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Clairos zweites Album ist eine Weiterentwicklung

Aufgewachsen in Massachusetts, groß geworden im Internet: Claire Cottrill ist besser bekannt unter ihrem Soloprojekt Clairo, mit dem sie 2017 viral ging. Jetzt ist ihr zweites Album „Sling“ erschienen, mit Lorde-Gesängen, Hunde-Instrumentals und Jack Antonoff als Co-Producer.

Von Michaela Pichler

Lo-Fi-Beats, eine verschlafene Stimme und eine einfache Popmelodie: Damit hat Clairos musikalische Reise angefangen. Im Jahr 2017, als sie den Song „Pretty Girl“ auf Youtube hochlädt und damit viral geht. Ein Sound, der schnell den Bedroom Pop-Stempel bekommen hat und für den Clairo von den einen als Gen-Z-Vertreterin gefeiert wurde. Andere wiederum kritisierten den Karriere-Aufstieg des Teenagers, der als selbstgemachte DIY-Geschichte vermarket wurde. Später wurde allerdings bekannt, dass Clairos Vater, Geoff Cottrill, in der Musikindustrie arbeitet und unter anderem für das Studio Rubber Tracks tätig war. Clairo wurde vorgeworfen, eine „Industry Plant“ zu sein, ähnliche Diskussionen gibt es auch um Billie Eilish.

Cover "Sling" Clairo

Clairo / Fader Label

Das zweite Album „Sling“ von Clairo ist im Juli 2021 via Fader Label erschienen.

Doch kein Reddit-Forum der Welt hat Clairo den Erfolg vermiest, sie tourte mit Dua Lipa durch die USA, produzierte Feature um Feature mit Charlie XCX, Mura Masa, Rejjie Snow und Cuco und veröffentlichte 2019 ihr Debüt „Immunity“, auf dem sie ihren trappigen Teenie-Pop erstmals in Albumlänge zelebrierte.

Alles neu macht der Lockdown

Eine Pandemie später ist Clairos neuer Sound entschleunigt. Die ungeschliffenen, digitalen Keyboard-Sounds und die billige Drum Machine hat die 22-jährige Musikerin gegen echte Instrumente eingetauscht. Auf „Sling“ gibt es bluesige E-Gitarren, Bläser-Ensembles, Streicher und Flöten-Arrangements. Clairos mehrstimmiger Gesang setzt auf viel Harmonie. Die erste Album-Single „Blouse“ ist dafür der beste Beweis.

„Blouse“ ist ein zaghafter Kommentar auf die Musikwelt da draußen und die mächtigen Männer, die hinter schweren Schreibtischen sitzen und jungen Musikerinnen oft lieber in den Ausschnitt schauen, als ihre Ideen ernst zu nehmen. Es ist der letzte Track, den Clairo für ihren neuesten Wurf geschrieben hat, und es war der erste Song, den sie ihren Fans als Album-Vorbote präsentiert hat.

Why do I tell you how I feel?
When you’re just looking down the blouse
It’s something I wouldn’t say out loud
If touch could make them hear, then touch me now

In einem Interview mit Vogue erzählt Clairo von der Dringlichkeit, dieses Thema in einen Song zu packen: „Es ist eine Erfahrung, über die ich nicht unbedingt sprechen wollte, aber ich hatte nicht das Gefühl, eine Wahl zu haben. Es ist ein Song, den ich unbedingt schreiben musste, und dabei habe ich eine gewisse Stärke entdeckt, die ich in mir trage.“

With a little help from my friends

Gesangliche Unterstützung hat Clairo von Lorde bekommen, die mehrere Backing Vocals für „Sling“ beigesteuert hat und sich auch in den „Blouse“-Harmonien versteckt. Schlagabtausch heißt es bei den Musikfreundinnen, Clairo selbst singt im Gegenzug auch auf dem kommenden Lorde-Album „Solar Power“.

Für den neuen Clairo-Sound waren mehrere Umstände verantwortlich: Zum einen hat es die Songwriterin in den Norden New Yorks gezogen, in die Berge, wo sie viel Zeit hatte komponieren. Zum anderen hat sie dabei Star-Produzent Jack Antonoff im Studio begleitet, der auch schon für Taylor Swift, Lorde und Lana del Rey produziert hat. Ein Referenz-Katalog, den Clairo nicht nur bewunderte, sondern von dem sie vor allem eingeschüchtert war. Die Songwriterin lehnte deshalb zuerst eine Zusammenarbeit ab. Dann aber hat sie die ersten Zeilen von „Reaper“ geschrieben - Nummer 10 auf „Sling“ - und für sich selbst als gut genug befunden. Clairo nimmt allen Mut zusammen und zeigt Antonoff den Song, der nun als Co-Producer gemeinsam neben der Solokünstlerin selbst für den Sound am Album verantwortlich ist.

Nach Studio-Arbeiten in Upstate New York wurde auch noch in den geschichtsträchtigen Electric Lady Studios in New York City an den Songs geschliffen, die einst vor fünfzig Jahren von Jimi Hendrix gegründet wurden. Gegenüber dem Rolling Stone Magazin meinte die Solokünstlerin, dass sie ohne den Support von Leuten wie Jack Antonoff oder Lorde die Platte vielleicht nie fertig produziert hätte.

Clairo macht sich auf ihrer neuen Platte Gedanken um die Rolle als Frau in unserer Gesellschaft, sie widmet ihrem adoptierten Hund Joanie das gleichnamige Instrumentalstück – übrigens benannt nach Joni Mitchell - und lässt harmonischen Folk genauso aufleben wie den Sadcore von Elliott Smith oder den 70er-Jahre Spirit von Paul McCartney und seinen Wings. Letzteres macht sich besonders im Album-Opener bemerkbar, dem großartigen Song „Bambi“. Damit ist Clairo ein intimes, zweites Album gelungen.

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