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Oskar Haag beim Popfest in der Karlskirche

Franz Reiterer

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„Wenn ich an was glaub’, dann glaub ich an Pop“

Das Popfest 2021 ist gestern Abend in der Wiener Karlskirche zu Ende gegangen. Der große Name, den man ab jetzt in die musikalische Welt hinausschreien muss, lautet Oskar Haag.

Von Lisa Schneider

Und wir sitzen wieder in der Kirche, müde und glücklich. Für einige Besucher*innen ist es der vierte Festivaltag, hier am heurigen Popfest, für einen ist es der erste. Der erste an diesem Wochenende und der erste überhaupt: Oskar Haag steht ganz oben am Zettel der musikalisch interessierten Spürnasen dieses Landes, spätestens seit Esra Özmen und Herwig Zamernik ihn eben hierhin, in die Karlskirche, zum großen Abschlussabend des heurigen Popfests eingeladen haben. In ein paar Jahren werden die Menschen, die sein Konzert gestern gesehen haben, sich gegenseitig auf die Schultern klopfen und Dinge sagen wie „Ich hab’s ja gewusst“, oder: „Ich war dabei!“.

Oskar Haag ist 15 Jahre alt und hat keine Angst. Nur ein bisschen aufgeregt ist er, erzählt er vor seinem Auftritt. Merken wird man nichts davon. Nach der Ankündigung durch einen sichtlich stolzen Herwig Zamernik spricht er ein sanftes „Hallo“ ins Mikrophon. Gitarre angesteckt und Laptop bereit, los geht’s.

Das ist die Art von Musik, die man sonst in einem guten englischen Pub hört. Menschen vom österreichischen Land - Oskar Haag kommt aus Kärnten - gründen oftmals eher eine Band in der Garage irgendeines Freundes. Oder im Keller. Oskar Haag hat das Schlafzimmer gewählt, um da seine Songs zu schreiben. „Mein Pop, sagen viele, ist halt sehr nah dran an mir als Künstler“, sagt Oskar. Sie meinen damit wohl die Grundessenz des guten Singer-Songwritertums, die Kunst also, Geschichten zu erzählen, die zu gleichen Teilen persönlich wie universell sind. Oskar Haag schreibt genau solche Lieder.

Diese Lieder, die aktuell noch nicht über diverse Streaming-Plattformen, sondern tatsächlich free for all nur auf Soundcloud zu streamen sind, tragen dann Titel wie „Stargazing“, „Your hands in mine“ oder „Don’t exist, just live“. Alles Lieder über die unbeantwortete, die mühsame, die manchmal gute Liebe. Wenn jemand in diesem Alter von Erfahrungen singt, die er alle so wohl noch nicht selbst gemacht haben kann, zeugt das entweder vom eifrigen Studium der Großen oder von großem Talent. Oder, wie hier im Fall von Oskar Haag, von beidem.

Da steckt etwas rührend Ehrliches, eine wohltuende Naivität in den Texten und in der Performance, die, vor warm-gelb bestrahlter Apsis, ruhig und gelassen bis zur vorletzten Nummer sitzend stattfindet. Hier schreibt und spielt jemand, dessen Gedanken noch nicht gejagt und angefüttert sind von zu vielen erlebten Katastrophen und Nachrichten und Weltuntergängen. Das ist die totale Unmittelbarkeit, im Kern der schlichte Popsong. Der, und hier sind wir beim allerfeinsten Gespür, im richtigen Moment nicht perfekt ist. Die Lieder, in denen Oskars Stimme kurz vorm Refrain wegbricht, sind mindestens so schön wie alle Dinge, an denen etwas fehlt.

Beim vielleicht besten Song des gestrigen Abends, der vorletzten Nummer „Lullaby“, fährt Oskar Haag schließlich noch einmal alles hoch. Endlich wieder mit Superlativen um sich schmeißen: Paul McCartney ist sein Lieblings-Beatle („weil der einfach alles kann“), aber auch dabei in diesem Lied ist die Harmoniegewalt von David Bowie, ein sanftes Nicken hinüber zu Oasis zu Zeiten ihres „Masterplan“. Aber auch die haben ja alles von den Beatles gelernt. Es gibt Standing Ovations und offene Münder, als Oskar Haag den Kirchenraum nach wie vor sehr unaufgeregt zur Seite hinaus verlässt.

Der Sound in einer Kirche ist der Sound der Hölle, zumindest für einige Acts. Anna Attar hat ein bisschen gezweifelt, wie gut das klappen wird. Sie hat große Dinge vor mit ihrem neuen Live-Set-Up, das sie durchaus mit dem schnöde-guten Begriff „Party“ anpreist. Der Dresscode schwarz, die Sonnenbrillen cool.

Anna Attar ist als Monsterheart eine alte, gute Popfestfreundin, sie ist heuer schon zum vierten Mal hier aufgetreten. Das hat natürlich seine Gründe. Wenige heften sich die Grübelmarke „Emo“ so offen ans Revers und sind gleichzeitig von so einnehmender, sympathischer und seit dem letzten Album „The New“ auch lebensbejahender Live-Art.

In der Karlskirche sind es vier Monsterherzen, denen wir live zusehen dürfen: Judith Filimónova spielt Bass, Raphaela Fries Schlagzeug und Christina Zauner Keyboard. Anna Attar ist die Stimme, die Melodie und die gute Pop-Priesterin, die hier alles zusammenhält. Meistens jedenfalls. Die charmante Imperfektion bekommen wir hier in Form von situationskomischen Bühnenansagen aufgetischt („Könnt ihr mich hören? Nein? Gut!!“).

Optimistisch sind die neuen Lieder von Monsterheart, ihre Jünger*innen mögen sie aber schon auch noch von früher her mit vornehmlich zynischem bzw. klug-pessimistischem Akzent. „Love is pain“ singt Anna Attar ganz am Ende ihres Sets, während die Synthie- und Orgelsounds wie Pfeilspitzen durchs Kirchenschiff und wieder zurücksausen. Sie hat zwischen all der Disko und dem Aufbruch die Widrigkeiten des Lebens weder verdrängt noch vergessen. Eine sehr gute Songschreiberin eben.

Sie hat sehr lange den Wunsch gehabt, einmal in der Karlskirche zu spielen, erzählt Alicia Edelweiss im FM4-Interview. Manchmal, wenn es schon dunkel war, hat sie sich am Spielplatz gleich nebenan auf eine Schaukel - ihre Lieblingsschaukel! - gesetzt und sich ausgedacht, wie das wäre, mit Band, da drinnen. Das Popfest ist, wie wir seit dem ersten Konzertabend und eigentlich schon seit zwölf Jahren wissen, Stimmengeber. Es ist laut, radikal, politisch, und es ist ein Wunschtraum-Erfüller.

Der gestrige Abend ist der Abend der großen Geschichtenerzähler*innen. Die allergrößte, zumindest aber die liebevoll exzentrischste von ihnen ist Alicia Edelweiss. Ihre Auftritte sind Gedankenreisen mit Kakerlaken an der Seite, mit Vätern, die ihre Töchter ins Meer werfen und noch vielen anderen Wunderlichkeiten, wie man sie sonst nur in Märchen hört. Fast wünscht man sich, Alicia säße neben einem am Bett, wenn man sich heute niederlegt. Sie entfacht mit ihren Liedern und den darin versteckten Lebemenschen und Lebewesen eine kindliche Lust darauf, sich die ganze Welt von ihr noch einmal neu erklären zu lassen.

Vielleicht schaffen es manche, diese Idee mit heimzunehmen, weil Alicia Edelweiss beschließt mit ihrem Auftritt das Popfest 2021. Es ist einerseits das Ende ihrer aktuellen, internationalen Tour, und andererseits vielleicht der Anfang von etwas ganz Großem. Die Multiinstrumentalistin wäre nämlich überhaupt sehr interessiert an einer Tour, die ausschließlich in Kirchen stattfindet. Besser ginge es dann wirklich nicht: Alicia Edelweiss, mit ihrer wie immer hervorragenden Band (mit ihr gestern auf der Bühne standen Lukas Lauermann, Mihoko Ikezawa und Stefan Gfrerrer), die durchs gotische Frankreich zieht, von St. Denis bis Reims. Wo die sanft gezupften Streicher-Töne durch die Kirchenbänke streifen können und Alicias Stimme die (Raum-)Höhe bekommt, die sie verdient. So wie gestern Abend.

Popfest Arena Wien Tag 1 Konzert Eli Preiss, Publikum sitzt und tanzt auf der Wiese, die Sonne geht unter

Franz Reiterer

Hier gibts noch Impressionen von Tag 1, Tag 2und Tag 3 beim Popfest 2021.

Das ist ein guter Traum, das Popfest 2021
hat uns ihrer viele, und noch mehr Gedanken und Denkanstöße mitgegeben. Sei es beim Panel „We Are From Austria“ im Karlsgarten, bei dem unter anderem Golnar Shahyar den diskriminierenden Begriff „Weltmusik“ auseinandergenommen hat. Oder seien es Gedanken zu Freiheit, Mut und Selbstbestimmung, als etwa Mavi Phoenix auf der großen Open Air Bühne der Arena mit und durch seine Musik gezeigt hat, dass es funktionieren kann, das Ding mit dem Neuanfang. Oder seien es Gedanken zu Haltung, zu Nazis und zur SOS Balkanroute, zu Queerness und Homophobie, zu Freundschaft, Zusammenhalt, und zur Liebe in all ihren seltsamen und wunderbaren Ausformungen. Im Pop, den wir in den letzten vier Tagen zuerst in der Arena Wien, und am letzten Abend im Karlsgarten und in der Karlskirche gehört haben, waren alle diese Gedanken enthalten.

„Wenn ich an was glaub’, dann glaub ich an Pop“, sagen Manic Youth, die am Freitagabend in der Arena Wien ihre Gitarrensaiten mal hart, mal sacht geschlagen haben. Amen, und: bis nächstes Jahr.

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