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Traurige Muskelfrauen und wütende Strohmänner: 11 Kurzgeschichten von Yukiko Motoya

Ein Ehemann aus Stroh, die Hausfrau als Bodybuilderin, ein Ehepaar, dessen Gesichter sich aneinander über die Jahre angleichen: Yukiko Motoya kritisiert in „Die einsame Bodybuilderin“ gesellschaftliche Verhältnisse, indem sie sie ins Absurde abdriften lässt. Elf Kurzgeschichten der preisgekrönten japanischen Autorin sind jetzt auch auf Deutsch erschienen.

Von Diana Köhler

Eine Hausfrau beschließt spontan, Bodybuilderin zu werden. Auch nach Monaten des Trainings bemerkt ihr Mann den immer muskulöser werdenden und braungebrannten Körper nicht. Sie trainiert und trainiert, aber erst nach einem Zwischenfall in der Arbeit, bei dem sie aus Versehen einen Hund tötet, fallen ihrem Mann die Muskeln das erste Mal auf.

„Bodybuilding war eine besondere Form von Schönheitskult, und vielleicht versiegte deshalb das Lächeln auf den Gesichert der Bodybuilder nie, auch wenn sie mitunter Schmerzen hatten. Nur mein Mann merkte nichts von alledem. Und das, obwohl meine Brust sich mittlerweile so stählern anfühlte, als hätte ich eine Eisenplatte unter der Haut, und meine Arme so muskulös waren, als könnte ich einen Baumstamm entzweibrechen. Also fragte ich meine Kolleginnen um Rat. „So sind sie die Männer“, trösteten sie mich. „Meiner merkt nie, wenn ich beim Friseur war.“

Cover

Aufbau-Verlag / zero-media.net

„Die einsame Bodybuilderin“ von Yukiko Motoya. Erschienen ist die Anthologie beim Aufbau-Verlag. Übersetzung: Ursula Gräfe

Tägliche Tristesse

„Die Einsame Bodybuilderin“ von Yukiko Motoya ist nur eine der Kurzgeschichten im gleichnamigen Sammelband. Zwischen den Geschichten besteht kein inhaltlicher Zusammenhang, doch haben alle etwas gemeinsam: Sie erzählen von der scheinbaren Tristesse des bürgerlichen Lebens und der monogamen Zweierbeziehung. Warum scheinbar? Weil hinter der Fassade des Alltags das Absurde und Fantastische lauert und langsam, nach und nach, hervorsickert. So beginnen viele der Geschichten von Yukiko Motoya wie ein Schulaufsatz, mit beschaulichen Szenen: Eine Frau, ein Mann, eine Ehe, der Alltag. Man redet Smalltalk mit den Nachbar*innen, sie kocht, geht einkaufen, er sieht fern.

Beim Lesen der Geschichten kommt es bei manchen erst nach einigen Seiten vor, manchmal sofort nach der ersten. Aber irgendwann gibt es in jeder Story den Moment, in dem man als Leser*in kurz aufschaut und laut sagen muss: „What the fuck?“ Was besonders lustig ist, wenn es in der vollen U-Bahn passiert. Zum Beispiel in „Was raschelt im Stroh“:

Tomoko heiratet einen Mann aus Stroh und geht mit ihm am liebsten joggen. Ihre Eltern haben ihr von der Heirat abgeraten, denn ein Strohmann, das ist schon recht ungewöhnlich. Aber sie hat ihre Sorgen ignoriert. Der Strohmann riecht nach in der Sonne getrockneten Handtüchern, das liebt sie. Als Tomoko eines Tages nach dem Training einen Kratzer in das neue Auto ihres Mannes macht, wird dieser ungewöhnlich wütend. Je wütender er wird, desto mehr kleine Musikinstrumente fallen aus ihm heraus. Der Strohmann wird kleiner und kleiner.

Zu zweit ist man erst recht allein

Yukiko Motoya reflektiert Beziehungen, gesellschaftliche Regeln und Normen. Sie treibt sie auf die Spitze und zeigt auf diese Weise, wie absurd und teilweise auch schädlich diese sind. Wie in „Ehe mit einer fremden Spezies“:

Eine Hausfrau bemerkt nach Jahren der Ehe plötzlich, wie ihr Gesicht immer mehr dem ihres Mannes gleicht. Sie selbst hat ihr eigenes Leben und ihre Wünsche komplett hinten angestellt und sich selbst dabei verloren. Genauso, wie es als gute Haus- und Ehefrau von ihr erwartet wird. Aber auch der arbeitssüchtige Ehemann ist verloren, zwischen seiner Arbeit und dem Fernseher. Auch sein Gesicht sucht Halt, weiß nicht wer oder was es sein soll.

„Wenn ich aufpasste, konnte ich beobachten, dass das Gesicht meines Mannes sich je nach Situation veränderte. In Gegenwart anderer wahrte es sein gewöhnliches Aussehen, doch kaum waren wir allein, lösten sich seine Züge auf und Augen und Nase verrutschten. Der Unterschied betrug nur einen oder zwei Millimeter, und hätte ich nicht genau hingesehen, hätte ich es wahrscheinlich nicht einmal bemerkt. Die Veränderung war nicht greifbar, seine Umrisse verschwammen wie ein Spiegelbild im Wasser."

Ein Buch, das man nicht nur ins Fitnessstudio zum Pumpen mitnehmen kann.

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