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Ana Ryue im FM4 Studio

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„Die Hoffnung ist jedes Mal da, dass sich etwas ändert!“

Ana Ryue im Interview über die aktuelle #deutschrapmetoo-Debatte.

Von Susi Ondrušová

Ende Juni ist im Deutschrap eine MeToo-Debatte entfacht, die es in dieser Form noch nicht gegeben hat. Übergriffiges Verhalten im Deutschrap ist als Thema leider nicht neu, aber dank Social Media hat die Debatte eine Reichweite und Öffentlichkeit bekommen, die einigen Szene-Kenner*innen Hoffnung gibt, dass sich die Szene nachhaltig verändern wird können. Sagt jeden Falls Ana Ryue. Sie ist Moderatorin, Journalistin und betreut als Promoterin Musiker*innen auf ihrem Karriere-Weg. Im FM4 Studio antwortet sie unter anderem auf die Frage „Wird sich jetzt was ändern“?

Ana Ryue: Die Hoffnung ist jedes Mal da, dass sich was ändert, wenn irgendetwas an die Öffentlichkeit kommt und das war ja bei weitem nicht das erste Mal. Ich glaube der Unterschied diesmal ist die krasse Relevanz von Social Media. Sieht man auch an dem Fall, wie schnell sich das verbreitet hat, wie schnell so gewisse Dynamiken auch entstehen. Es kann, glaube ich, auch recht gefährlich werden. Aber ich denke doch, dass das jetzt tatsächlich ein Ausmaß erreicht hat, wo viele einfach nicht mehr wegschauen können. Also ich habe diesmal so viel Hoffnung wie noch nie, dass sich echt was ändert.

FM4: Es wird oft diskutiert über die guten und die schlechten Seiten von Internet und Social Media. Hier haben wir ein Beispiel für einen positiven Aspekt. Also dass Leute ihre Stimme hörbar machen können, deren Stimme vielleicht oft nicht gehört worden ist.

Ana Ryue: Das stimmt, es haben einfach jetzt Menschen, die noch keine krasse Reichweite haben, die Möglichkeit, sich eine Stimme zu schaffen und sich zu vernetzen. Sieht man an dem Deutschrap MeToo Instagram Account ganz gut, dass da jetzt Strukturen geschaffen werden, die vorher einfach eine viel krassere Hemmschwelle hatten. Allerdings sehe ich schon auch die andere Seite, dass sich halt auch von der Täterseite Dynamiken so krass in Social Media entwickeln, wie es wahrscheinlich irgendwie vor paar Jahren noch nicht gewesen wär. Was ich auch bedenklich finde. Aber ich glaube, der positive Aspekt ist hier auf jeden Fall wichtiger.

FM4: Du hast von Veränderungen gesprochen, was sind denn so Sachen, die sich idealerweise verändern sollten?

Ana Ryue: Also für mich persönlich, so schrecklich ich die einzelnen Taten finde, also gar keine Frage, aber für mich persönlich geht’s da wirklich mehr darum, dass sich strukturell was verändert. Dass mal geschaut wird: Wer sitzt in den Labels, wer sitzt in den Hip Hop Medien, die einfach auch eine große Relevanz haben in der Community? Wer trifft die Entscheidungen? Wie schauen Line Ups aus? Dass sich da nicht einfach bei den offensichtlichen Dingen - da natürlich hoffentlich auch - aber grad, wenn es um subtilere Posten geht, wenn es um Präsenz geht, um Sichtbarkeit. Da hoffe ich, dass sich da jetzt wirklich mal ein bisschen was tut.

FM4: Wir hoffen das alle! Hip Hop ist in der Geschichte öfter mal so eine Art Sündenbock gewesen für allerlei gesamtgesellschaftliche Probleme eigentlich. Glaubst du - total pauschal gesagt - kann man Hip Hop Fans unterstellen, dass sie irgendwie bösartiger oder sexistischer sind als Fans von anderer Musik?

Ana Ryue: Nein, also zumindest für mich obviously nicht! Ich glaube, was so ein bisschen der Unterschied und auch der Grund ist, warum Hip-Hop da oft herhalten muss, ist, dass es ein sehr Text basiertes Genre ist, wo sexistische Texte halt einfach quasi in Reinform und Reimform und recht ungeschönt präsent sind. Im Gegensatz zu Schlager, zu Pop, wo es halt bisschen versteckter ist, wo es mehr um die Melodien geht, wo vielleicht so ein Satz schnell mal untergeht. Und ich glaube, dass das der Hauptgrund ist, warum Hip-Hop da oft herhalten muss, ehrlich gesagt. Ich sehe Hip Hop jetzt nicht als sexistischer an als andere Genres oder als überhaupt die Gesellschaft. Ich glaube, was vielleicht eine Thematik ist, ist das krasse Männlichkeitsbild, was sehr stark herrscht auf jeden Fall. Wobei ich mir da nicht sicher bin, ob das unbedingt was Hip-Hop Spezifisches ist.

FM4: Immer wenn Musik arg wird, wenn Lyrics arg werden ist die Frage nach der Verantwortung, die möglicherweise Musiker haben oder auch Rapper haben. Wie siehst du das? Kann Kunst von allen Verantwortungen befreit sein, kann sich da jemand aktiv dazu entscheiden, wenn die jetzt gewisse Texte haben und die einfach nur fiktive Geschichten wiedergeben, die ja auch gar nicht stimmen oder die echte Meinung repräsentieren müssen?

Ana Ryue: Super schwierige und auch total spannende Frage, weil ich einerseits schon der Meinung bin, dass eine gewisse Kunstfreiheit da sein muss, dass ein Künstler oder eine Künstlerin sich nicht komplett danach richten sollte, was irgendwie erwartet wird, weil das ja Teil der Kunst ist, irgendwie da auch selbst zu entscheiden, was man kreativ schafft und was nicht. Aber ich find schon, ehrlich gesagt, wenn man weiß, dass man Einfluss hat auf Millionen von Jugendlichen, dass dann schon ein bisschen eine Verantwortung mit sich kommt. Genauso wie eine Verantwortung irgendwie mitkommt, wenn man besonders viel Reichweite auf Social Media hat, weil da das, was man sagt und was man öffentlich sagt, halt einfach Einfluss hat auf ganz, ganz viele. Und wenn dieser Einfluss auch noch auf Jugendliche passiert, die vielleicht noch weniger differenzieren können oder noch weniger Zugang auch zu gewissen Themen haben, noch weniger differenziert denken und so weiter, finde ich schon, dass da eine gewisse Verantwortung herrscht.

„Wenn man weiß, dass man Einfluss hat auf Millionen von Jugendlichen, dann kommt da auch eine Verantwortung mit sich.“

FM4: Du hast ja als Moderatorin für die Battle-Rap Plattform „Don’t Let The Label Label You“ auch immer wieder Hass abbekommen. Wie äußert sich das, falls du darüber sprechen möchtest?

Ana Ryue: Also ich muss auf jeden Fall ganz klar sagen, dass der Hate, den ich da abbekommen habe, so gut wie ausschließlich über YouTube geht und dass ich jetzt z.B. auf Events oder von MC’s direkt überhaupt nichts zu spüren bekomme. Also da fühle ich mich sehr willkommen. Auf YouTube ist das anders, was denke ich schon auch viel damit zu tun hat, dass Battle-Rap, da geht es um Beleidigungen, da geht es darum, besonders böse, besonders untergriffig und auch übergriffig zu werden.

Und dass generell das allgemeine politische Bewusstsein, was sich gerade ändert, was natürlich auch irgendwie Einfluss auf die Rap und Battle Rap-Szene hat. Ich glaube, das stößt vielen auf, weils halt bedeutet, dass sie jetzt in Zukunft vielleicht dann nicht mehr über alles lachen können oder dass sie vielleicht komisch angeschaut werden, wenn sie dann irgendwie doch eine Mutter Line total krass feiern, die aber eigentlich voll der Rape Joke ist.

„Ich hab das Gefühl, dass da viel auf mich projiziert wird, weil ich halt die kritischen Fragen stelle.“

Ich glaube viele haben ein bisschen Angst, dass sie über gewisse Dinge, die sie halt auch irgendwie vom schwarzem Humor kennen, nicht mehr lachen können, weil so ein Bewusstsein da auch rüberschwappt. Und ich hab das Gefühl, dass da doch viel auf mich projiziert wird, weil ich halt die kritischen Fragen stelle und weil ich halt immer wieder mit dem Finger drauf halt und mir dann doch schnell auf jeden Fall Kompetenzen abgesprochen werden.

FM4: Wenn dann Menschen auch das Gefühl haben, es wird ihnen etwas weggenommen und so ein dude ist es oft nicht gewohnt, oder er kennt es nicht so und dann reagiert man anders und vielleicht auch mit Hass. Siehst du da einen Zusammenhang?

Ana Ryue: Ja, ich habe tatsächlich das Gefühl, dass die Menschen, die sich beschweren über dieses neue Bewusstsein oder darüber, dass Dinge hinterfragt werden, dass vielleicht nicht mehr alles total cool und Narrenfreiheit ist, sondern doch vielleicht mal problematisch sein kann. Ich habe schon das Gefühl, dass die meisten, die es ansprechen, privilegiert sind. Auf verschiedenen Ebenen privilegiert sind, wo ich mir dann teilweise wünschen würde, dass ein bisschen mehr Empathie irgendwie da wär.

Zum Beispiel: Ja okay, du musst jetzt vielleicht auf etwas verzichten, aber überleg mal wie andere schon ganz lang auf ganz Anderes verzichten mussten. Oder dass man vielleicht ja auch einfach mal ein bisschen Rücksicht nehmen kann, wenn man weiß, dass es eine Gruppe von Menschen tatsächlich verletzen kann. Klar, man kann gerade beim Battle-Rap nicht auf jedes individuelle Problem Rücksicht nehmen. Aber ich glaube, wenn man weiß „Hey, da gibt’s eine Gruppe von Menschen, die fühlt sich dadurch angegriffen“ dann wäre es vielleicht schon eine Idee, dass man halt vielleicht nicht als Weißer Dude vor einem weißen männlichen Publikum dann Jokes macht, über die halt dann Gleichgesinnte lachen aber wo auch irgendwie klar ist, dass das eine recht homogene Masse ist.

FM4: Es wird oft angemerkt, dass bei der rohen Sprache des Straßenraps, wenn man es so nennen kann, ein dazu passendes Verhalten irgendwie logisch wäre. Wird damit Rappern quasi eine Art von Autoren-Perspektive abgesprochen, auch über Dinge zu schreiben, die nicht 1:1 aus dem Leben stammen?

Ana Ryue: Ich kann das auch nur aus meiner persönlichen Perspektive beantworten. Ich würde Rappern - also Rappern bewusst nicht gegendert - auf jeden Fall nicht eine Autorenn-Perspektive absprechen. Ich glaube, dass die durchaus vorhanden sein kann. Was ich aber auffällig finde ist, dass so ganz krasse Texte und da rede ich wirklich von rape jokes und von krassen Vergewaltigungs-Fantasien und jetzt nicht von irgendwelchen plumpen Mutter Lines, die vielleicht auch irgendwann aufhören sollten, aber das ist jetzt nicht das, was ich im Kopf habe.

„Es ist keine Riesenüberraschung, dass Rapper, die solche Zeilen rappen, sich auch im Reallife was zu schulden kommen lassen.“

Wenn es dann wirklich um Gewaltfantasien und so weiter geht, dann unterstelle ich der Person nicht automatisch „Hey du rappst es, du hast es bestimmt auch gemacht“ oder so. Aber es ist halt schon auch keine Riesenüberraschung, dass jetzt immer mehr Fälle auch öffentlich werden, wo Rapper, die solche Zeilen rappen, halt sich auch dann im Reallife was zu schulden kommen lassen. Und ich glaube nicht, dass man das eins zu eins übertragen kann, aber ich glaube schon, dass man sagen kann, dass jemand, der im real life anti-sexistisch und feministisch drauf ist, vielleicht nicht unbedingt solche Zeilen schreiben würde. Ich glaube, man muss da immer noch differenzieren, aber es ist halt leider eine gewisse Verbindung jetzt auch nicht mehr abzustreiten, je mehr da ans Tageslicht kommt.

FM4: Wie gehst du persönlich damit um, wenn du sexistische oder homophobe Texte hörst?

Ana Ryue: Ich hab da auf jeden Fall ein Prozess durchgemacht also ich kann mich erinnern, mit 15, 16 fand ich da super viel total cool und hab das gefeiert und hab’s jetzt auch nicht krass hinterfragt, weil es für mich auch eine gewisse Ironie oder eine gewisse Komik hatte, so ganz harte Texte zu hören. Mittlerweile geht’s nicht mehr. Also ich kann es einfach nicht mehr genießen. Das war auch gar keine bewusste Entscheidung, sondern ich hab vor paar Jahren einfach gemerkt, dass ich gewisse Zeilen da, also ich höre ja Musik, weil ich das genießen möchte, was mir Spaß macht und das geht bei manchen Zeilen einfach nicht mehr.

FM4: In einem gewissen Alter mag man die Provokation, weil man sich ja vielleicht auch irgendwie gegen etwas auflehnt und dann sagt man halt einfach „Oh, das ist ultra provokant!“ In Wirklichkeit aber kennt man sich ja eh aus und weiß, was gut und schlecht ist, aber wenn die Eltern eine Textzeile total schrecklich finden, das ist auch eine Art von Rebellion.

Ana Ryue: Ich glaube, dass das tatsächlich bei ganz vielen der Fall ist. Bei mir war es nicht eine Rebellion in die Richtung, aber bei mir war es, glaube ich, ein bisschen internalisierten Sexismus, weil ich mich erinnern kann, dass ich mich schon immer wieder recht cool gefühlt habe, wenn ich als Frau Texte höre von Kool Savas, wo es super brutal um Frauen geht und irgendwie hab ich mich cool gefühlt, dass ich da nicht so - ich sag das jetzt überspitzt - dass ich da nicht so zimperlich bin, obwohl ich selbst betroffen bin. Also ich glaube, dass da bei mir mehr der eigene Sexismus leider mitgespielt hat als eine Rebellion gegen die Eltern, aber ich glaube, dass das bei vielen Leuten auf jeden Fall Grund ist.

FM4: Ist für dich im Hintergrund, beim Netzwerk aus Labeln, Veranstalterinnen, Veranstaltern eine Veränderung spürbar? Oftmals hat man ja ein bisschen das Gefühl gehabt oder bei Dingen, die auch auf Social Media diskutiert worden sind, rund um #Deutschrapmetoo, dass viele ausgesprochen haben: Das ist etwas, von dem haben viele gewusst und es hat halt niemand etwas gesagt, weil viele gedacht haben, das ist normal oder es hat eine Art von Szene gegeben, die gewisse Protagonisten „beschützt“ hat. Sind Veränderungen im Hintergrund - Label, Veranstalter*innen - spürbar? Bist du optimistisch?

Ana Ryue: Optimistischer als vorher auf jeden Fall. Ich glaube, dass Deutschrap MeToo ist ja kein in sich geschlossenes Ding, sondern das sind Strukturen, die es schon ganz lange gibt und ich glaube, was halt auch immer damit gemeint ist, dass viele immer weggeschaut haben, dass da mal ein Auge zugedrückt und mal ein „ah er meint es nicht“ und mal „Ja, das ist halt so in der Szene“. Also ich glaube, dass da viel weggeschaut wurde bei sogenannten Kleinigkeiten, die natürlich dann auch ein Ausmaß bekommen, was ganz schlimm ist.

„Ich glaube, dass da viel weggeschaut wurde bei sogenannten Kleinigkeiten, die dann auch ein Ausmaß bekommen, was ganz schlimm ist.“

Und ich habe schon jetzt das Gefühl, dass sich auch bei Labels und bei Hip-Hop Medien und bei anderen industriellen Institutionen was tut. Allerdings sehe ich da auch mehr die kleineren Labels, die sich eh auch schon davor positioniert haben und mir fehlt es ein bisschen von den großen Playern im Game, weil es da um viel Kohle geht und weil es da halt quasi um das Ausmaß geht, was wirklich relevant wäre.

FM4: Ich spreche jetzt total optimistisch aber wenn es viele kleine Labels machen, dann können es die Großen irgendwann nicht mehr ignorieren.

Ana Ryue: Das hoffe ich tatsächlich auch. Also dadurch, dass ja jetzt der eine beschuldigte MC, Samra, ja bei Universal gesignt war, haben sie es da auch nicht mehr ignorieren können. Aber da hat man, find ich, auch ganz gut den Umgang gemerkt. Da kam halt erst ein Standard-Statement, was sie schon mal irgendwie vor einem Jahr für eine andere Sache verwendet hatten und dann kam danach eine Aktion, weil da, glaube ich, auch schon für sie spürbar wurde, dass man jetzt Handlungsbedarf hat.

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