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Oehls „100% Hoffnung“: So klingt Hoffnung

Ariel Oehl und Hjörtur Hjörleifsson beschäftigen sich auf ihrer neuen EP „100% Hoffnung“ mit den ganz großen Themen: Arbeit, Geld, Liebe, Hoffnung. Im Interview sprechen sie über Misslaune und Zukunft.

Von Susi Ondrušová

Die beiden Musiker und Freunde Ariel und Hjörtur schreiben als Oehl nicht nur Songs, sie entwerfen Konzepte und ganz die Pop-Profis wissen sie, dass neben der Musik die visuelle Komponente nicht unbeachtet bleiben darf.

Die Zärtlichkeit ihrer Songs wird mit dezenten Farb-Codes beim Live-Auftritt oder mit außergewöhnlich schönen Bandportraits unterstrichen. Schatten, Spiegel, Schminke. Einzigartig auch das Talent große Zustände mit wenigen Worten auf ihre Essenz runterbrechen zu können.

2020 war ein gutes Jahr, wenn man sich Mantra-mäßig an Zeilen aus ihren Songs „Wolken“ oder „Über Nacht“ festhalten konnte. Okay, es war natürlich ein forderndes, um nicht zu sagen beschissenes Jahr. Der Auftritt von Oehl am FM4 Geburtstagsfest hätte der erste von sehr vielen Live-Gigs werden sollen, um das Debütalbum in wirklich allen Ecken der deutschsprachigen Länder vorzustellen und ihre Fankreise zu erweitern. Dann kam die Pest, Konzerte haben sie trotzdem gespielt, andere, wenige.

Am Sonntag, 4.Juli stellen Hjörtur und Ariel ihre Lieblingssongs im FM4 Gästezimmer vor und sind zu Gast im FM4 Soundpark.

Wer nicht tourt, geht ins Studio und schreibt Songs. Es hätte schlimmer kommen können, es hätte auch besser kommen können. Eine Misslaune ist entstanden, die sich in der neuen EP „100% Hoffnung“ manifestiert.

Wichtig: Oehl sind nicht zynisch. Sie sind nur ein bisschen traurig: „Wir versuchen so ein bisschen Hoffnung mit auf den Weg zu geben. Wobei das natürlich nicht ganz einfach fällt dieser Tage.“

Oehl-Albumcover

Oehl

„100% Hoffnung“ von Oehl ist auf Groenland Records erschienen.

Im Interview sprechen Ariel und Hjörtur über die neuen Songs und die großen Themen, die das Album verbindet: Arbeit, Geld, Liebe und Hoffnung eben.

Am Tag der Arbeit heuer habt ihr die Single „Arbeit“ veröffentlicht. Arbeit ist auch eines meiner Lieblingsthemen. Wir sind hier an meinem Arbeitsplatz. Welchen Bezug habt ihr zur Arbeit? Über Arbeit lernt man auch viel über Geld kennen und Umgang mit Menschen.

Hjörtur Hjörleifsson: Es war eigentlich am Tag VOR dem Tag der Arbeit da ist die Single rausgekommen. Die Arbeit ist so ein großes Thema für sich, es braucht ja einen eigenen Tag und wir wollten darüberschreiben, wie Arbeit teilweise auch überfordernd sein kann. Es gibt natürlich die positiven Aspekte der Arbeit. Wir sind beide sehr arbeitsfixiert und arbeiten auch gerne. Aber es ist nicht immer so und es geht im Song darum, wie man sich manchmal so einen Käfig aufbaut aus Arbeit und in die Arbeit hinein flüchtet. Es sich selber teilweise schwerer macht.

Ariel Oehl: Wir kommen aus unterschiedlichen Arbeitsbereichen. Ich komme aus der Werbung eigentlich und Hjörtur aus der Gastro und es sind gleich beides Bereiche, die ziemlich auslaugen können, wenn man es zu lang macht und zu viel. Und wir haben dann irgendwie zueinander gefunden und ich bin eigentlich ganz froh, also ich hoffe zumindest, dass die Werbung nicht mehr mein Thema sein wird und ich nehme mal an, auch die Gastro nicht deine, Hjörtur. Wobei das, was wir gelernt haben, hier in die Musik einfließt. Das heißt, ich mache natürlich auch das ganze Marketing rund um Oehl. Ich spreche Menschen an, Kommunikation ist immer ein großer Faktor und Hjörtur macht ein verdammt gutes Catering, wenn es um Videodreh und Events geht. Also hier haben wir eigentlich eine Symbiose.

Hjörtur Hjörleifsson: Also ja, Catering ist auf jeden Fall Teil davon. Ich glaube auch einfach sich um die Menschen in der Umgebung zu kümmern.

Ariel Oehl: Hospitality sagt man dazu.

Hjörtur Hjörleifsson: Das ist so eine der größeren Aufgaben auch innerhalb der Band.

Ariel Oehl: Du bist der wunderbarste Gastgeber neben meinem Vater, den ich kenne. Den ich hier nennen muss, weil er immer sehr viel Wert darauflegt. Aber das machst du ganz großartig und wenn es mal bei Oehl irgendwas zu gewinnen gibt, dann wäre es ein Frühstück von Hjörtur. Und ich komm auch gern.

Meine nächste Frage wäre gewesen, ob ihr denn so 9-to-5 Berufserfahrungen habt aber ihr habt eher so 14-Stunden Berufserfahrung.

Ariel Oehl: 5-to-9 eher bei dir.

Hjörtur Hjörleifsson: Ich habe als Jugendlicher sehr viel gearbeitet im Sommer, und auch teilweise Erfahrungen gesammelt bei der Gärtnerei und in der Fischfabrik in Island. Ich glaube, das ist so ein Ding, das jeder Musiker und Musiker in Island durchmachen muss, aber nicht nur Musiker, sondern die meisten Leute einer gewissen Generation. Björk hat auch in der Fischfabrik gearbeitet, was vielleicht, jetzt fällt es mir ein, vielleicht hat sie das dann auch einfließen lassen in ihre Rolle bei „Dancer in the Dark“ von Lars Von Trier.

Ariel Oehl: Bring mich nicht dazu, dass ich mir den Film nochmal anschaue.

Hjörtur Hjörleifsson: Ja, meistens schaut man sich Lars von Trier-Filme nur einmal an.

Neben dem Song „Arbeit“ gibt es auch den Song „Arbeit II“ auf der neuen EP „100% Hoffnung“. Gibt es eine Geschichte zum Song? Also wenn ich jetzt nur zitiere: Es geht um Handschuhe aus Leder. Ein Würgen. So rein wie Papier mit 30! Ich kann da keine Fortsetzung aus der ersten Single Arbeit entdecken.

Ariel Oehl: Die erste Single „Arbeit“ dreht sich sehr stark um das viele Arbeiten und vielleicht auch das sich zu Tode arbeiten in der sogenannten Selbstverwirklichung und vielleicht dann auch die freiwillige Arbeit, in der man sich ein Schloss aus Granit baut. Im letzten Satz von „Arbeit I“ heißt es, wir decken uns mit ihm zu, mit diesem Granit. Also der Sargdeckel. Und in „Arbeit II“ geht es eigentlich um die Kehrseite, die Erwerbsarbeit, die wir uns nicht aussuchen, in die wir da vielleicht so hineinrutschen und die erst einmal ganz angenehm ist, uns Geld bringt und sagt: Hey, du kannst dir jetzt was Neues kaufen, du kannst da umziehen usw. Und deswegen sind diese Handschuhe aus Leder als Bild, die erwürgen, ganz langsam. Die sind eigentlich sehr fein, die sind etwas, was man erstrebenswert findet und dann irgendwann geht die Schlinge dieser Handschuhe zu. Ich glaube diese Erwerbsarbeit hat ein ähnliches Problem wie die Selbstverwirklichungs-Arbeit. Nur geht es ein bissl langsamer und es laugt mehr aus und ist weniger diese permanente Anstrengung. „Arbeit“ und „Arbeit II“ sind einfach zwei Seiten der Arbeits-Medaille.

Hjörtur Hjörleifsson: Es ist dieses sich langsam anschleichende der Unzufriedenheit und wie man mit der Zeit unglücklicher wird in der Arbeit.

Kein Happy End.

Ariel Oehl: „Mit zahmen Händen umarmt sie dich erst zärtlich, dann legt sie dir die Fesseln an. Ganz ohne Widerstände. Mit Handschuhen aus Ledern. So fängt das Würgen an.“ Es ist schon zärtlich. Aber am Ende geht es nicht gut aus.

Kommen wir zum Thema Geld: Ich weiß gar nicht, ob ihr von der Musik leben könnt?

Ariel Oehl: So so. Im Moment, das muss ich sagen, die Staatshilfen während Corona sind okay. Da gibt´s den Sozialversicherungsfonds, der zuzahlt, den Härtefallfonds. Das Konzept mit den Live-Auftritten ist ganz gut, aber 2020 ist das ein bissl in die Hose gefallen. Aber da muss man sagen, da bin ich Österreich auch sehr dankbar, dass wir da auch vom Staat unterstützt werden als Künstler.

Hjörtur Hjörleifsson: Da kommen wir wieder zurück zum 1. Mai. Das ist etwas, was auch erkämpft worden ist durch die Jahrhunderte. So wichtig ist der Sozialstaat, den schätzen wir sehr.

Wir werden gleich über die Liebe sprechen aber vor der Liebe kommt die Hoffnung. Immer, wenn ich ein neues Album bekomme, dann höre ich mir zuerst den Titelsong an, und „100 % Hoffnung“, der Titelsong, ist eine Art Sound-Collage mit Beteiligung von Fans, die euch Nachrichten geschickt haben zu einer bestimmten Frage und ihr habt es dann gemeinsam mit eurem Produzenten Marco Kleebauer zu einem 20-Minuten-Hörspiel ausgearbeitet. Was war denn da die Fragestellung?

Ariel Oehl: Wir hatten fünf Fragen auf Instagram und Facebook und eine davon war die Frage „Wenn du ganz überraschend eine Million Euro erben würdest, wärst du bereit, die Hälfte davon an Steuern abzugeben?“ Und das ist erst einmal eine sehr einfache Frage. Aber da kommen sehr viele Themen mit. Wir haben uns gedacht, dass die Antworten homogener ausfallen, und es war dann doch sehr unterschiedlich, weil die einen haben gesagt, na ja, sie würden die Hälfte nicht an Steuern abgeben, weil sie dem Staat nicht vertrauen, sie würden das Geld anders spenden. Wo wir dann wieder dazu kommen, dass wenn jeder mit dem Geld macht, was er für gut hält, der Sozialstaat nicht funktioniert. Die anderen haben gesagt, natürlich wären sie bereit dazu. Ich finde das ist eine Frage, wo man sehr gut merkt, wie wir auch selber ticken. Da gab es fünf Fragen und wir haben dann 60 Einreichungen oder mehr bekommen und haben dann circa 30 aussortiert und diese dann zusammengeschnitten zu einer Diskussion.

Das war sehr berührend, weil dieses Denken, dass wir in einer Bubble leben, die sehr homogen funktioniert, ist ein Irrglaube. (Ariel Oehl)

Auch in der Generation X, Y, Millennials, Zoomer, Boomer, who knows. Da gibt’s ähnliche Ängste. Da ist Sicherheit ein großes Thema. Es gibt auch 20-Jährige, die nach der Matura sagen „Ich schau lieber, dass ich ziemlich schnell irgendeine sehr fachliche Ausbildung durchziehe“ und dann gehe ich aufs Thema Sicherheit. Dann gibt’s genauso welche wie wir, die sagen, sie möchten in erster Linie das machen, was sie am liebsten tun, ungeachtet auch der Unsicherheit, die es mit sich bringt. Und ich glaube da haben wir überhaupt kein einheitliches Bild bekommen. Und das hat mich auch sehr gefreut, dass dieselben Ängste und Sorgen, aber auch irgendwie Wünsche mitkommen mit jeder Generation und das glaube ich, bildet sich ganz gut auf unsere Platte ab.

Oehl-Albumcover

Oehl

Was würdet ihr mit einer Million machen?

Ariel Oehl: Ach, ich würde nichts ändern. Ich würde sicher die Hälfte davon in irgendeiner Form abgeben. Und mit der anderen Hälfte würde ich vermutlich die nächsten zehn Oehl-Alben finanzieren. Es ist meine ehrliche Antwort. Ich habe eigentlich nichts Besseres vor damit.

Hjörtur Hjörleifsson: Das meiste Geld, das wir bekommen, geht in das Projekt wieder ein. Und Frühstücken!

Reden wir jetzt übers Burgenland und den Song „300.000“. Die Inspiration war ein Zeitungsartikel über eine Jung-Familie in deinem Alter Ari, die ihr Erspartes verloren hat wegen dem Kommerzialbank-Mattersburg-Chef, und im Song kommt dann der Satz vor „Es ist nur Geld“. Was hat dich an der Geschichte so berührt?

Ariel Oehl: Einerseits sind die Protagonisten der Geschichte, also der Vater, das Kind und die Mutter vergleichbar mit meiner Situation. Ich habe selbst einen Sohn, der in demselben Alter ist, über den singe ich dann auch. Ich habe das Gefühl, dass wenn wir so Headlines lesen über so Bankenskandale, dann betrifft’s uns eigentlich überhaupt nicht. Dann sind das halt Zahlen, hunderttausende, die irgendwie betroffen sind. In diesem Fall waren es 13.000 Menschen oder so. Die Geschichte von einer Familie zu erzählen, hat mehr Kraft als diverseste Zeitungsartikel. Vor allem in einer Welt - also das Burgenland fühlt sich nicht mehr an wie unsere Welt, dabei sind wir ganz nah dran, jetzt nicht nur geografisch, sondern auch diese Vorgänge, die sich abspielen. Auf der einen Seite die Gier von Menschen und zu glauben, man kann da jetzt schnelles Geld machen. Auf der anderen Seite da ein gewisser Lokalpatriotismus, der da mitgespielt hat in Mattersburg. Thema Fußball. Warum da nicht genau hingeschaut wurde. Es war alles „too good to be true“. Und da hätten viel früher sehr viele Leute aufschreien müssen und diese Themen spiegeln sich in jeder Dimension wieder. Hjörtur du hast da in Island ähnliches erlebt?

Hjörtur Hjörleifsson: Also vor 2008, wo dann das ganze Finanzsystem in Island einfach gecrasht ist, haben die Leute ihre Bank-Investoren als Export-Wikinger und Investoren-Wikinger gefeiert und haben das ganz toll gefunden und sich total reingesteigert materialistisch. Sich Häuser gekauft und viel viel höher gelebt als sie eigentlich sich leisten konnten. Und dann kam alles zusammen. Also ist das durchaus vergleichbar.

Ariel Oehl: Es gibt den schönen Spruch „God make us walk but the the devil sends a limo“. Und ich mag den ganz gerne, weil es ist ein bisschen so:

Überall da, wo schneller Erfolg, schnelles Glück versprochen wird, da müsste man sich eigentlich schon überlegen hey, hoppla, das kann eigentlich nicht funktionieren. (Ariel Oehl)

Es hat noch nie funktioniert. Aber gleichzeitig sehen wir in diversen Youtube-Werbungen, die wir jeden Tag bekommen, dass uns dieses schnelle Glück immer noch versprochen wird, dieser Way Out aus unserer Misere, mit ganz einfachen Mitteln. Das ist, fürchte ich leider nicht der Weg, der funktioniert. Aber ich kenne jetzt auch den anderen nicht.

Im Sommer kannst du Oehl an diesen Orten live sehen.

Die YouTube-Kommentare unter „300.000“ haben mich echt überrascht. Ich lese sehr viele YouTube-Kommentare und die User*innen waren so auf inhaltlicher Ebene total berührt, also dass ihr einen Punkt getroffen habt und über ein Thema gesungen habt, über das wenige Bands singen. Also da habt ihr schon gute Lorbeeren bekommen. For what its worth.

Ariel Oehl: Ich glaube das führt auch zu dem Ziel, das wir haben.

Weltherrschaft?

Ariel Oehl: Nein, das Ziel von Oehl ist definitiv, inhaltlich relevante Musik zu machen. Neben schöner Musik. Aber wir beschäftigen uns so viel mit Themen, die wir wichtig finden, immer schon. In unserer Freundschaft geht’s einfach viel um Diskussionen und um Gesellschaft und um Welt. Und ich merke, dass wir jetzt an einem Punkt sind, wo wir diese Themen einfließen lassen können, ohne jetzt eine Sprache annehmen zu müssen, die sich verbogen anfühlt. Und ich hoffe, dass man es in Zukunft mehr machen können wird. Also diese politische Dimension von Gesellschaft und Wirtschaft wird’s jetzt vielleicht ein bisschen weniger geben, aber wenn ich drüber nachdenke, wir schreiben gerade am zweiten Album und da geht’s dann um Männlichkeits-Themen, Depression, was bei vielen Menschen ein Thema war, die Rollen als Eltern und auch die Verteilungsfrage mit Corona. Das sind alles sehr politische Themen, aber private politische Themen, die halt in Wahrheit nicht privat sind. Ich glaube, das Politische kann man von uns jetzt nicht mehr ganz wegkriegen, aber es kommt in verschiedenen Formen und das Ziel würde ich einfach nur so definieren, dass ich sag’, wenn wir relevante Inhalte transportieren können, dann bin ich eigentlich sehr glücklich, weil Musikmachen können wir eh schon, da brauchen wir nichts anderes mehr dazu.

Auf „100 % Hoffnung“ gibt es einen Song, da habe ich mir vorab gedacht „Oh, das wird jetzt ein empörtes Lied, das ich mir anhören werde!“ Weil dieser Song heißt „Amazon.de-signout“. Aber hinter diesem Song versteckt sich keine empörte Hymne, sondern ein Liebeslied.

Ariel Oehl: Hinter dem Song steckt ein Liebeslied, nämlich eine On-Off Liebe, eine On-Off Beziehung, die hier besungen wird. Und das ist die On-Off-Beziehung zum Konsum. Ich glaube in dieser Bezihung leben wir alle, weil wir einerseits natürlich um diesen Umstand wissen, dass wir zu einem System beitragen, das an allen Ecken und Enden stinkt und wo sehr viele Menschen ausgebeutet werden. Angefangen bei den Produkten, die da gekauft werden, bis hin zum Ausliefern. Da gibt’s sehr viel, sehr viel Schlechtes, was da passiert. Und deswegen diese Off-Beziehungen, weil wir das auch wissen und wir manchmal bewusst auf diesen Konsum verzichten. Die On-Beziehung ist ein bisschen komplexer, weil wir ja auch nicht ganz rauskommen aus dieser Maschine. Ich glaube wir machen uns mit Konsum manchmal auch glücklich. Wir schenken uns Dinge zu Anlässen und das ist auch ganz okay so. Der Teil der On-Beziehung, der gehört auch dazu zum Leben und gibt uns eine gewisse Sicherheit und einen gewissen Halt. Wir haben das gemerkt, wenn alle Geschäfte zu sind, dann wissen wir auch oft nicht, was mit unserer Zeit anzufangen ist oder wenn alle Kaffeehäuser zu sind. Das heißt, das ist die On-Seite des Konsums. Und dann gibt’s noch die dritte Komponente. Ich würde mal sagen, die Ohnmacht, dass wir halt überhaupt keine Kontrolle darüber haben, ob wir den Konsum überhaupt zulassen oder nicht. Und auch die ist in Beziehungen ganz oft da, dass man nicht aussucht, ob diese Liebe da ist. Insofern kann man dieses Lied, wenn man nur den Text des Songs anschaut, kann man es wirklich wie einen gewünschten Abschiedsbrief an eine große Liebe lesen. Mit dem Titel jedoch ist der Adressat jedenfalls Amazon und nicht eine Person.

Hjörtur Hjörleifsson: Mir fällt gerade ein, es wäre so schön, ein Musikvideo dazu zu machen so eine Liebesbeziehung zu Gegenständen. Mir kommen jetzt die Bilder hoch.

Ariel Oehl: Oder ein Tanz mit dem Lieferanten.

Oder Kamera von oben und dann Fließband, einfach Sachen scannen und am Ende wird dann Oehl gescannt. Das ist sehr plakativ, aber warum nicht.

Hjörtur Hjörleifsson: Ja. Also wenn wer weitere Ideen hat für ein Musikvideo, einfach schreiben.

Ich hab das gern gemacht im Supermarkt immer schauen, was die anderen kaufen und sich dann überlegen „Was machen die da jetzt mit diesen drei Jägermeister Flaschen und der Chips Packung?“

Ariel Oehl: Naja, es ist auch echt mal meine ganze Jugend. Ich bin Einzelkind und meine Mutter hat sehr viel gearbeitet und war alleinerziehend und wir waren einfach abends in Einkaufszentren. Wir haben dann nicht viel gekauft. Wir waren einfach dort in dieser Umgebung von Konsum und haben gebummelt, zuerst wars Spielzeug, später Klamotten und dann waren wir im Intersport-Restaurant Halbpreis-Essen. Das ist eine Realität aus meiner Jugend, die für mich völlig warm ist und überhaupt nicht negativ behaftet ist, so dieses Bummeln und Schauen mit meiner Mama, das mache ich immer noch, wenn ich bei meiner Mama in Salzburg bin. Insofern hat der Konsum auch eine Heimat für mich. Und ich habe gemerkt, dass das natürlich zweischneidig ist und das einfach nur zu verteufeln funktioniert auch nicht.

Im Song „Keine Angst“ auf der EP kommt auch das Wort Mama vor. Da geht es um ein neues Haus, das viele Räume hat. Es ist ein bisschen kleiner, dafür schöner. Und es ist gebaut aus Hoffnung und Träumen.

Ariel Oehl: Vom Politischen ins Persönliche. Der Song „Keine Angst“ ist tatsächlich ein Brief an meine Mutter. Wir haben irgendwann über Greta Thunberg geredet und sie hat zu mir gesagt „jetzt nervt mich die aber schon langsam“. Dann habe ich ihr gesagt, dann hast du es aber nicht kapiert, wenn sie dich nervt, weil eigentlich müsste es dich ja selber nerven. Das ist ja auch zutiefst traurig, wenn man sich Videos von ihr anschaut. Also mich macht es traurig, weil ich das Gefühl habe, uns sind die Hände sehr stark gebunden. Und in dem Song „Keine Angst“ geht es einerseits tatsächlich um die Klimakatastrophe und um die eigene Bereitschaft, hier Veränderungen nicht stattfinden zu lassen und auch den Willen, den Unwillen, sich zu verändern. Und die Message, die ich meiner Mutter mit gebe ist „habe keine Angst“, selbst wenn wir auf etwas verzichten müssen! Wir leben in einem System, das uns sehr stark schützt vor wirklich tiefen Eingriffen und wir werden nicht auf viel verzichten müssen. Das heißt, die einzigen, die wirklich den Verzicht einleiten können, sind wir. Und sie soll keine Angst davor haben, weil sie verliert weder mich, noch ihre Wohnung wird sie verlieren, wenn sie jetzt anfängt, auf Dinge zu verzichten.

Bei so großen Themen macht ihr das alles sehr poetisch und empathisch. Ich finde diese Platte echt atemberaubend schön, aber ich frage mich trotzdem, wo die Wut ist, irgendwie. Das sind schon inhaltliche Themen, wo ich mir denke, da könnte man auch mit der Faust auf den Tisch hauen. So musikalisch.

Hjörtur Hjörleifsson: Ich glaube, wir sind keine besonders wütenden Menschen. Natürlich spürt jeder mal Wut ab und zu. Aber ich glaube, es gibt einfach andere, die das viel besser können als wir. Das mit der Faust.

Ariel Oehl: Unsere Musik ist eine sehr leise. Ich bin mir nicht sicher, ob wir die Richtigen wären, die ganzen Protestsongs zu schreiben. Unsere EP heißt „100% Hoffnung“ und wo hört man eigentlich die Hoffnung auf dieser EP? Ich habe mir die Frage selbst öfter gestellt und bin eigentlich zu dem Punkt gekommen, wo ich Hoffnung mit sowas wie Gottesglaube vergleichen kann, was nach rein wissenschaftlichen und faktischen Gesichtspunkten sehr schwierig ist. Der Glaube ist immer etwas, das man in sich selbst konstruieren muss. Aber wenn man ihn findet, dann kann das ja beruhigend sein. Und mit der Hoffnung ist es glaube ich sehr ähnlich. Wir kennen nicht alle Faktoren, die in Zukunft stattfinden und nach allen, die wir jetzt kennen, ist die Welt relativ im Arsch und das wieder umzukehren ist sehr unwahrscheinlich. Aber da wir nicht alle Faktoren kennen und das ist jetzt der Punkt, wo ich mit Gott anknüpfe, wir wissen es auch nicht 100% was da los ist. So ähnlich sehe ich es mit der Hoffnung. Die Hoffnung kann einerseits etwas Beruhigendes sein. Aber indem wir sie weitergeben, diesen Glauben an die Hoffnung, geben wir ihn ja auch unseren Kindern und unseren Mitmenschen mit. Und letztlich ist es für mich der einzige Weg, wie sich die Hoffnung vielleicht auch in ein Handeln umwandelt. Mit einer negativen Message werde ich persönlich nicht empowered, zu handeln.

Ich denke, die Hoffnung ist ja auch allen zugänglich. Und sie ist gratis. (Hjörtur Hjörleifsson)

Ariel Oehl: Ich habe das Gefühl, ich stoße auf sehr viel Widerstand mit einer Faust, mit dem Ankreiden von Privilegien, was absolut nachvollziehbar ist. Aber damit entsteht sehr viel Reibung und ich persönlich bin oft genug in Reibungsverhältnissen und merke einfach, mit einem positiven Gedankengut kann ich sehr viele Menschen erreichen. In meinem eigenen Haus, wo ich wohne, habe ich sehr viel ältere Nachbarn, mit denen ich viel rede. Und dann merke ich einfach, es ist immer dann schwierig, wenn ich mit der Faust komme. Da kann ich sagen „ich würd mir wünschen, es ist so und ich glaube, das könntest du dazu beitragen, ich würd mich darüber freuen“ damit komme ich meistens ganz gut durch.

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