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Science Busters

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Frag die Science Busters live

Welche Daten erfasst der molekulare Erkennungsdienst? Wie kann man eine Pandemie eigentlich einmotten? Diese und noch mehr Fragen beantworten die Science Busters.

Dringende Fragen werden beantwortet, wissenschaftliche Erkenntnisse unterhaltsam vermittelt. Martin Puntigam gemeinsam mit dem Molekularbiologen Martin Moder und dem Chemiker Peter Weinberger.

Martin Puntigam: Delta – die ehemals indische Variante ist bekanntlich am Vormarsch, man weiß noch nicht genau was die Mutation wirklich kann. Eine vierte Welle ist sehr wahrscheinlich, wenn man nach Großbritannien schaut. Wie arg sie sein wird, wird man noch sehen. Ob es wieder Lockdowns geben wird oder ob es ohne gehen wird, weil genug Leute geimpft sind und weil wir im Sommer vorsichtig bleiben. Aber Herr Weinberger, was passiert eigentlich genau bei einer Mutation? Man hört immer, das Virus kommt der Immunantwort ein bisschen besser aus, aber was heißt das eigentlich auf molekularer Ebene?

Peter Weinberger: Naja, das hat mit dem molekularen Erkennungsdienst zu tun. Der ist dafür zuständig, zu erkennen, ob zwei Moleküle zusammenpassen oder nicht. Wenn sich also zwei unterschiedliche Moleküle begegnen, dann sehen sich die natürlich an der Oberfläche beider Moleküle. Je größer und komplizierter jetzt ein Molekül aufgebaut ist, umso charakteristischer ist klarerweise die Oberfläche strukturiert. Das geht es um die Form, ob es herausstehende Kuppen an der Oberfläche gibt oder Einbuchtungen. Das zweite was noch viel wichtiger ist, ist die Polarität der verschiedenen Bereiche an der Oberfläche.

Polarität im Sinne von Ladung so wie bei Batterien – plus und minus?

Ganz richtig. Je nachdem welche Molekülteile gerade die Oberfläche bilden, ist dieser Bereich eher positiv oder negativ geladen. Daher können sich an diese Bereiche andere, gegenseitig geladene Moleküle annähern. Das ist immer der erste Schritt einer molekularen Erkennung, die sogenannte elektrostatische Anziehung. Im Wesentlichen kann man auf vier Schritte kommen. Erst wenn sich die Moleküle ziemlich nahekommen, dann wirken zusätzlich noch die sogenannten Van der Waals-Kräfte. Und zwar nur dann, wenn die Oberfläche wirklich genau passt. Weil wenn da jetzt irgendwo ein Teil weg steht oder eingebuchtet ist, dann verlieren dieser Kräfte sofort ihre Wirkung, weil sie nur eine ganz kurze Reichweite haben.

Und was kommt als drittes?

Naja, Moleküle können sich ja unterschiedlich anordnen – z.B. auch ringförmig und unter gewissen Umständen ermöglicht das noch eine weitere, sehr spezifische Wechselwirkung mit anderen Ringmolekülfragmenten eines andockenden Moleküls. Eine dieser spezifischen Wechselwirkungen nennt man auch die π-π-Wechselwirkung.

Das heißt, es müssen Form und Ladung passen, wenn es besondere Strukturen wie Ringe gibt, dann passt das leider auch besser. Und was ist Nummer 4?

Das Tupferl am i sind dann sozusagen die Wasserstoffbrücken. Die Wasserstoffbrückenbindungen sind dann der Moment, wo der molekulare Erkennungsdienst wirklich erfolgreich ist. Also es kommt dann nochmal zu einer massiven Verstärkung der Wechselwirkung.

Das passiert ja die ganze Zeit, im Guten, wo wir normale Stoffwechselvorgänge haben aber auch eine Immunantwort funktioniert so. Was passiert da jetzt genau, wenn der Antikörper an das Virus andockt?
Naja da kommt eben genau diese stufenweise Erkennung zum Tragen und wenn alles passt, dann dockt der perfekt an. Das ist quasi die Kurzzusammenfassung wie das funktioniert.

Das heißt, dieses SARS-Cov-2 hat ja Stacheln an der Oberfläche, oder?

So ist es. Und das Gefährliche jetzt bei Mutationen ist, wenn sich die Form der Stacheln irgendwie wesentlich ändert oder vielleicht noch zusätzlich die regionale Ladungsverteilung dieser Stacheln und andere Molekülfragmente dabei vorkommen, dann wird diese molekulare Erkennung immer schlechter. Damit werden die Wechselwirkungen schlechter und es kommt irgendwann nicht mehr zur Erkennung. Und das ist dann, wenn die Immunantwort nicht mehr funktioniert.

Das ist das, was man als Immunescape kennengelernt hat, wo das Virus wirklich auskommt, wo es sich duckt, ein anderes Jackerl anzieht und dann wird es nicht mehr erkannt von der vorbeifahrenden Polizeistreife. Wie groß ist das Risiko, dass das Virus sich so sehr verändert, dass es gar nicht mehr erkannt werden kann? Auch von einem Immunsystem von einem Menschen, der schon geimpft ist?

Zum Glück sind Mutationen meistens Veränderungen, die ein nahezu perfektes System, wie es jetzt vorhanden ist, verschlechtern. Also die Wahrscheinlichkeit ist irrsinnig groß, dass eine Änderung das nicht verbessert, sondern verschlechtert und instabiler macht und damit ein Nachteil für das Virus wird. Durchsetzen tun sich auf Dauer aber nur die Mutationen, wo die Stabilität des Virus sich verbessert und die Verankerung an den menschlichen Zellen dadurch noch verbessert wird. Und zum Glück ist die Wahrscheinlichkeit dafür sehr, sehr gering. Das Problem ist nur, wenn sich jetzt sehr viele anstecken, dann wird auch eine sehr geringe Wahrscheinlichkeit irgendwann groß genug, um sich durchzusetzen.

Und deshalb ist es nicht ganz wurscht, wenn sich viele Leute anstecken, selbst wenn nur wenige ins Spital kommen oder sterben. Es ist trotzdem ungünstig, weil es Mutationen bedingt. Das ist der Grund warum sich jetzt die Delta-Variante durchzusetzen beginnt.

Genau. Und erst letzte Woche ist eine neue Studie des University College London bekannt geworden. Die haben geschaut, wieviele mögliche Mutationen dieses Spike-Protein hat und sind auf 19.440 mögliche Mutationen gekommen. Zum Glück sind aber die allermeisten davon destabilisierend und wir wollen einfach hoffen, dass wir die Wahrscheinlichkeit auf unserer Seite haben. Und das Einzige was da eben hilft, ist Impfen. Sehr rasch.

Wir haben jetzt die Evi zum Thema der Antikörpertests in der Leitung. Evi, hallo!

Evi: Ich hab schon die zweite Impfung bekommen, jetzt ist aber eben die große Frage, wie es mit den Antikörpern aussieht. Mein Arzt hat gemeint, man könnte so nach 8 Wochen einen Antikörpertest machen. Ich hab aber auch gelesen, dass das eigentlich nicht so aussagekräftig ist. Und jetzt wollte ich mal nachfragen: Sagen diese Tests was aus? Wenn ja, was genau? Und bringt es überhaupt was, einen Antikörpertest zu machen?

Martin Moder: Also diese Tests sagen schon was aus. Das Schwierige ist, wenn man jetzt so einen Antikörpertest macht, man selber kann mit diesem Messwert praktisch nichts anfangen. Es gibt ganz viele verschiedene Arten, einen Antikörpertest durchzuführen, das bedeutet, dass auch die Messwerte, selbst wenn sie die gleiche Einheit haben, oft zwischen den einzelnen Tests nicht miteinander vergleichbar sind. Und selbst wenn sie das wären, was mir noch fehlt, ist ein wirklich handfester Umrechnungsfaktor von Antikörperlevel zu Immunschutz. Und das hat man im Moment noch nicht wirklich. Es gibt erste Arbeiten dazu, aber es ist noch nicht wirklich robust etabliert.

Warum macht man den Test dann überhaupt?

Ich kann schon einmal schauen: Habe ich grundsätzlich Antikörper gebildet? Es gibt ja auch einen kleinen Prozentsatz – vor allem bei sehr alten oder immunsupprimierten Menschen – die sehr wenige Antikörper bilden. Und man kann das schon innerhalb eines Testsystems vergleichen, aber das Problem ist, wenn Leute jetzt beginnen untereinander ihre Antikörper zu vergleichen, dass da ganz andere Einheiten miteinander verglichen werden. Und da sagt dann halt der eine: Ich habe 2.000 Antikörper und der andere sagt: Super, ich hab nur 12 und in Wirklichkeit sind das halt völlig andere Einheiten und es sagt überhaupt nichts aus. Das heißt, man kann so Tests machen, wenn man unsicher ist, ob man vielleicht in eine Gruppe fällt, bei der die Impfung einfach nicht wirkt. Aber in aller Regel kann man mit dem Ergebnis selbst nicht viel anfangen. Man kann jetzt nicht sagen: Ich hab so und so viele Antikörper und bin jetzt so gut geschützt.

Und es kann sogar sein, dass rauskommt, dass man null Antikörper hat. Und das ist dann aber in aller Regel das Problem, dass man nicht aufgepasst hat, was für einen Test man da macht, weil, wenn ich einen Test machen möchte auf Impfantikörper, dann muss das da auch draufstehen. Das muss also wirklich ein Test sein, der Antikörper gegen das Spike-Protein nachweist und nicht z.B. Antikörper gegen andere Teile des Virus, wie gegen das Nukleokapsid, die ja in der Impfung gar nicht drinnen sind. Da haben nämlich viele Geimpfte einen Schock bekommen, dass keine Antikörper bei ihnen herauskommen. Aber wenn sie dann zum Arzt gehen und dem das zeigen, dann sagt er: Jetzt chillst du einmal und wir machen den richtigen Test und dann kommt meistens auch ein hoher Antikörperspiegel raus.

Nach einem langen Pandemiejahr freuen sich die Leute natürlich darauf, die Zügel ein bisschen schleifen zu lassen. Und es gibt jetzt Öffnungsschritte, als ob es kein morgen gäbe. Und sofort sind die Masken wieder im Mittelpunkt. Masken – ja, nein? Wie ist das jetzt – am Anfang hat man gesagt, die Masken sind mehr symbolisch, damit die Menschen generell achtsamer sind, dann sind die FFP2-Masken irgendwann Standard geworden. Waren die tatsächlich nur ein Symbol? Braucht man die jetzt wirklich nicht mehr?

Peter Weinberger: Nein, das ist auf jeden Fall falsch. Masken sind auf jeden Fall eine billige, einfache und auch effektive Maßnahme in der Pandemie. Vielmehr sollte man sich überlegen, ob man nicht auch ohne Pandemie in der kalten Jahreszeit an manchen Orten das Masken Tragen beibehalten sollte.

Masken gibt es ja nicht erst seit gestern und auch nicht nur gegen virale Ansteckungen. Ein ganz wesentlicher Aspekt ist der Atemschutz generell. Viele glauben ja, dass wir ausschließlich Luft – also eine Mischung aus Sauerstoff, Stickstoff und Spurengasen einatmen. Wir haben aber jede Menge Schwebstoffe in der Luft, die entweder feste Partikel wie Pollen, Dreck oder Staub sind. Und wir haben noch mehr oder weniger fein verteilte Flüssigkeitströpfchen, sogenannte Aerosole in der Luft.

Und je kleiner solche Partikel werden, desto weiter dringen sie in den Atemapparat des Menschen vor. Also Bakterien oder Pollen sind ca. 1/10mm klein und gehen schon zu ca. 20 Prozent in die Lunge. Bei Viren ist das noch ärger, übrigens auch bei Tabakrauch. Die sind im Größenbereich von ungefähr 1/1000 mm und die gehen bereits zu 60 Prozent in die Lunge und die restlichen 40 Prozent noch weiter – nämlich in die Bronchien. Das sind diese fein verästelten Atemkanäle in der Lunge.

Und daher sollte eigentlich jedem Menschen klar sein, dass ich das nicht einatmen will. Es ist vollkommen nachvollziehbar, dass ein guter Atemschutz – und das sind diese FFP2-Masken – extrem hilfreich für die Verhinderung von Ansteckungen sind.

Jetzt ist das aber kaum noch wo vorgeschrieben, es reicht wieder der einfache Mund-Nasen-Schutz, auch ein einfacher Schal. Wie ist das dann da?

Also so ein normaler MNS hält nur die großen Partikel wie Staub mechanisch zurück. Das kann man sich vorstellen wie ein Sieb. Und das nur, wenn er gut sitzt. Die Mehrlagigkeit der FFP2-Maske hat eine bessere Wirkung, weil hier auch noch durch die elektrostatische Wechselwirkung der unterschiedlichen Lagen miteinander eine zusätzliche Anziehungskraft dieser ganz kleinen Partikel ausgeübt wird. Und das ist eigentlich der einzig wahre Schutz gegen das Einatmen von den Aerosolen. Die sind zwar 10 Mal so groß wie die Viren, sie sind aber das Transportvehikel für die Viren.

Eine letzte Frage noch: Warum haben Motten seit der Pandemie eigentlich einen besseren Ruf?

Martin Moder: Ja, die können lebensrettend sein. Man muss ich vorstellen, alle Impfstoffe, die wir haben, zielen ja im Prinzip darauf ab, dem Immunsystem beizubringen, das Spike-Protein zu erkennen und abzuwehren. Aber demnächst werden auch Impfstoffe zugelassen werden, bei denen das Spike-Protein als Protein fix und fertig verimpft wird. Z.B. der von Novavax, von Sanofi, die haben das alle schon in der Phase drei von klinischen Studien. Und das Spannende ist aber wie diese Spike-Proteine für den Impfstoff hergestellt werden. Nämlich in der Mottenart Herbstheerwurm. Die heißt deswegen so, weil die Raupen im Herbst in Heeren über die Felder herfallen. Dieser Herbstheerwurm lebt in Amerika und ist dort ein ziemlicher Schädling.

Er könnte aber in der Pandemie insofern lebensrettend sein, dass sich in seinen Zellen hervorragend dieses Spike-Protein herstellen lässt bzw. genau genommen in den Zellen aus seinen Eierstöcken. Diese Zellen haben viele Vorteile. Man braucht ja große Mengen für die Impfstoffherstellung und diese Zellen, die teilen sich sehr schnell. Also innerhalb von 24 Stunden verdoppeln die sich. Außerdem sind sie sehr robust. Und sie bauen das Spike-Protein sehr ähnlich zusammen wie unser Körper das machen würde, weil die Zellen sehr ähnlich sind.

Aber woher wissen die Zellen dann, dass sie für uns ein Spike-Protein herstellen sollen?

Die kann man super infizieren mit einer bestimmten Form von Viren, nämlich mit Viren, die in der Wildnis eigentlich nur Mottenlarven befallen, in die man vorher die Bauanleitung für das Spike-Protein einbringt. Das heißt, die Zellen werden infiziert, wissen dann, was sie herstellen müssen und das muss man nur noch herausholen und eigentlich ist der Impfstoff dann schon nahezu fertig.

Das zeigt auch sehr schön, wie wichtig Grundlagenforschung ist. Vor 44 Jahren haben da mal Leute Eierstockgewebe aus Motten entnommen und da hat noch keiner gewusst wofür das mal gut ist. Aber mittlerweile gehören sie zu den am besten untersuchten Zellarten, weil sich eben gezeigt hat, dass sie hervorragend geeignet sind, um rekombinante Proteine herzustellen.

Das wars für diese Saison, Saison 2 von Frag die Science Busters. Wir kommen im Herbst wieder!

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