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filmstill Minari, Regisseur Lee Isaac Chung,

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„Minari“ ist ein umwerfend intimes Familienporträt

Der vielfach ausgezeichnete Film „Minari“ begleitet eine koreanisch-amerikanischen Familie bei ihrem Neustart im ländlichen Arkansas. Basierend auf seinen eigenen Erlebnissen erzählt Regisseur Lee Isaac Chung von der Suche nach Heimat, Identität und Glück. Das Ergebnis ist umwerfendes und berührendes Kino mit der coolsten Leinwand-Großmutter ever!

Von Philipp Emberger

Der US-Bundesstaat Arkansas liegt im Süden der USA und trägt die Beinamen „Land of Opportunity“ und „The Natural State“. In dem Film „Minari“ von Regisseur Lee Isaac Chung werden die beiden Beinamen des Bundesstaats in einer umwerfenden Geschichte miteinander verschmolzen.

Angesiedelt in den 80ern geht es für die koreanisch-amerikanische Familie Yi von Kalifornien in das ländliche Arkansas. Ein abgeranztes Mobilheim auf Rädern und ohne Treppe in den Wohnraum, soll mitten in der amerikanischen Pampa ihr Zuhause werden. Im Opportunity-State Arkansas soll der Umzug auch eine Möglichkeit für Vater Jacob (Steven Yeun), Mutter Monica (Han Ye-ri) und ihre beiden Kinder Anne (Noel Kate Cho) und David (Alan S. Kim) bieten. Der Familienvater will eine Farm aufbauen und koreanisches Gemüse pflanzen. Für diesen Traum setzt er Geld, Ehe und die Zukunft der Familie aufs Spiel.

Regisseur Lee Isaac Chung ist selbst als Kind südkoreanischer Migrant*innen in Arkansas aufgewachsen und lässt diese Erfahrungen nun in seinen vierten Spielfilm einfließen. Mit den Augen des 7-jährigen Davids nähert sich Chung den Themen Heimat, Glück und Identität. Der Traum von der Farm bietet nämlich auch einige Schwierigkeiten bis hin zu existenzgefährdenden Ängsten und ehelichen Problemen.

filmstill Minari, Regisseur Lee Isaac Chung,

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„Minari - Wo Wir Wurzeln Schlagen"
Kinostart: 29. Juli 2021

Dazu kommen noch alle gesellschaftlichen Schwierigkeiten, die mit dem Umzug einhergehen. Etwa wenn der kleine David in der Kirchengemeinde auf einen gleichaltrigen Buben trifft und gefragt wird: „Why is your face so flat?“ Das Rassismus-Thema deutet Chung in „Minari“ aber nur an, es spielt für die Familie auch schlicht keine Rolle. Sie lebt abseits der Gemeinde, der Weg in die Kirche muss mit dem Auto zurückgelegt werden. Immer dort, wo sie auf die ländliche Gemeinde treffen, begegnen ihnen die Menschen freundlich und respektvoll, wie der Korea-Kriegsveteran und Erntehelfer in spe Paul.

Familie Yi

„Minari“ konzentriert sich auf die Innenperspektive der Familie. Es geht nicht um einen Blick von außen, sondern wie die Familie ihren Weg in den USA konsequent verfolgt und dabei auch phasenweise scheitert.

Die Familienmitglieder der Yis kämpfen auf ganz individuelle Art und Weise um ihre Version eines glücklichen Lebens. Regisseur Chung war es ein Anliegen, die Gefühlswelt seiner Protagonist*innen nachvollziehbar und spürbar zu machen. Das gelingt auch über die komplette Dauer des Films sensationell. Mit Empathie und Einfühlungsvermögen erzählt er die Geschichte der Familie und gibt berührende und intime Einblicke in ihr Leben.

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Die Yis verfolgen ihren Traum

Das Drehbuch von „Minari“ pendelt dann zwischen dem Traum einer erfolgreichen Farm und der Besinnung auf die eigenen Werte samt Herkunft. Regisseur Chung liefert den Beweis, dass die Erzählung des amerikanischen Traums nicht abgedroschen sein muss. Er gibt seiner Geschichte Zeit und entwickelt aus der Stille heraus eine unglaubliche Kraft.

Eine Kraft, die sich auch in der Award-Season gezeigt hat. Über 100 Preise hat das Familienporträt abgeräumt, darunter beim Sundance Film Festival, den Oscars und bei den Golden Globes. Bei den Globes war der Film sehr zum Ärger einiger in der Kategorie Bester fremdsprachiger Film nominiert, zum überwiegenden Teil wird im Film Koreanisch gesprochen. Diese Entscheidung hat der Hollywood Foreign Press Association (HFPA), die die Golden Globes vergeben, viel Kritik eingebracht. Und so liefert "Minari“ auch einen Hinweis darauf, dass die amerikanische Filmindustrie neue Wurzeln schlägt und Veränderungen unterworfen ist. Zunehmend wird hinterfragt wird, was denn nun genau ein „amerikanischer Film“ ist und was nicht und ob bisherige Denkmuster nicht längst überholt sind. Steven Yeun etwa ist der erste sino-amerikanische Schauspieler, der für einen Oscar in der Kategorie Bester Hauptdarsteller nominiert wurde.

Coolste Leinwand-Oma

Ganze ohne Reibung verläuft das Familienleben der Yis nicht. Neben den Auseinandersetzungen der beiden Eltern, verläuft eine weitere Konfliktlinie zwischen dem 7-jährigen David und der Großmutter Soon-ja (Yuh-jung Youn), die aus Korea zur Familie nach Arkansas zieht.

Die Oma ist überhaupt keine richtige Oma, findet zumindest David. Sie flucht, trägt Männerunterwäsche und stinkt nach Korea. So kommt es, dass die Beiden übers Pinkeln und die korrekte Bezeichnung von Penissen diskutieren und dabei über ihr Verhältnis zu- und miteinander ringen. Schauspielerin Yuh-Jung Youn hat für ihre sensationelle Rolle einen Oscar bekommen und ist als rüpelhafte Großmutter gemeinsam mit ihrem Film-Enkel für viele gute Szenen verantwortlich.

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Yuh-Jung Youn hat für ihre Rolle in „Minari“ den Oscar als beste Nebendarstellerin gewonnen

Obendrauf kommen noch wunderschöne Landschaftsbilder, ein berührender Score von Emile Mosseri und die coolste Leinwand-Großmutter ever. Kombiniert machen die einzelnen Teile „Minari“ zu einem vielschichtigen und umwerfenden Familienporträt, das von der ersten Leinwandsekunde an gefangen nimmt. Großes, berührendes Kino!

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