FM4-Logo

jetzt live:

Aktueller Musiktitel:

Buchcover mit Alphonse Dianou

Carl Hanser Verlag

Porträt eines Kämpfers für die neukaledonische Unabhängigkeit

Mit „Kanaky“, einem Bericht über den neukaledonischen Unabhängigkeitskämpfer Alphonse Dianou, hat Joseph Andras ein symbolhaftes Werk geschrieben, das sich mit dem europäischen Kolonialismus beschäftigt.

Von David Pfister

Ein großes Thema, dass momentan den internationalen Kulturbetrieb beschäftigt, ist, wie mit Kulturgütern aus ehemaligen Kolonialländern umgegangen werden soll. In europäischen Museen wie etwa in Berlin, London, aber auch Wien lagern unermesslich viel Kulturwerke, die im Rahmen von kolonialer Annexion gestohlen und nach Europa verschleppt wurden.

Dieses dunkle Kapitel der Geschichte wird gerade von immer mehr Ländern aufgearbeitet und behandelt. Beispielsweise will Deutschland nächstes Jahr 440 Bronzen an Nigeria zurückgeben. Mit der Diskussion um diese Raubkunst geht eine immer stärker werdende Auseinandersetzung mit der kolonialen Vergangenheit vieler europäischer Länder einher.

Ein Schriftsteller, der diesbezüglich schon viel angestoßen hat, ist der Franzose Joseph Andras. 2016 bekam er für seinen Debütroman „Die Wunden unserer Brüder“ den wichtigsten Literaturpreis Frankreichs. In diesem Roman ging es um den Krieg um die Unabhängigkeit Algeriens von Frankreich. In seinem neuen Buch „Kanaky“ behandelt der Autor nun den Unabhängigkeitskampf der südpazifischen Inselgruppe Neukaledonien gegen Frankreich, in dem der Autor den Unabhängigkeitskämpfer Alphonse Dianou porträtiert, der 1988 vom französischen Militär getötet wurde.

Für mich heißt der Grundsatz der Gewaltlosigkeit in einem Befreiungskampf, nicht nur sich selbst oder das eigene Volk, sondern auch den Unterdrücker zu befreien: indem man ihn dazu bringt, seine Rolle als Unterdrücker zu erkennen.

Neukaledonien ist eine zu Frankreich gehörende Inselgruppe im südlichen Pazifik mit knapp 300.000 Einwohner*innen. Die Urbevölkerung der Melanesier oder Kanak bildet die größte Bevölkerungsgruppe. Von den Europäern wurden die Inseln erst im Laufe des 18. Jahrhunderts entdeckt. Der britische Seefahrer James Cook gab der Inselgruppe seinen heutigen Namen. 1853 wurde das Land unter Napoleon französischer Besitz, also erobert oder annektiert, es kommt auf die Perspektive an. Die Franzosen nutzten die Inselgruppe als Strafkolonie. Die Urbevölkerung und deren Interessen wurden weitgehend nicht einmal beachtet.

„Kanaky“ von Joseph Andras ist in einer Übersetzung von Claudia Hamm im Carl Hanser Verlag erschienen.

Es kam zwar regelmäßig zu Revolten der Kanak, diese wurden jedoch immer schnell niedergeschlagen. Der Unabhängigkeitskampf der Insel wurde eine jahrhundertlange Tradition, die erst 1988 einen tragischen Zenit erreichte.

„Er stand auf der Seite seine Volks. Er hat für seine Kultur gekämpft und dafür, dass Frankreich uns als ursprüngliches Land hier anerkennt. Dass wir überhaupt da sind, dass wir existieren.“

Mitte der Achtziger wurde die Kanakische sozialistische Front der nationalen Befreiung gegründet, eine militante sozialistische Allianz politischer Parteien für die Unabhängigkeit Neukaledoniens. Diese Organisation bildete eine provisorische Regierung. Es kam zu verschiedenen politischen Morden und schließlich erklärte Frankreich den Notstand und entsandte sogar französische Fallschirmjäger, um die rebellische Inselgruppe wieder unter Kontrolle zu bekommen. Die Eskalation gipfelte in der Geiselnahme von 27 Polizisten und einem Richter durch Mitglieder der Befreiungsfront im April 1988. Die Geiselnahme wurde schließlich von französischen Spezialeinheiten beendet und der kanakische Unabhängigkeitskämpfer Alphonse Dianou dabei getötet.

„Ich bin nicht verbittert. Wir haben für die Gleichstellung von Schwarz und Weiß gekämpft. Dafür, dass es uns gut geht, dass wir alle zusammenleben können. ‚Zwei Hautfarben, ein Volk‘, daran hat Alphonse geglaubt."

Der französische Autor Joseph Andras hat mehrere Jahre auf der Inselgruppe recherchiert, unzählige Zeitzeugen interviewt und berichtet in seinem neuen Buch „Kanaky“ über einen pazifistischen Mann, der eigentlich Priester werden wollte, den sein Idealismus aber schlussendlich zu einem Opfer werden ließ. Moralisch aufgerieben zwischen Pazifismus und vermeintlicher Notwendigkeit von Gewalt.

Ein penibel recherchiertes Buch über dieses oft übersehene französische Überseegebiet, welches gut illustriert, welchen Unwillen Länder wie Frankreich im Umgang mit ihrer kolonialen Vergangenheit an den Tag legen.

Bei einem 2018 durchgeführten Referendum haben die Neukaledonier übrigens über die Unabhängigkeit bzw. den Verbleib bei Frankreich entschieden. Die Inselgruppe entschied sich für den Verbleib bei Frankreich.

mehr Buch:

Aktuell: