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Das eigentliche Problem mit den Staatsbürgerschaften

Die SPÖ will die Voraussetzungen für die Staatsbürgerschaft lockern, die ÖVP ist dagegen und die FPÖ will verschärfen. Das Hickhack der Parteien lenkt vom echten Problem ab, sagt Wiener Anwalt Kazim Yilmaz.

Von Ali Cem Deniz

Wer die österreichische Staatsbürgerschaft haben möchte, muss gewisse Voraussetzungen erfüllen. Dazu gehört ein mindestens zehnjähriger und ununterbrochener Aufenthalt in Österreich. Der Vorschlag der SPÖ, diese Zeitspanne auf sechs Jahre zu verkürzen, hat die ÖVP kürzlich in helle Aufregung versetzt. ÖVP-Klubchef August Wöginger erklärte gar die ÖVP zum „Garant dafür, dass es zu keiner Entwertung der Staatsbürgerschaft kommt“. Die „Linksparteien“ würden mittels Masseneinbürgerungen die Mehrheitsverhältnisse im Land ändern wollen, so Wöginger. Seine Parteikollegin und Verfassungsministerin Karoline Edtstadler rechnete in der ZIB2 eine halbe Million neue Einbürgerungen vor.

Von der Frage abgesehen, warum die aktuell stärkste Partei im Land offenbar davon ausgeht, dass Neo-Österreicher*innen sie nicht wählen würden, wunderten sich viele Expert*innen über die Zahlen, die ins Spiel gebracht wurden. Tatsächlich ist die betroffene Gruppe, die von einer Lockerung profitieren würde, viel kleiner. Deutlich größer ist die Gruppe, die bereits jetzt die Voraussetzungen erfüllt, aber trotzdem bei der Einbürgerung Schwierigkeiten erlebt.

Das Problem seien nicht unbedingt die Voraussetzungen für die Einbürgerung, sondern die Verfahren und die schlecht ausgestatteten Behörden, meint deshalb Anwalt Kazim Yilmaz, der viele Betroffene vertritt, die oft jahrelang in diesen Verfahren stecken.

Langwierig und undurchsichtig

Für Aufsehen hatte kürzlich der Fall einer 25-jährigen Wienerin gesorgt, die in einem Video für SOS Mitmensch von ihrem Einbürgerungsverfahren erzählt. Die in Wien geborene und aufgewachsene Lehrerin und Regisseurin hat die serbische Staatsbürgerschaft. Seit über einem Jahr versuche sie, einen österreichischen Pass zu bekommen, erzählt Olga Kosanović. Die Kommunikation mit der MA35 – der in Wien für Einbürgerungen verantwortliche Behörde – sei sehr mangelhaft.

Außerdem sei ihr ein Studienaufenthalt in Hamburg zum Verhängnis geworden. Die MA35 habe ihr mitgeteilt, dass ihr Fall sehr schwierig sei und dass ermittelt werden müsse, ob sie überhaupt „integrierbar“ sei. Ein Schock für die 25-Jährige, die seit ihrer Geburt ihren Lebensmittelpunkt in Wien hat.

Knappe Ressourcen

Kazim Yilmaz berichtet von vielen ähnlichen Fällen seiner Mandant*innen. „Besonders makaber ist es, wenn man Leuten nur ein, zwei Wochen Zeit gibt, um aufwändige Unterlagen beizubringen, während die Behörde den Akt monatelang einfach liegen lässt und nicht bearbeitet“, sagt Yilmaz. Er glaubt, dass die Einwanderungsbehörden mehr Personal und Knowhow brauchen, um die Verfahren schneller abzuschließen.

Dass eine Aufstockung des Personals möglich ist, wenn der politische Wille vorhanden ist, hatten 2018 die Verfahren rund um die türkisch-österreichischen Doppelstaatsbürgerschaften gezeigt. Damals hatten die MA35, aber auch die Einwanderungsbehörden der anderen Bundesländer zusätzliche Mitarbeiter*innen eingestellt.

Das Wahlvolk schrumpft

Im Jahr 2020 wurden 8.996 Einbürgerungsverfahren positiv abgeschlossen. Ein Rückgang von 15 Prozent im Vergleich zum Jahr davor. Das ist fast so niedrig wie in den 1980er Jahren. Im Jahr 2003 gab es mit 45.000 Einbürgerungen den Höchstwert. Das langsame Tempo in den Verfahren ist nicht nur für die Betroffenen ein Problem.

Mehr als 1,5 Millionen Menschen mit ausländischer Staatsbürgerschaft leben in Österreich, 600.000 von ihnen in Wien. Obwohl viele ihren Lebensmittelpunkt in Wien haben, sind sie von den Wahlen großteils ausgeschlossen. Während die Bevölkerung wächst, wird das Wahlvolk kleiner. Wie gravierend die Auswirkungen sind, lässt sich am Beispiel vom 15. Bezirk in Wien veranschaulichen. Hier sind schon mehr als 40 Prozent der Bewohner*innen nicht wahlberechtigt. Der Politikwissenschaftler und Demokratieexperte Gerd Valchars spricht in diesem Zusammenhang von einer „defizitären Demokratie“.

Die große Hürde

Das Problem mit den langsamen Verfahren dürfte auch bei der Stadt Wien bekannt sein. So hat Vizebürgermeister Christoph Wiederkehr (NEOS), der für die Einwanderungsagenden der Stadt verantwortlich ist, angekündigt, noch heuer 50 neue Stellen für die MA35 zu schaffen. Außerdem soll ein Service-Center eingerichtet werden, damit die Kommunikation besser funktioniert. Wiederkehr nimmt allerdings auch den Bund in die Verantwortung. Die Verschärfungen der letzten Jahre hätten die Arbeit der MA35 erschwert. Er plädiert unter anderem für Erleichterungen bei der Doppelstaatsbürgerschaft.

In Punkto Doppelstaatsbürgerschaft ist die ÖVP-Linie bekanntlich nicht besonders geradlinig. In der Koalition mit der FPÖ wollten die Türkisen den Südtiroler*innen eine italienisch-österreichische Doppelstaatsbürgerschaft ermöglichen. Und letztes Jahr hat die Regierung das Staatsbürgerschaftsgesetz novelliert, damit Nachfahren von Opfern des NS-Regimes mit einer ausländischen Staatsbürgerschaft auch die österreichische bekommen können.

Für die meisten in Österreich lebenden ausländischen Staatsbürger*innen ist das nicht möglich. Sie müssen ihren Pass abgeben, wenn sie die österreichische Staatsbürgerschaft annehmen möchten. Das sei für viele eine große Hürde und nicht mehr zeitgemäß, sagt Kazim Yilmaz: „Was spricht dagegen, dass sich jemand sowohl als Österreicher und Amerikaner sieht oder als Österreicher und Belgier oder als Österreicher und Türke? Wir sehen das immer so negativ in unserem Land. In Wahrheit ist es eine Bereicherung, nicht nur kulturell, sondern auch wirtschaftlich. Ich bin der Meinung, dass wir da sehr viel Potenzial brach liegen lassen. Da gäbe es noch viel Aufholbedarf.“

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