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Elias Hirschl

Leonhard Hilzensauer/Zsolnay

Polit-Satire und ein bisschen Thriller: Elias Hirschls Roman „Salonfähig“

Der Musiker, Bühnenpoet und Autor Elias Hirschl nimmt in seinem neuen Roman „Salonfähig“ die Rhetorik im (östereichischen) Politikgeschen bitterböse auseinander.

Von Lisa Schneider

Ob er aktuell viel Schlaf bekommt, frage ich Elias Hirschl, als er sich zum Interview im FM4-Studio auf einen der Hocker setzt. „Ein bisschen wenig momentan,“ schmunzelt er. Verständlich. Elias Hirschl ist 27 Jahre alt, er ist Autor, Poetry-Slammer, Mitautor des FM4-Comedy-Podcasts „Das magische Auge“ und er spielt, schreibt und singt nicht nur mit und für eine, sondern gleich mehrere Bands. Die aktuellste heißt Ein Gespenst und macht bestens nihilistisch angehauchten Postpunk für verlorene Sommertage.

Elias Hirschl

FM4

Er ist vielbeschäftigt, aber ein kurzer Besuch im FM4-Studio ist sich ausgegangen: Autor, Musiker und Poetry-Slammer Elias Hirschl.

So ein drückender Sommertag ist es, an dem Elias Hirschl vorbeischaut, um über seinen neuen Roman „Salonfähig“ zu sprechen. Er hat schon mehrere Bücher veröffentlicht; sein erster Roman „Der einzige Dorfbewohner mit Telefonanschluss“ ist 2015 erschienen. 2020 hat Elias Hirschl den Reinhard-Priessnitz-Preis des Bundesministeriums für Kunst, Kultur, öffentlicher Dienst und Sport entgegengenommen. Er ist also in der Lang- wie in der Kurzform sehr erfolgreich (wie auch nicht, bei herrlichen Songtiteln wie "Ich tanze nur aus Höflichkeit?).

Eine parallele Realität im Roman „Salonfähig“

Wien, Gegenwart. Die fiktive Partei „Mitte Österreich“ steht kurz vor den Nationalratswahlen, der Spitzenkandidat ist der junge Julius Varga. Julius Varga ist perfekt, zumindest für den namenlosen Ich-Erzähler, der ihn kompromisslos anbetet. Julius hat das „Image eines klugen, liebenswerten Schwiegersohnes“, er findet immer die richtigen Worte, Gesten, Slim-Fit-Anzüge. Er kann gar nichts falsch machen, er wird Österreich wieder dahin führen, wo es hin muss. Die „Mitte Österreich“ ist eine christlichsoziale Partei, in deren Jugendorganisation Julius Varga viele Jahre lang mitgewirkt hat. So wie auch der ihn anbetende Erzähler. Dessen Ziel ist es, so zu sein wie Julius. In und mit allem, was dazugehört.

„Ich hab’ mir die Frage gestellt: Was macht so ein Führerkult im Anfangsstadium mit den Menschen? Wieso identifizieren sie sich so sehr mit einer Person, die so weit von ihnen weg ist?“, sagt Elias Hirschl.

Der Erzähler in „Salonfähig“ sagt:

Ich bewundere die professionelle Ruhe seiner Stimme, seine sorgfältige Auswahl der Themen, die millimetergenau gesetzten Pausen und Schwerpunkte, seine perfekt sitzenden, schwarz glänzenden Haare, die sich schneidig von vorne nach hinten über seinen wohlgeformten Schädel ziehen, seine Krawatte, die sich elegant um seinen Kragen schlingt, und sein absolut natürliches Lächeln, das jeden Einzelnen im Publikum persönlich erreicht.

Über der später zur Besessenheit gesteigerten Anbetung liegt kein Filter. Auch kein sprachlicher. Elias Hirschl mag unzuverlässige Erzählfiguren („auf die Gefahr hin, etwas Negatives zu sagen: Authentizität finde ich langweilig“). Und auch damit ist er in der jungen deutschsprachigen Literatur eher eine Ausnahmeerscheinung.

Ähnliche Ausgangslage weltweit

2017 hat Elias Hirschl begonnen, an seinem Roman zu arbeiten und zu recherchieren. Es war Nationalratswahljahr in Österreich, die Liste Sebastian Kurz – Die neue Volkspartei (ÖVP) hat schließlich gewonnen und Sebastian Kurz wurde bald danach als jüngster Bundeskanzler der österreichischen Geschichte angelobt. Woher Elias Hirschl die Inspiration für seinen Roman hergenommen hat, hat man sich schnell zusammengereimt. Vorlage war aber nicht nur der österreichische Polit-Zirkus:

„Ich habe mir sehr viele Interviews mit Politikern angesehen, auch aus Deutschland oder den USA. Und das fand ich extrem spannend. Da ist oft alles auf eine Person zentriert und gleichzeitig erfährt man nichts über sie. Diese Interviews sind alle genau gleich. Es sind oft gar keine Interviews, sondern mehr eine Art Bewerbungsgespräch. Man erfährt nur die Dinge, die nach außen dringen sollen, und nichts über die Psyche, die Meinung oder überhaupt die Person selbst.“

Buchcover Elias Hirschl "Salonfähig"

Zsolnay

„Salonfähig“ von Elias Hirschl erscheint bei Zsolnay.

Der Ich-Erzähler in „Salonfähig“ will ebenfalls unergründlich und makellos sein. Er eignet sich Julius Vargas Art zu sprechen, seinen Kleidungsstil, seine Haarfarbe, seine Lebensart an, die leere Worthülse und die immer leerere Menschenhülse. Zum Wunsch, dieser andere, perfekte Mensch zu werden, gehört die grenzenlose Selbstoptimierung. Einer der vielen Leitsätze, die sich der Erzähler an einem Low Point vorbetet, geht so: „Jeder kann werden, was er möchte. Egal, wie erfolglos und arm man am Anfang sein mag. Jeder hat das Zeug dazu, alles zu tun. Das hat meine Mutter schon gesagt. Das hat Aristoteles gesagt. Das sagt Julius.

An anderer Stelle im Roman bekommt die Aufforderung zur Verbesserung noch den schönen Zusatz: „Hauptsache, du bleibst immer du selbst.

„Vor allem in der neoliberalen und neokonservativen Politik liegt das Hauptaugenmerk ja auch darauf, dass das Individuum Leistung zeigen muss. Du musst dein Glück selbst erarbeiten, du bist selbst schuld, wenn es dir schlecht geht. Ich seh’ da schon einen größeren Zusammenhang, der bis hin zur Selbstoptimierung auf Social Media führt. Man könnte das alles als Teil eines Kultes sehen,“ sagt Elias Hirschl und muss dabei kurz lächeln. Wenn es nur nicht ebenso absurd wie wahr wäre.

Auf Aristoteles bezieht sich der Ich-Erzähler übrigens überhaupt gern, wenn er nach dem morgendlichen Espresso die Maxime guten Handelns erprobt und einem Bettler Münzen hinwirft oder an sein Patenkind in Afrika denkt, dem er monatlich ein paar Euro schickt. Damit das vorbildhafte Verhalten auch so weit konditioniert wird, belohnt er sich immer nach der Spende mit einem Stück Sachertorte. Damit das Hirn auch weiß: Das hast du gut gemacht.

Bei all der Gefühlsarmut und Empathiebefreitheit möchte man kurz an Bret Easton Ellis’ Romane denken. Als „Austrian Psycho“ wird der Erzähler von „Salonfähig“ im Pressetext zum Buch angepriesen. Das kommt schon nah hin, aber bei Ellis gibt es keine Satire, bei Elias Hirschl schon. „Salonfähig“ ist trotz ernster Themen kein todernstes Buch.

„Austrian Psycho“

Weil Elias Hirschl nicht nur die Satire pflegt, sondern auch das Surreale schätzt, beendet er seinen Roman mit einer Art literarischer One-Shot-Kamerafahrt hinein in einen Thriller. Es ist sehr gut erdacht und gemacht, wie der Roman am Ende die zuvor immer klar strukturierte Haltung und Positionierung seines Protagonisten loslässt. Wenn der krasseste Traum in Erfüllung geht, dann nur auf einer unmöglichen Ebene.

Elias Hirschl ist ein langjähriger FM4-Wegbegleiter. Dreimal hat er schon am FM4-Protestsongcontest teilgenommen: 2011, 2012 und 2015. Das Lied „Blumen im Haar“ etwa brachte ihm den vierten Platz ein.

„Salonfähig“ ist ein Roman, der nur aus Höhepunkten besteht. In all seiner überspitzten Formulierung tut es ihm gut, dass er nur knappe 250 Seiten lang ist. Einer der Erzählkniffe, den sich Elias Hirschl von Bestsellerautor Chuck Palahniuk abgeschaut hat: „Er hat einmal in einem Interview gesagt, dass er beim Schreiben keine Übergänge macht, sprich: Er wirft den Leser immer hinein in die Szene, ohne Erklärung, wie die Figur da jetzt genau hingekommen ist.“

Durch die verdichtete Erzählform wird die Sogwirkung noch stärker und werden die Absurditäten noch absurder. Wie etwa die Erkenntnis, dass das perfekte Individuum gar kein Mensch mehr ist.

„In jedem Herz steckt noch ein Schlag“ singt Elias Hirschl am vielleicht besten Lied seiner aktuellen „Ein Gespenst“-EP, es heißt „Liebe und Drogen“. Es ist nur ein Roman, aber vielleicht ändert sich an der Realität ja irgendwann doch noch etwas.

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