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Montage aus Filmstills der Filme "Proxima" und "The World To Come"

Filmladen/Polyfilm

FILM

Weibliche Blickwinkel: „Proxima“ und „The World To Come“

Ein Astronautinnendrama mit Bodenhaftung und ein traumwandlerischer Antiwestern. Die Regisseurinnen Alice Winocour und Mona Fastvold unterwandern in ihren neuen Filmen alte Genremuster.

Von Christian Fuchs

Eine französische Astronautin trainiert für die erste Mission zum Mars - und muss ihre kleine Tochter zurücklassen: Christopher Nolan würde diese Geschichte wahrscheinlich als interstellares Science-Fiction-Epos erzählen. Zeitreisen inklusive. Auch Ridley Scott könnte in einem Film wohl nicht auf Aufnahmen vom Mars verzichten. Alice Winocour präsentiert in „Proxima“ diese Story aber mit maximaler Bodenhaftung.

Die Pariser Regisseurin ist der cinephilen Community ein Begriff. In ihrem Thriller „Maryland“ beschriebt sie die Beziehung zwischen einer Frau und ihrem Bodyguard auf faszinierende Weise. Für die befreundete türkische Filmemacherin Deniz Gamze Ergüven schrieb Alice Winocour das Drenbuch zum preisgekrönten Coming-of-Age-Drama „Mustang“.

Nun also ein vermeintlicher Sci-Fi-Film, von echten Marslandungen sind wir schließlich noch eine Weile entfernt. Es geht in „Proxima“ zwar um die Raumfahrt, aber im Grunde um ein viel universelleres Thema: Die Unvereinbarkeit von Beruf und Familie.

Filmstill aus "Proxima"

Filmladen

Nüchterne Bilder, innere Konflikte

Die großartige Eva Green spielt Sarah, eine Frau, die ganz hoch hinaus will. Bereits seit Kindheitstagen träumt die Französin von den Sternen, vom Aufbruch in den Kosmos. Als Erwachsene ist sie nun ganz knapp am Ziel. Die Astronautin soll an einer jahrelangen Expedition zum Mars teilnehmen, als einzige Frau in einem international zusammengestellten Männerteam.

Wir folgen Sarah durch das brutale Trainingsprogramm in einem russischen Bootcamp. Noch schlimmer als die körperlichen Herausforderungen oder die abgebrühten Crewmitglieder-Machos sind aber die seelischen Krisen. Sarahs siebenjährige Tochter (Zélie Boulant) wird ihre Mutter ewig nicht wiedersehen. Soll die Astronautin die einmalige Chance sausen lassen - und lieber bei ihrem Kind auf der Erde bleiben?

Alice Winocour platziert diese schwierigen Fragestellungen inmitten nüchterner Bilder, die maximalen Realismus suggieren. Nur gegen Ende schleichen sich schmerzhafte Wehmut und etwas Pathos in den Film ein. Wem das jetzt zu wenig spannend klingt: „Proxima“ hat tatsächlich manche Längen.

Letztlich überzeugt aber der innere Konflikt der Protagonistin. Und auch die Besetzung. Neben Eva Green sind Matt Dillon, Lars Eidinger und Sandra Hüller zu sehen, die beiden deutschen Schauspielstars in kleinen, aber feinen Nebenrollen. Jedenfalls: Eine Verbeugung vor Astronautinnen und allen Frauen, die nach den Sternen greifen.

Filmstill aus "Proxima"

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Intensität der anderen Art

Und noch so ein bewusstes Enttäuschen jeder vermeintlichen Erwartungshaltung. Fast alles, was man mit Western verbindet, fehlt in „The World To Come“. Es gibt keine coolen Cowboys, keine stereotypen Bösewichte, vor allem keinerlei Schießereien. Mona Fastvolds bei der Viennale gefeiertes Werk ist aber auf ganz andere Weise äußerst intensiv - und spielt in der Frontierära, als Amerika besiedelt wurde.

1856, irgendwo in der ländlichen Einsamkeit der Ostküste, treffen zwei Ehepaare, zwei verschlossene Männer, zwei frustrierte Frauen, aufeinander. Abigail (Katherine Waterston) ist mit dem abwesend wirkenden Dyer (Casey Affleck) verheiratet, der Tod der gemeinsamen Tochter hat den Farmer in die Apathie gestürzt.

Als eines Tages die überaus freundliche Nachbarin Tallie (Vanessa Kirby) in der Nähe einzieht, lockert sich plötzlich die triste Stimmung. Die beiden Frauen freunden sich an, eine spezielle Idylle entwickelt sich, Liebe flackert auf. Aber Tallies strenger und verbitterter Ehemann (Christopher Abbott) ist wachsam. Wer einschlägige Melodramen kennt, ahnt, dass diese Geschichte nur tragisch ausgehen kann.

Filmstills aus "The World To Come"

Polyfilm

Zwischen Melancholie und Utopie

So eine Inhaltsangabe weckt natürlich Assoziationen zu queeren Mainstream-Hits wie „Brokeback Mountain“. Noch naheliegender ist der Vergleich mit dem zurecht in den Himmel gelobten Festivalgewinner „Portrait of a Lady on Fire“. Aber Mona Fastvold, die zusammen mit ihrem Lebensgefährten Brady Corbet tolle Drehbücher verfasste („Vox Lux“), beschreitet in ihrer zweiten Regiearbeit eigene Wege.

Wir riechen förmlich die Wälder rund um die groben Holzhäuser, wir spüren die angespannte Stimmung in diesem Slowburn-Meisterwerk, wir leiden unter dem Druck, den so viele Männer schon immer auf Frauen ausüben.

Filmstills aus "The World To Come"

Polyfilm

Der stets brilliante Casey Affleck und Indie-Hollywoods aktueller Leidensmann Christopher Abbott agieren beklemmend gut. Der Film gehört aber Katherine Waterson und der umwerfenden Vanessa Kirby als Farmerinnen, die sich einander zuwenden. Die Oscar-nominierte Britin bringt mit jeder Geste einen Hauch von Lebensfreude in die isolierte Tristesse. „The World To Come“ besticht als traumwandlerischer Antiwestern, der zwischen Melancholie und Utopie pendelt.

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