FM4-Logo

jetzt live:

Aktueller Musiktitel:

Ibiza Untersuchungsausschuss

APA/HELMUT FOHRINGER

13 Monate Ibiza-Untersuchungsausschuss

Über ein Jahr haben Abgeordnete die mutmaßliche Käuflichkeit der türkis-blauen Bundesregierung untersucht, „back to the island“ hätte das Motto sein sollen. Kulminiert ist das Ganze aber in Chatgruppen, Ermittlungen wegen Bestechlichkeit und einer Exekution durch den Bundespräsidenten.

Von Lena Raffetseder

105 Auskunftspersonen sind in 119 Befragungen vor dem Ibiza-Untersuchungsausschuss erschienen, zählt SPÖ-Fraktionsführer Jan Krainer auf. 1,8 Millionen Seiten Dokumente habe man studiert, schätzt die Grüne Nina Tomaselli. Befragt haben die Abgeordneten die sogenannten Auskunftspersonen nicht nur zu Gesprächen in einer Villa auf Ibiza und den Ermittlungen dazu, es ging auch um Managemententscheidungen bei den Casinos, Begünstigung von Dritten, Postenbesetzungen und den Verdacht von Gesetzeskauf.

Screenshot aus dem Ibiza-Video

Spiegel/ Süddeutsche Zeitung

Bemerkenswerte Auftritte

Aktuelle und ehemalige Regierungsmitglieder von Ex-FPÖ-Chef Heinz Christian Strache bis ÖVP-Finanzminister Gernot Blümel werden zu Abläufen in der türkis-blauen Regierung befragt, auch zu Zusammenarbeit und Postenbesetzungen. Einblicke in Ministerien und Kabinette geben Beamte, Sektionschefs und Kabinettsmitarbeiter, etwa der mittlerweile suspendierte Sektionschef Christian Pilnacek sowie Bernhard Bonelli, Kabinettschef von Bundeskanzler Sebastian Kurz. Sehr auskunftsfreudig sind die aber nicht. Vor allem zur Parteiübernahme von Sebastian Kurz will sein Umfeld nicht viel sagen. Zu Parteinähe und Spenden werden potenzielle und tatsächliche Großspender geladen, etwa KTM-Chef Stefan Pierer oder Immobilieninvestor Rene Benko. Und dann werden auch noch die geladen, die gerüchteweise vom Ibiza-Video gehört haben, etwa Ex-Kanzler Christian Kern (SPÖ) und sein Sohn. Auch Julian H., der Macher des Videos, wird geladen und erzählt von Planung und Dreh. „Es gab keinen Auftraggeber, es gab auch keine Hintermänner,“ sagt Julian H. vor dem U-Ausschuss.

Besonders erinnerungswürdig sind die Ladung des Vorsitzenden, Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP). Sobotka wird gleich zweimal befragt. Er ist Präsident eines Vereins und soll dessen „Kooperation“ mit dem Glücksspielkonzern Novomatic erklären. Trotz seiner Ladung bleibt Sobotka Vorsitzender. Die Opposition sieht „Sabotage“, Sobotka spricht von „Mobbing“.

Finanzminister Blümel

APA/HELMUT FOHRINGER

Finanzminister Gernot Blümel wird drei Mal in den U-Ausschuss geladen. In Erinnerung bleiben seine über 80 Erinnerungslücken und seine Aussagen, als Minister weder über einen Laptop noch über eine Ministeriums-Emailadresse zu verfügen. Besonders bemerkenswert seine Antwort auf Seite 61 seiner ersten Befragung. Auf die Frage, ob Blümel ausschließen kann, dass Vertreter der Novomatic wegen Spenden an ihn herangetreten sind: „Ich kann für mich ausschließen, dass ich mich erinnern kann, dass das ein Thema war.“

Bundeskanzler Sebastian Kurz erscheint zweimal. Sein erster Auftritt vor dem U-Ausschuss führt zu Ermittlungen wegen mutmaßlicher Falschaussage. Es geht dabei um die Vorgänge um die Bestellung von Aufsichtsrat und Alleinvorstand der Österreichischen Beteiligungs AG (ÖBAG). Besonders bemerkenswert ist die zweite Ladung des Kanzlers: Er antwortet so allgemein und lang auf Fragen seiner eigenen Fraktion, dass NEOS und Grüne gar nicht mehr an die Reihe kommen. Die gesamte Befragungszeit darf im U-Ausschuss eine Länge von vier Stunden nicht überschreiten und jede Fraktion hat eine bestimmte Anzahl von Minuten, um Fragen zu stellen, für die Antworten gibt es aber keine Begrenzung.

Ibiza Untersuchungsausschuss

APA/HELMUT FOHRINGER

Ambiente und Reformen

Was neben Chats und Erinnerungslücken aus dem U-Ausschuss nach außen gedrungen ist: Die Stimmung. In erster Linie haben immer wieder ÖVP-Vertreter*innen die angeblich so arge Atmosphäre während der Befragungen kritisiert. Ein „politisches Schauspiel mit ungeheuerlichen Vorverurteilungen“, urteilt ÖVP-Landwirtschaftsministerin Elisabeth Köstinger, noch bevor sie selbst vor dem U-Ausschuss erscheint. Kanzler Kurz beklagt, wie ein „Schwerverbrecher“ behandelt worden zu sein. Der ÖVP-Fraktionsführer im U-Ausschuss, Andreas Hanger, empfiehlt Jan Krainer von der SPÖ, „einen Psychiater aufzusuchen“, denn Krainer zerstöre „das politische Klima in Österreich.“

Die Befragungen im U-Ausschuss sind nicht öffentlich und Medien dürfen die Befragungen nicht aufzeichnen. Der Ton ist schon rau, aber auch in Nationalratssitzungen gibt’s Zwischenrufe und Angriffe, ganz neu ist das für die befragten Politiker*innen also nicht. Sie sind auch nicht auf sich allein gestellt, sondern nehmen eine Vertrauensperson mit, es gibt Verfahrensanwälte und den Verfahrensrichter. Alle achten auf die Persönlichkeitsrechte und der Vorsitzende, Wolfgang Sobotka, entscheidet mit dem Verfahrensrichter über die Zulässigkeit von Fragen.

Weil es so wild zuginge, bräuchte es auch Reformen, melden sich in den vergangenen Monaten ÖVP-Vertreter*innen zu Wort. Sobotka bricht eine Diskussion um die Wahrheitspflicht von Auskunftspersonen vom Zaun, Kanzler Kurz will, dass in Zukunft Richter*innen die Fragen stellen. Im parlamentarischen Kontrollinstrument Untersuchungsausschuss geht es aber nicht um strafrechtliche Verfehlungen, sondern um politische - und die untersucht das Parlament.

Immer lauter wird in den anderen Parteien der Ruf nach einer öffentlichen Übertragung der Befragungen, die ÖVP wäre aber nur im Rahmen einer „Gesamtreform“ von U-Ausschüssen dafür.

Ibiza Akten

APA/HERBERT NEUBAUER

Dokumente und ihre Geheimhaltung

Öffentliche Stellen müssen dem U-Ausschuss angeforderte Dokumente liefern. Das Finanzministerium ist dem nur sehr schleppend nachgekommen. Die Opposition wendet sich deshalb an den Verfassungsgerichtshof (VfGH). Finanzminister Blümel liefert dann in Papierform und als „geheim“ klassifizierte Dokumente. Letzten Endes beauftragt Bundespräsident Alexander Van der Bellen - an den der VfGH den Antrag auf Exekution stellt - das Straflandesgericht Wien damit, die Dokumente aus dem Finanzministerium sicherzustellen. Eine Woche vor Ende des U-Ausschusses sind die angeforderten Dokumente endlich bei den Abgeordneten.

Die ÖVP hat das Vorgehen lange mit dem Schutz der Privatsphäre der Ministeriums-Mitarbeiter*innen begründet. Privat sind laut ÖVP auch Chats aus dem ÖVP-Umfeld: „Du bist Familie“, „Kriegst eh alles was du willst“, „Schmid-AG fertig“, „Ich liebe meinen Kanzler.“ All das seien „saloppe Formulierungen zwischen zwei Menschen, die sich lange kennen“ und aus dem Zusammenhang gerissen.

Ibiza Untersuchungsausschuss

APA/HELMUT FOHRINGER

Konsequenzen

Der U-Ausschuss und die Chats, die über den Ausschuss an die Öffentlichkeit gelangt sind, haben einige Konsequenzen nach sich gezogen: Verfassungsrichter Wolfgang Brandstetter tritt zurück, ÖBAG-Chef Thomas Schmid auch, Justiz-Sektionschef Christian Pilnacek wird suspendiert. Ermittlungen laufen etwa gegen Finanzminister Blümel, Bundeskanzler Kurz und seinen Kabinettschef Bernhard Bonelli. Für alle gilt die Unschuldsvermutung.

Konkrete Änderungen hat der U-Ausschuss in der Justiz gebracht: Eine weisungsfrei gestellte oberste Staatsanwaltschaft soll kommen. Justizministerin Alma Zadić (Grüne) hat eine Arbeitsgruppe dafür eingerichtet. Als Antwort auf die Angriffe gegen die Justiz im vergangenen Jahr haben prominente Jurist*innen und ehemalige Politiker*innen ein Volksbegehren ins Leben gerufen, das „Antikorruptionsbegehren“.

We went to Ibiza

ÖVP-Fraktionsführer Andreas Hanger spricht nicht von einem Untersuchungsausschuss, sondern von einem „Unterstellungsausschuss“, der nur Geld gekostet und keine neuen Erkenntnisse gebracht hätte. Allein diese (sehr) verkürzte Aufzählung hier zeigt schon, was da alles im U-Ausschuss an die Öffentlichkeit gekommen ist. Dazu kommt die schwierige Arbeit der WKStA, Sponsorings durch die Novomatic und die Untersuchung von Spenden und zeitlich auf diese folgenden Gesetzesänderungen.

Am Ende eines Untersuchungsausschusses stehen etliche Berichte. Jede Partei verfasst einen Fraktionsbericht über den Ausschuss. Es gibt einen Abschlussbericht, den der Verfahrensrichter für den Vorsitzenden vorbereitet. Dieser Bericht wird dann am 22. September im Nationalrat behandelt. Am Tag darauf werden alle Dokumente des U-Ausschusses geschreddert. Wird ein neuer eingesetzt, müssten alle Dokumente erneut angefordert und geliefert werden.

Aktuell: