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Zwei Männer begrüßen sich

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Wie wir uns in Zukunft begrüßen können

Begrüßungen sind während der Pandemie zum Politikum geworden. Aber wie geht es jetzt weiter? Bleiben Fist-Bump und Ellbogengruß auch in Zukunft bestehen? Darüber reden wir mit der Fachärztin für Infektiologie, Dr. Ursula Hollenstein.

Von Melissa Erhardt

Nach über einem Jahr Pandemie sind Begrüßungen vor allem eins: weird. Während wir uns früher vielleicht komisch dabei vorgekommen sind, fremden Menschen ein Bussi auf die Wange zu drücken, gehen einem jetzt sogar beim Begrüßen von Verwandten und Bekannten tausend Fragen durch den Kopf: Ist sie/er eigentlich schon geimpft? Hat sie/er vielleicht mit Risikopersonen zu tun und schützt sich daher besonders? Bin ich eigentlich schon bereit für so viel Nähe? Die Gedanken beanspruchen unser Gehirn ein paar Sekunden länger als normal und schwups, schon ist die Situation super unangenehm und beide Parteien blicken betreten zu Boden, während sie mit den Händen herumfuchteln und dabei ein schüchternes „Hallo“ rauslassen.

Gut, so schlimm ist es wahrscheinlich nicht bei allen, aber trotzdem: Die Pandemie hat unsere fast schon automatisierten Begrüßungsrituale auf die Probe gestellt. Die Frage ist: Wie machen wir in Zukunft weiter? Geht es zurück zu Bussi-Bussi, Händedruck und Umarmungen? Oder bleiben Fist-Bump, Ellbogengruß oder auch der Fußgruß in Zukunft bestehen? Dr. Ursula Hollenstein ist Fachärztin für Innere Medizin, Infektiologie und Tropenmedizin und kann uns auf diese Fragen ein paar Antworten geben.

Radio FM4: Seit der Pandemie haben wir Begrüßungsrituale wie die höfliche Verbeugung, die in Teilen Asiens praktiziert wird, besser nachempfinden können. Wäre das Ihrer Meinung nach die hygienischste Variante der Begrüßung?

Ursula Hollenstein: Also, wenn man jetzt rein von der Hygieneseite kommt, dann kann man sicher sagen: Je weniger man sich begrüßt, umso geringer die Chance, Dinge zu übertragen. Das geht von den Sachen, die wir üblicherweise über Tröpfchen übertragen, bis hin zu den ganzen Durchfallerkrankungen, die beim Reisen ja vor allem eine Rolle spielen und die durchaus auch über Hände weitergegeben werden.

Man muss sich schon fragen: Wie weit will man gehen, um Infektionen zu verhindern?

Es ist nicht unsere Kultur, es ist nicht unser Leben; völlige Infektionsvermeidung würde einfach heißen, Menschen überhaupt nicht mehr anzugreifen. Das wäre das sicherste aus infektiologischer Sicht. Ich glaube, da muss man einfach einen Weg finden zu sagen: Gewisse Dinge passieren einfach und die lässt man auch passieren. Man kann sich ja einiges merken, aber ich glaube nicht, dass sich die Österreicher das lange merken werden. Es wäre sehr schön, wenn eine gewisse Händehygiene weiterbetrieben wird, aber dass wir jetzt aufhören, uns anzufassen, das würde mir auch persönlich einfach unglaublich wehtun.

Radio FM4: Wir haben uns ja jetzt monatelang vor allem mit unseren Fäusten, Ellbogen und Füßen begrüßt. Wie sinnvoll war das überhaupt?

Ursula Hollenstein: Das ist schon etwas, wo praktisch keine Infektionsweitergabe denkbar ist. Dass etwas so infektiös ist, dass es tagelang auf dem Stoff des Ellbogens aktiv bleibt, weitergegeben werden kann und dann wirklich eine Person infiziert, das gibt es an und für sich nicht. Das ist nicht einmal bei den höchstinfektiösen Viren bekannt. Das heißt, es war schon sinnvoll. Es hat halt so ein bisschen amerikanische Ghettowirkung und sieht dann beim siebzigjährigen Universitätsprofessor schon ein bisschen seltsam aus. Das sind wir alle miteinander trotz des Jahres Übung nicht gewöhnt.

Radio FM4: Was würden Sie aus virologischer Sicht sagen: Was ist „gefährlicher“, das Händeschütteln, das Bussi-Bussi oder die Umarmung?

Ursula Hollenstein: Das Bussi-Bussi ist sicher an der ersten Stelle dieser Liste. Es macht zwar nicht jeder gleich, aber die meisten haben nicht das sehr Edle, wo wirklich nur die Lippen gespitzt werden, praktiziert, sondern es wird üblicherweise schon noch ein bisschen geschmatzt. Da entstehen natürlich sehr wohl Aerosole, und zwar direkt und nah am Gesicht. Das ist sicher die beste Möglichkeit für Viren, von A nach B zu kommen. Das Händeschütteln ist Nummer zwei, weil wir die Hände einfach unwillkürlich tausendmal am Tag im Gesicht haben und alles, was sich darauf befindet, über kürzere oder längere Zeit auf jeden Fall im Gesicht landet. Wir bohren in der Nase, wir reiben uns die Augen, und schon ist das Virus dort, wo es eigentlich hin möchte. Das Umarmen, wenn man es einfach nur macht, wie man es üblicherweise tut, das ist maximal an dritter Stelle.

Radio FM4: Viele Menschen, vor allem jüngere, begrüßen sich ja mittlerweile wieder ganz normal. Was denken Sie, wird sich das auf den weiteren Verlauf der Pandemie auswirken?

Ursula Hollenstein: Ich denke schon, dass es wichtig war, irgendwann wieder zu unserem Leben zurückzukommen. Das hat man uns lange genug versprochen. Wenn wir uns jetzt nicht trauen, diese normalen Verhaltensweisen wieder aufzunehmen, dann brauchen wir es gar nicht mehr machen. Dann müssten wir uns wirklich darauf einigen und beschließen, überhaupt keinen körperlichen Kontakt mehr zu haben. Das soll nicht sein und wird nicht sein. Es sind immer mehr Menschen geimpft, die Infektionszahlen sind so niedrig wie seit über einem Jahr nicht mehr. Jetzt ist es für mich sicher mehr als vertretbar, dass die Menschen sich wieder so verhalten, wie sie es gewöhnt sind.

Wenn wir uns jetzt nicht trauen, diese normalen Verhaltensweisen wieder aufzunehmen, dann brauchen wir es gar nicht mehr machen

Der große Motor für die Übertragung werden sicher eher, und das tut mir leid für alle, die gerne feiern, die großen Veranstaltungen über viele Stunden sein, mit zunehmendem Alkoholisierungsgrad, wo man einfach zunehmend feuchter wird in der Aussprache und in allem, was man macht. Das ist sicher das vom normalen Leben, was ich noch am Ehesten ein bisschen mit Misstrauen und Sorge beäuge. Und nicht der normale Umgang miteinander.

Radio FM4: Welche Form der Begrüßung ist zum jetzigen Zeitpunkt für Sie selbst am ehesten geeignet?

Ursula Hollenstein: Wir sind das natürlich ein bisschen vorsichtig angegangen. Ich habe ja eine Ordination und muss damit rechnen, dass mir Menschen gegenübertreten, die das sehr unterschiedlich sehen. Es gibt noch sehr viele Menschen, die unglaublich viel Angst aus diesem Jahr Pandemie mitgenommen haben und die entsetzt wären, wenn man ihnen die Hand entgegenstreckt, auch wenn sie zweimal geimpft sind und ich zweimal geimpft bin. Das heißt, da muss ich im beruflichen Umfeld sehr viel Rücksicht nehmen auf mein Visavis. Im privaten Umfeld mach ich es derzeit einfach davon abhängig, wer mein Gegenüber ist. Also wenn, wie jetzt, Gott sei Dank, im Umfeld immer mehr, fast alle geimpft sind, dann machen wir das genauso wie vorher.

Was ich nicht so unangenehm finde, ist, dass es eine Überlegung geworden ist und dass es nicht mehr diesen fast Zwang zum Bussi-Bussi gibt, wie es sich ein bisschen entwickelt hatte. Österreich war ja gar keine Bussi-Bussi-Nation und hat das schon ein bisschen übernommen. Das wurde fast zur neuen Normalität, auch mit Menschen wo ich mir denke, muss ich das eigentlich? Ich kenn den kaum, er ist mir jetzt auch nicht wahnsinnig sympathisch und trotzdem ist es aber eine Clique, in der das offensichtlich üblich ist. Also da bin ich gar nicht unfroh, wenn das vielleicht wieder einen Schritt zurückgeht, dass ich jene eng begrüße, die mir am Herzen liegen und wo ich mich darauf freue, und bei allen anderen auf das etwas Formalere zurückgehen kann.

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