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The Goon Sax und ihr Album "Mirror II"

Matador

The Goon Sax und ihr neues Album „Mirror II“

Anfang 20 und schon das dritte Album. Die Indieband The Goon Sax aus Australien veröffentlicht mit „Mirror II“ alles, was man sich von aktuellem Gitarrenpop erwarten kann.

Von Christian Lehner

Es ist ein wahrer Hype entstanden, in den letzten Jahren, um Bands, die aus Südlondon kommen und die in dem mittlerweile berühmten Windmill Club aufgetreten sind, bevor die Pandemie dem ein vorläufiges Ende bereitet hat. Aber die Bands haben ja weitergemacht und durchwegs sehr gute Alben zwischen Post-Punk, Indie-Rock und wilden Jazz-Experimenten aufgenommen: Black Midi, Shame, Black Country, New Road und Goat Girl zählen zu dieser Szene an der Themse. Man konnte auch auf diesen Seiten die ein oder andere Zeile darüber lesen.

Jetzt gibt es eine Band, die das auch draufhat, bloß dass sie nicht aus London, sondern aus Brisbane in Australien kommt. Obwohl Louis Forster (Gesang, Gitarre), Riley Jones (Gesang, Schlagzeug) und James Harrison (Gesang, Bass) von The Goon Sax erst Anfang 20 sind, ist das neue Album „Mirror II“ bereits das dritte in der überschaubaren Bandgeschichte. Louis Forster spricht im Videochat von einem Neustart, wenn er über das Album redet. Ein Richtungswechsel mit Anfang 20? „Das ist nicht das dritte Kapitel“, so Louis Forster, „wir mussten das tun, um überhaupt weitermachen zu können“.

Post-Punk-Tricks

Also haben die drei von The Goon Sax für „Mirror II“ einfach die Instrumente getauscht und Dinge ausprobiert, die sie eigentlich gar nicht können – ein alter Trick des Post-Punk, auf den auch die britischen Kolleginnen von Goat Girl für ihr letztes Album zurückgegriffen haben.

The Goon Sax und ihr Album "Mirror II"

Elliot Lauren

Ich habe Keyboard gespielt, obwohl ich vorher nie Keyboard gespielt habe. Wenn es eine Idee für dieses Album gibt, dann die, dass wir durch Willen und Sturheit die Resultate erzielten, die wir uns in den Kopf gesetzt hatten, auch wenn das am Anfang unmöglich schien, weil einfach die Skills fehlten.

Mit den schnellen Erfolgen der ersten beiden rumpeligen Alben stiegen The Goon Sax in die Königsklasse des Indie auf und verstiegen sich deswegen etwas im Bandgefüge. Forster ging vorübergehend nach Berlin, Jones und Harrison öffneten Fenster zu anderen Bandprojekten. Schließlich raufte man sich in einem extra dafür angemieteten Haus, das die Band „Fantasy Planet“ taufte, wieder zusammen, um aus den mitgebrachten Lyrics und Songskizzen „The World“ zu formen, wie Forster das neue Album nennt.

„Uns ging es nicht darum, einen bestimmten kohärenten Sound für dieses Album zu entwickeln, sondern eine Welt mit eigenen Gesetzen und Richtlinien, in denen die Songs existieren können. Es ist, als ob du auf einem fremden Planeten auf total unterschiedliche Aliens triffst, die doch zu ein und derselben Welt gehören.“

So ist „Mirrors II“ eines dieser vielgestaltigen zeitgenössischen Indiealben geworden, die derzeit für eine Renaissance des totgeglaubten Genres sorgen – von Phoebe Bridgers über Wolf Alice bis zur oben genannten, neuen Londoner Schule. Popsongs, Art-Rock-Songs, graue Balladen, buntes Singer-Songwriter-Liedgut, New Wave, Noise-Pop, ein kleiner Hauch von Jazz - alles hat Platz auf „Mirror II“. Auch ein deutscher Vers am Ende des Stücks „Bathwater“.

Von Regensburg nach Brisbane

An dieser Stelle ist es Zeit, Geheimnis Nummer 1 zu lüften. Louis Forster hat eine bayrische Mama und ist in Regensburg geboren.

„Ich finde, ich habe einen leicht österreichischen Akzent. Ich weiß auch nicht, warum. Mein Bayrisch ist immer als Österreichisch rausgekommen, besonders wenn ich Hochdeutsch spreche. Mit vier ist meine Familie nach Australien gegangen, aber ich komme immer wieder zurück nach Deutschland.“

Zeit für Geheimnis Nummer 2. Louis ist der Sohn von Robert Forster von den Indie-Rock-Veteranen, ach was, -Giganten! - The Go-Betweens. Anders als viele Kinder berühmter Eltern spüre er aber nicht den überlangen Schatten seines Vaters, so Forster Jr.

The Goon Sax und ihr Album "Mirror II"

Matador

„Mirror II“, das dritte Album von The Goon Sax ist auf Matador Records erschienen. Hier geht es zum FM4 Interview Podcast mit Louis Forster.

„Ich werde natürlich oft darauf angesprochen und die Leute glauben es mir nicht, aber das ist so weit weg, wenn ich Songs schreibe, dass das überhaupt keinen Einfluss hat auf mich. Ich wundere mich selbst darüber, weil ich eine extrem paranoide Person bin. Bei mir wurde OCD (Obsessive-compulsive disorder, Zwangsstörung, Anm.) diagnostiziert. Ich bin so fixiert und auch paranoid beim Schreiben, dass ich jeden Vers 30 Mal umschreibe, bevor ich zufrieden bin.“

Soooo weit weg vom Papa ist die Musik von The Goon Sax dann aber auch wieder nicht. Auch die Songs des Trios sind voller kleiner und großer Verstimmungen des Herzens, der Instrumente und der Stimmen. Letztere erklingen abwechselnd von allen drei Bandmitgliedern. Das hört(e) sich (in der Vergangenheit) zwar ein bisschen mehr nach The Velvet Underground an als nach The Smiths, mit denen The Go-Betweens immer verglichen wurden, aber mit Trap oder Hyper-Pop würde man das Ergebnis trotzdem nicht verwechseln. Die Abwesenheit eines ästhetischen Generationenkonflikts führt Louis Forster auf pragmatische Umstände zurück: „Bei uns zu Hause standen nur Gitarren im Haus herum und keine Sequencer“, so Forster, „ich habe genommen, was da war“.

Das Album hat John Parish produziert – wohl ein Resultat aus dem Wechsel von The Goon Sax zu Matador Records und dem dahinterstehenden Labelverbund Baggers. Parish hatte u.a. bei PJ Harvey, Aldous Harding und zuletzt bei Dry Cleaning am Mischpult gesessen. Dem Vernehmen nach bekam er von den drei Aussies zu jedem Song detaillierte Soundwünsche übermittelt, die er prompt erfüllte.

Indie is coming home (ohne Nation)

Die standesgemäße teenage angst der ersten beiden Alben weicht auf „Mirror II“ der Verunsicherung von jungen Erwachsenen, wie man sie bei jeder Generation gern als typisch für gerade diese Generation qualifiziert.

Do you think it’s better not feeling any of this at all?

Egal, aus wessen Feder der drei die Texte auf „Mirror II“ stammen, sie haben immer das you als Ansprechpartner, auch wenn man selbst gemeint ist.

„Die Perspektive hat sich geändert. Viele der Texte sind Extrakte aus echten und fiktiven Gesprächen. Sie sind dabei so unspezifisch, dass jeder gefühlsmäßig andocken und sich auch ein wenig darin verlieren kann. Es ist ein Resultat unserer sehr intensiven Zeit am Fantasy Planet."

Um es mit dem derzeit hyperpräsenten Fußballsprech zu sagen: Die individuellen Leistungen gehen im Kollektiv auf. Die Selbstverständlichkeit, mit der The Goon Sax den totgesagten Bandgedanken mit neuem Leben erfüllen, ohne die Gemeinschaft (wie eben beim Fußball oder Lad-Rock) pathetisch zu überhöhen, diese Selbstverständlichkeit ist mit ein Grund, warum dieses vielgestaltige Album so stimmig und wunderbar klingt. Indie is coming home. Eine Nation braucht es dafür freilich nicht.

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