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Maren Wurster über Pflege und Tod ihrer Eltern

Maren Wurster hat mit „Papa stirbt, Mama auch“ ein aufwühlendes Buch über ihre eigenen Erfahrungen mit Pflege und Tod der Eltern geschrieben.

Von Lisa Schneider

„Für euch sollte nicht geklatscht werden“, so der Titel eines Artikels von Maren Wurster für die deutsche Wochenzeitung Die Zeit. Sie schreibt darin über die Pflegesituation in Coronazeiten, genauer, über die Pflegekräfte, die ihre Eltern betreut haben. „Manche von ihnen verdienen für vierzig Stunden die Woche so viel wie ich für zwanzig (...) Und dabei dachte ich immer, ich arbeite in einem nicht so gut bezahlten Bereich, Kultur halt.“

Kultur halt: Maren Wurster, geboren 1976, hat Filmwissenschaft und Philosophie in Köln und Literarisches Schreiben am Deutschen Literaturinstitut Leipzig studiert. 2017 hat sie ihren ersten Roman „Das Fell“ veröffentlicht.

Maren Wurster schreibt außerdem für das Kollektiv „Writing with CARE / RAGE“, das sie mitgegründet hat. Aus dem Mission Statement: „Es geht uns darum, neue Geschichten über Autor*innenschaft und Care-Arbeit zu erzählen, Utopien zu entwickeln. Gesellschaftliche Räume und Möglichkeitsräume zu öffnen.“

Um Care-Arbeit geht es unter anderem auch in Maren Wursters soeben im Hanser Verlag veröffentlichten neuen Buch „Papa stirbt, Mama auch“. Damit stand sie auf der Shortlist des Wortmeldungen-Literaturpreises 2021. „Papa stirbt, Mama auch“ ist ein autobiographischer Text. Der Ausgangspunkt im Titel, die umgangssprachliche Anrede der Eltern und das fast Unfassbare. Emotionalität und Fakten.

Das Ende ist langsam

Maren Wurster verbringt viel Zeit auf ihrem Fahrrad. Fast so viel Zeit wie im Krankenhaus und im Pflegeheim, zwischen denen sie hin- und herfährt. Auf der Intensivstation des Krankenhauses liegt der Vater, die Metastasen sind schon überall. Im Pflegeheim lebt die demenzkranke Mutter.

Stuttgart, ein gutes halbes Jahrhundert zuvor. Der Vater, Programmierer, und die Mutter, noch ungegendert als „Versicherungskaufmann“ eingetragen, lernen sich kennen. 50 Jahre sollten sie verheiratet sein, die beiden letzten verbringen sie - fast immer gemeinsam - in Pflege.

Buchcover Maren Wurster "Papa stirbt, Mama auch"

Hanser Berlin

„Papa stirbt, Mama auch“ von Maren Wurster erscheint bei Hanser Berlin.

Das „Du“, das Maren Wurster im Buch anspricht, ist der Papa. Der Macher. Der, der einem alles gezeigt hat. Der Gutmütige, der Großzügige. Der, der nachts betrunken aus dem Bett fällt. Die Nachbarn von unterhalb beschweren sich. Es poltere so laut.

Die Mutter bleibt die Schöne, Gepflegte, Unnahbare. Parallel zum Pendeln zwischen Krankenhaus und Pflegeheim erinnert sich Maren Wurster an ihre Kindheit. Spanienurlaub. Bayrischer Wald. Die Ostsee. Familienurlaube, später sogar gemeinsam mit ihrem eigenen Kind. Der Alterungs- ist wie der Krankheitsprozess ein schleichender, nur der zweite ist richtig grausam.

Die Mutter beginnt, dem Vater nicht mehr von der Seite zu weichen. Das Vertrauen zu anderen schwindet. Sauberes Geschirr wird abgewaschen. Geduscht wird dafür nicht mehr. Die Wohnung verkommt in Dreck und Zigarettenrauch. Dazu kommt der Unwille zum Eingeständnis und das Nichtaufgebenwollen der Autonomie. So wie hier beschrieben, ist es nachvollziehbar.

Der bürokratische Spießrutenlauf beginnt. Einen Heim- bzw. Pflegeplatz zu finden, hängt von Faktoren ab, die oft nicht durchschaubar sind. Man lernt Wörter wie „Pflegestufe“ kennen und hassen und ärgert sich, wenn die einstufende Person genau in dem Moment zu Besuch kommt, in dem die Mutter mal wieder eine lichte Stunde hat. Auch die General- und Sorgevollmacht ist manchmal nur ein Zettel, der weiter nicht viel bringt.

Als es geschafft ist, und beide Elternteile im Pflegeheim untergebracht sind, kommt Corona. Es kommt das gemeinsame Weinen mit den Pflegekräften, die unter den Masken schnaufend durch die Gänge laufen. Weil keiner die Unfassbarkeit der Situation begreifen, schon gar nicht akzeptieren kann. Demenzkranke Menschen leben hier abgeschottet und werden besucht von solchen, die eingehüllt in Plastik für sie noch weniger zu erkennen sind.

Wenn es nur der Abschied wäre

„Papa stirbt, Mama auch“ ist ein aufwühlendes Buch, ein schönes, kein selbstgerechtes. Das Abrechnen und Abwiegen der Beziehung zu den Eltern ist immer auch ein Abrechnen und Abwiegen der Beziehung zu sich selbst.

Da sind Momente des Wiedererkennens. Da sind Momente des die Eltern Nichtwiederkennens. Papas nackter Hintern im Krankenhaushemd. Alt, eingefallen, krank. Mama, die immer so gepflegt war. Da ist die Furcht vor Vererbung, vor Demenz, Depression, Krebs, Sucht. Da ist die Wut, wenn „niemand im Krankenhaus offen mit mir spricht“. Da ist die Unbeholfenheit, und neben all dem ist da auch noch die Trauer. Für die ist im Moment noch gar keine Zeit. Vielleicht ist es das, was am meisten weh tut.

„In den letzten zwanzig Jahren hat sich die Zahl der pflegebedürftigen Menschen verdoppelt“, schreibt Maren Wurster im eingangs erwähnten Artikel. Sie bezieht sich auf die Verhältnisse in Deutschland, die Zahlen in Österreich sehen aber nicht viel anders aus. 2050 wird jeder zehnte Mensch in Österreich älter als 80 Jahre sein.

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