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Will Eisner – Graphic Novel Godfather

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Comic

Will Eisner – der Graphic Novel Godfather

Will Eisner gehört zu den bedeutendsten Comiczeichnern. Mit seiner Figur „The Spirit“ setzte er neue Maßstäbe, er entwickelte Lehr- und Informationscomics und er war der erste, der „Graphic Novel“ auf ein Buch schrieb. Alexander Braun hat ihm mit einer umfangreichen Monographie ein Denkmal geschaffen.

Von Zita Bereuter

Alljährlich wird in der Comicwelt eine der wichtigsten Auszeichnungen vergeben - der Eisner-Award. Benannt ist der mit dem „Oscar“ vergleichbare Preis nach dem Zeichner Will Eisner, einer der bedeutendsten, aber wenig bekannten Personen in der Comicwelt. Will Eisner hat sein Schaffen mehrfach neu erfunden, wie der Kunsthistoriker und Kurator Alexander Braun detailliert in der Monographie „Will Eisner – Graphic Novel Godfather“ darlegt.

"Comic – sequenzielle Kunst – ist mein Medium. Ich betrachte es als mein einziges Medium, so wie der Schriftsteller nur Worte schreibt, oder der Filmemacher nur in Filmen denk. Es ist ein definierbares, einzigartiges Medium.“ (Will Eisner 1941)

Will Eisner – Graphic Novel Godfather

Avant Verlag

Alexander Braun: Will Eisner – Graphic Novel Godfather. Avant Verlag 2021

Beim Comicfestival in München wurde das Buch mit dem den Peng!-Preis 2021 als „Beste Sekundärliteratur“ ausgezeichnet.

Weil die Tennements, die typischen New Yorker Mietskasernen, so typisch für Will Eisner sind, hat Alexander Braun das auch für das Cover gewählt.

1941 betreibt der gerade mal 24 Jahre alte Will Eisner bereits ein eigenes Studio mit mehreren Mitarbeitern in New York. Im Akkord zeichnen sie Comicstrips für die Sonntagsbeilagen von Zeitungen. Mit seiner Arbeit finanziert er das Leben seiner Eltern und seiner zwei Geschwister - zuvor lebte die Familie lange in Armut.

Österreich - New York

William Erwin Eisner wird 1917 in prekäre Verhältnisse geboren. Sein Vater, ein Kunstmaler, wanderte 1914 aus Österreich aus - wo er in den Ersten Weltkrieg einziehen hätte müssen. In New York heiratet er eine entfernte Verwandte mit rumänischen Wurzeln. Er, der verträumte Intellektuelle, spricht nur Deutsch und Jiddisch, sie, die pragmatische Analpabetin, spricht nur Englisch. Das Milieu der Einwanderer, die sich sprachlich kaum assimilierten und Armut prägen Will Eisner.

Alexander Braun beschreibt in der Monographie die enge Wechselwirkung von Armut und Kunst in der Familie Eisner. Der Vater findet keine Arbeit, häufig zieht die Familie um und bereits als Kind muss Will Eisner Geld verdienen - als Zeitungsverkäufer in der Wallstreet. Die darin abgedruckten Comicstrips sind die Initialzündung für eine lebenslange Leidenschaft.

Tenements - Mietskasernen

Die Familie Eisner lebt inmitten von Einwanderern auf zu engem Raum in Tenements, den typischen New Yorker Mietskasernen: Ziegelbauten mit Feuertreppen und engen Hinterhöfen. Hier erfährt Will Eisner erstmals Antisemitismus. Hier lernt er sich auf der Straße zu behaupten. Hier schärft er seinen Blick für alltägliche Probleme.

„Da standen Männer in Chesterfield-Mänteln mit Samtkragen, einem feinen Bowler-Hut und guten Schuhen in der Wall Street und hielten eine Schachtel in den Händen, aus der sie Äpfel für fünf Cents verkauften. Das war total verrückt, geradezu theatralische Szenen. Sehr spezielle Zeiten, die deinen Blick schärften.“(Will Eisner)

Dementsprechend spielen seine Geschichten häufig in den 1930er Jahren, während der Weltwirtschaftskrise – in den New Yorker Tenements, aus deren armseligen Verhältnissen alle in die Mittelschicht aufsteigen wollen. Will Eisner schafft diesen Aufstieg mit seiner Arbeit, fühlt sich aber immer dem Milieu sehr verbunden, aus dem er stammte: sowohl dem der kleinen Leute als auch einem jiddischen.

So wie der Maler Pieter Bruegel der Ältere als Chronist des bäuerlichen Lebens gilt, sieht Alexander Bauer Will Eisner als Chronist der Mietshausghettos von New York. Will Eisner erzählt von dem, was er erlebt hat. Ein roter Faden, der sich durch das Werk Eisners zieht.

The Spirit

Die Figur „The Spirit“ ist der erste große Wurf von Will Eisner und gilt als Comic-Klassiker. Für eine Zeitungsbeilage soll er einen Superhelden entwerfen, angelehnt an Batman. Eisner widerstrebt das.

Als Zugeständnis an die Produzenten zeichnet er der Figur eine kleine Augenbinde, macht aber keinen Superhelden aus ihr. Im Gegenteil: „The Spirit“ ist ein smarter Mann in Anzug mit Hut - ein ehemaliger Polizist, der versehentlich für tot erklärt wurde und Verbrecher jagt - mit Ironie und Humor. Die eigentlichen Helden aber sind die kleinen Leute.

Das ist neu in der Comicwelt, ebenso wie die grafischen Spielereien und die Metaebenen, mit denen Will Eisner die Grenzen des Comics verschiebt. „Er hat dieser Serie alles abgerungen an Kreativität, was abzuringen war. Und er war da erst in seinen 20er Lebensjahren. Also das ist schon sehr erstaunlich, dass jemand in diesem Medium reüssiert und dann diesen diesen kreativen Impetus hat, wirklich das Medium zu erweitern und zu entgrenzen, wie es nur geht“, erklärt Alexander Braun im Interview.

Statt eines Logos zeichnet Will Eisner jeweils eigene Startseiten des Comics, in denen er den Schriftzug „The Spirit“ ausgeklügelt platziert. In Summe sind das weit über 600 Varianten: Von Gebäuden, die wie Buchstaben gebaut sind, zu Papier, das durch die Luft flattert und Buchstaben ergibt, bis zum Schriftzug, der sich im Wasser kräuselt. Von Hand unter enormem Zeitdruck. „In den frühen vierziger Jahren war das eine völlige Sensation, die vermutlich auch nur sehr wenige Kollegen zu schätzen wussten, weil die Leser drüber hinweggelesen haben“, meint Alexander Braun. Später machte das Schule.

American Visuals

Im Zweiten Weltkrieg zeichnet Will Eisner für die US-Army Plakate und Handbücher in Comicform, etwa zur richtigen Wartung von Geräten und Maschinen.

In Folge gründet er 1948 die Firma „American Visuals“, mit der er neue Kommunikationsfelder in Lehre und Information im Medium Comic ausloten will. 20 Jahre lang zeichnet er Unterrichts- und Lehrcomics für verschiedenste Auftraggeber – unter anderem das Pentagon. Mit den Stilmitteln des Comics vermittelt und erklärt er komplexe Sachverhalte.

Graphic Novel

Schließlich erfindet sich Will Eisner in den frühen 1970er Jahren nochmal neu und kehrt wieder zum Kern der Comicszene zurück. Dort hat sich mittlerweile eine Fankultur ausgebildet, die auch Comic Conventions, also Comicmessen veranstaltet. Will Eisner trifft zufällig auf Undergroundcomic und stellt fest, dass Comic erwachsen geworden ist. Alexander Braun: „Mit Comic kann man plötzlich alles erzählen. Sexualität, Rock’n’Roll, Drogen, Politik alles ist möglich. Und dann setzt er sich nochmal auf die Hinterbeine und mit 60 Jahren fängt er eben das an. Diese Graphic Novels machen, die wir heute sehr mit ihm verbinden.“

Will Eisner ist der erste, der 1978 selbstbewusst „Graphic Novel“ auf sein Buch drucken lässt. Unter dem Titel „Ein Vertrag mit Gott“ erzählt er vier längere Geschichten, die alle im selben Mietshaus in der Bronx spielen.

Vater oder Pate

Von vielen wird Eisner als Vater der Graphic Novel gesehen. Alexander Braun hingegen versteht den Zeichner vielmehr als „Godfather“, als Pate – so auch der Titel der Ausstellung und der Monographie: „Will Eisner, Godfather der Graphic Novel.“

Will Eisner – Graphic Novel Godfather

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Alexander Braun hat die erste deutsche Retrospektive von Will Eisner im Schauraum Dortmund kuratiert. Die Ausstellung ist nach wie vor Online und wird 2022 in Erlangen und Basel und 2023 in Rendsburg gezeigt.

„Bartender Guide“

Alexander Braun erläutert das Leben und Schaffen Will Eisners – und zeigt das auch in außergewöhnlich guten Abbildungen mit Text- und Bildanalysen. Dabei veröffentlicht er auch bis dato wenig Bekanntes über Will Eisner, etwa, dass dessen erfolgreichstes Werk ein Klassiker in der Getränkekunde ist: „The Complete World Bartender Guide“. „Das stammte von Will Eisner und mit dem hat er tatsächlich mehr Geld verdient als mit allen seinen Graphic Novels zusammen. Aber für ihn war diese Dualität ganz wichtig, sich wirtschaftlich sicher zu fühlen, damit er sich den Luxus leisten konnte, innovative Comics machen zu können.“

Alexander Braun zeichnet ein vielschichtiges Bild von Will Eisner und erzählt so nebenbei auch die Geschichte des Comics. Denn die wäre ohne den Godfather Will Eisner nicht das, was sie heute ist.

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