Der Olympische Geist
Eine Kolumne von Todor Ovtcharov
Endlich gibt es wieder Olympische Spiele. Man könnte weinen vor lauter Freude. Ohne Publikum in den Stadien, aber mit Milliarden Zuschauer*innen vor den Fernsehern. Und jede*r fühlt sich ein bisschen stolz, wenn Sportler*innen des eigenen Landes Medaillen gewinnen. Während das für China, die USA oder Russland bereits Routine ist, ist der Medaillengewinn für kleiner Länder ein Grund für echte Freude.
Stellt euch mal vor, was eine olympische Goldmedaille für den Kosovo bedeutet. Ein junges Land kann sich wirklich bestätigt fühlen. Bei den Olympischen Spielen können Vertreter*innen von kleinen Ländern stolz und laut in ihrer Sprache sprechen. Alle kennen die Landeshymnen der großen Mächte, doch wenn die Bundeshymne von Usbekistan erklingt, hören alle zu. Ein Usbeke hat Gold im Taekwondo gewonnen. Die Welt ist kleiner geworden, aber der Sport öffnet uns Türen, die sonst verschlossen geblieben wären.
Ihr habt euch sicherlich auch gefreut über die österreichische Radfahrerin, die als absolute Außenseiterin Gold gewann. Ihr habt sie alle gesehen, wie sie am Ende ihrer Kräfte hinter der Ziellinie gelegen ist und habt euch stark gefühlt. Ich habe mich auch gefreut und sogar geweint. Eine Freundin von mir meinte, ich habe mich schon so gut in Österreich integriert, ich lebe ja bereits seit zweit Jahrzehnten hier. Ich wäre jetzt reif für die österreichische Staatsbürgerschaft.
Ich dachte darüber nach und es fiel mir ein, dass ich auch für die Südkoreanischen Bogenschützen geweint habe, die immer das Ziel getroffen haben. Und in Südkorea war ich noch kein einziges Mal. Warum habe ich dann auch für sie geweint? Es ist mir egal, wo die Medaillengewinner geboren sind, ich glaube an der Olympischen Idee. Das kann man nicht erklären. Lebt mit dem Olympischen Geist, liebe Hörerinnen und Hörer. Denn er macht uns netter, wenn nur bis zum Ende der Spiele.
Publiziert am 28.07.2021