenlohn zu und schlägt vor, die Supermarktkette zu klagen. Emira: „Das ist nichts für mich.“

Gute Intentionen, strahlendes Lächeln, die sanfte Überheblichkeit. Alix will Emira für sich einnehmen. Sie könnte ein gutes, neues Projekt abgeben. Gewollt lässig sagt sie in ihrer Gegenwart Dinge wie „diese Schuhe habe ich von Payless“ oder „der Teppich hat so gut wie nichts gekostet“. Das sind die Momente, in denen sich die beiden verpassen. Kleine Fehltritte. Emira hat ganz andere Sorgen.

Kein lustiges (Zeit-)Alter

Emira ist 25 und fällt in wenigen Monaten aus der Sozialversicherung ihrer Eltern. Sie hat studiert, verdient mit Abtipp-Jobs und seit kurzem eben auch als Babysitterin etwas Geld. Was sie vom Leben will, weiß sie noch nicht. Zuerst einmal irgendwie die Miete bezahlen. Die Lage einer Babysitterin und überhaupt die der Hausangestellten ist prekär. Als Babysittern ist man, im Unterschied zu einer Nanny, nicht angestellt. Sprich: keine Zusatzleistungen, keine Krankenversicherung. Ein Tag Urlaub heißt ein Tag ohne Gehalt.

Eines der aktuellen Lieblingsbücher von Kiley Reid ist „The Perfect Nanny“ von Leila Slimani, auf Deutsch „Dann schlaf auch du“. Frankreich, reiche Familie, Kindermädchen, Mord. Eine weiterführende Leseempfehlung.

Kiley Reid ist eine Dialog-Meisterin. Es ist unangenehm. Es ist witzig. Gut beobachtet. Vor allem aber awkward. Die Kunst des Aneinandervorbeiredens. Die Filmrechte sind natürlich schon verkauft.

Kiley Reid, geboren in Los Angeles, aufgewachsen in Tucson, Arizona, ist Absolventin des Iowa Writer’s Workshop. Während ihres Studiums hat sie selbst als Babysitterin gearbeitet. Gefragt nach autobiographischen Parallelen, antwortet sie: „Emira is way cooler than I was.“ Die Geschichte ist eine fiktive, die Klassendynamik ist dieselbe. Kiley Reid im Interview mit The Daily Show:

Talking about race without talking about class is kind of a moot point.

Emiras Leben geht nach dem Vorfall weiter. Ihre Sorgen auch. Das ist der springende Punkt. Solange die Sozialversicherung, geschweige denn eine umfangreichere Vorsorge, nicht gedeckt ist, ist es herzlich egal, wie nett und überzeugt die Arbeitgeberin mit Rettungsplänen auf der Matte steht. Beim strukturellen Rassismus geht es um die Struktur. Und beim Roman „Such A Fun Age“ geht es um eine locker gute, nicht weniger anregende Sommerlektüre.

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