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Aulandschaft in der Wiener Lobau

CC BY 2.0 von flickr.com/christiane_jodl

Lobau-Autobahn: „Wer Straßen sät, wird Autos ernten“

Aufregung im Osten: der Bau der Lobau-Autobahn und der Wiener Stadtstraße werden vom Verkehrsministerium nochmal überprüft. Landespolitiker*innen schäumen, Umweltaktivist*innen sind vorsichtig optimistisch und rufen für Freitag Abend erst recht zu einer Großdemo auf.

Von Rainer Springenschmid

Auf Eis liegt nichts, hat das Verkehrsministerium klargestellt, aber bis Herbst sollen sämtliche Bauprojekte der Asfinag – also auch die „Wiener Stadtstraße“ und der S1-Abschnitt zwischen Schwechat und Süßenbrunn inklusive Lobau-Tunnel – auf ihre Klimatauglichkeit überprüft werden.

Was bei Umwelt- und Klima-Aktivist*innen vorsichtigen Optimismus auslöst, treibt den Verkehrs- und Wirtschaftslandesrät*innen von Wien, Niederösterreich und dem Burgenland die Zornesröte ins Gesicht. Für manche Politiker*innen von SPÖ, ÖVP und FPÖ kommt jeder Zweifel am Autobahnbau durch die Lobau einem Sakrileg gleich. Die „wirtschaftliche Entwicklung der Ostregion“ hänge an diesem Stück Beton und Asphalt, so sind sie sich einig. Aber stimmt das? Ist die Ostregion wirklich so entwicklungsbedürftig? Und wie geht das mit dem zweiten Versprechen der Autobahnbefürworter zusammen: weniger Staus auf der Südost-Tangente und in den angrenzenden Bezirken?

Südost-Tangente in Wien voller Autos

APA/GEORG HOCHMUTH

Südost-Tangente in Wien

Weniger Verkehr durch neue Straßen?

Für Wolfgang Rehm, Sprecher der Bürgerinitiative VIRUS, die sich seit Jahren gegen den Bau der Lobau-Autobahn einsetzt, geht das gar nicht zusammen. Bestes Beispiel sei der vor 15 Jahren fertiggestellte Abschnitt der S1 zwischen Vösendorf und Schwechat, die sogenannte Südumfahrung. Hier hatte man auch Entlastung versprochen: Wer von der Südautobahn zum Flughafen fahre, müsse nicht mehr über die Tangente. Doch de facto, meint Wolfgang Rehm, sei die Tangente so voll wie bisher, und die Südumfahrung habe täglich 40.000 Fahrten mehr generiert.

Und tatsächlich findet sich die Verkehrsentlastung zwar in vielen Prospekten und Versprechungen, aber selbst der Projektantrag der Asfinag geht davon aus, dass mittelfristig einzig die Breitenleer Straße spürbar entlastet würde, auf der Tangente, sowie in angrenzenden niederösterreichischen Ortschaften bliebe die Verkehrsbelastung nahezu gleich.

Auch was die „wirtschaftliche Entwicklung“ betrifft, befürchtet Rehm Schlimmes. Denn tatsächlich finden sich dort, im Nordosten Wiens und im angrenzenden Niederösterreich, nur vereinzelte Industriegebiete. Blickt man aber in den Speckgürtel, vor allem entlang der Autobahnen im Süden Wiens, mit seinen Shopping- und Industriezentren, so ist es fraglich, ob ein solches Szenario in Zeiten hoher Bodenversiegelung, Artensterben und Klimawandel wünschenswert ist.

Straßenbau bringt nicht weniger, sondern mehr Verkehr

Tatsächlich weiß man in der Verkehrswissenschaft schon lange, dass Straßenbau nicht weniger, sondern mehr Verkehr bringt. Wer mit dem Auto in zehn Minuten am Ziel ist, mit den Öffis aber eine halbe Stunde braucht, der wird in den meisten Fällen das Auto nehmen – jeder Ausbau der Straßeninfrastruktur zieht also Verkehr von den Öffis ab, jeder Öffi-Ausbau wirkt in die Gegenrichtung.

Es gibt aber noch einen tiefer gehenden Effekt, denn „Erschließung“ wirkt sich auch auf die Raumplanung aus – und die Autobahn ist dabei ein wichtiger Faktor: Neue Siedlungen entstehen dort, wo Menschen schnell wegpendeln können; wenn das mit dem Auto einfach geht, dann braucht es dort auch wenig Infrastruktur und weite statt kurze Wege sind kein Problem. Heute verbringen die meisten Pendler*innen genausoviel Zeit im Auto wie vor 50 Jahren, der Ausbau der Infrastruktur hat nur die Distanzen wachsen lassen, die sie zurücklegen. Jede Autobahn, die zusätzlich gebaut wird, zieht Zersiedelung und Bodenversiegelung nach sich.

Versiegelte Verkehrsflächen bei der Shopping City Süd

APA/HELMUT FOHRINGER

Versiegelte Verkehrsflächen bei der Shopping City Süd

Auch dem Argument des Wiener Bürgermeisters Michael Ludwig, die Erschließung der Neubaugebiete in und um die Seestadt Aspern sei ohne hochrangige Straßenanbindung – Lobau-Autobahn und „Stadtstraße“ nicht möglich, widerspricht Rehm: Der Automatismus, zu Siedlungsbau gehöre notwendigerweise eine Autobahn, stamme aus grauer Vorzeit, aus der Altbetonzeit, wie Rehm sie nennt. Umweltfreundliche Alternativen seien nie überprüft worden. Das Straßenbahnkonzept für die Donaustadt sei bisher nur in Teilen umgesetzt und mit Parkraumbewirtschaftung, einer S-Bahn-Südosttangente und einem zeitgemäßen Raumordnungskonzept könne viel Verkehr in der Donaustadt umweltfreundlich aufgefangen werden – oder er würde gar nicht erst entstehen. „Die Behauptung, die Seestadt brauche die Lobau-Autobahn, ist durch nichts belegt“, meint Rehm. Im Gegenteil, meinen Umweltschützer und Wissenschaftler, brauche Wien die Lobau dringend als Naherholungsgebiet, als Biotop und Naturjuwel

Autobahnen als Anachronismus?

Die Lobau ist ein Teil des Nationalparks Donau-Auen und seit 1978 Naturschutzgebiet. Hier finden vom Aussterben bedrohte Tier- und Pflanzenarten Platz, das Wasser ist, wie in allen Aulandschaften, prägendes Element. In solch ein sensibles Ökosystem könne man natürlich nicht einfach folgenlos zwei Röhren legen, meinen Wissenschaftler*innen, der Wasserhaushalt sei massiv bedroht. Auch politisch sind die Aulandschaften sensibles Gebiet, ist doch die Umweltbewegung in Österreich durch die erfolgreiche Besetzung der Hainburger Au entstanden.

Noch Anfang der 2000er-Jahre hat der damalige Wiener Bürgermeister Häupl versichert, es werde keine Autobahn durch die Lobau geben. Kurz darauf reichte die Asfinag das Projekt ein, sie konnte sich der Unterstützung der Stadt Wien sicher sein. Projektiert waren damals Baukosten von 1,9 Milliarden €, die werden auch heute noch als Kosten aufgeführt. Gegner*innen des Projekts rechnen mit mindestens 4,5 Milliarden € Steuergeld, das in diesen Bau einer Autobahn investiert werden soll, während anderswo auf der Welt Autobahnen bereits wieder abgebaut werden.

In einem Land, dessen größte Umwelt- und Klimaprobleme die Zunahme des Auto- und LKW-Verkehrs, Zersiedelung und Flächenverbrauch sind, wirkt der Bau der Lobau-Autobahn tatsächlich wie ein Anachronismus, die persönlichen Angriffe von Vertretern der Boomer-Generation gegen „selbsternannte Umweltschützer“ oder die „wild gewordene Grün-Aktivistin im Verkehrsressort“ verstärken dieses Bild. „Ein Projekt aus der Alt-Betonzeit“, nennt es Wolfgang Rehm.

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