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Portrait Kampfsportweltmeister Ronny Kokert und Gründer der "Freedom Fighters"

Lukas Beck

Von Geflüchteten lernen, anzukommen

Wenn das Trainieren von Kriegsflüchtlingen das eigene Leben verändert. Kampfsportweltmeister Ronny Kokerts Buch „Der Weg der Freiheit“ ist ein spannendes und hoffnungsvolles Buch über Mut, Überwindung von Angst und gelungene Integration.

Von Andreas Gstettner-Brugger

Mit einem strahlenden Lächeln begrüßt mich Ronny Kokert. Er ist voller Energie und Tatendrang, mit wachem Blick und einer offenen Haltung. Er freut sich, über sein Projekt „Freedom Fighters“ zu erzählen, bei dem er geflüchteten Jugendlichen seine Kampfsportart „Shinergy“ beibringen kann, um sie für das Leben zu wappnen.

Eines stellt er gleich zu Beginn klar: Ihm geht es mit seinem Buch „Der Weg der Freiheit“ darum, die Geschichten der Geflüchteten, die er trainiert, zu erzählen. Er möchte den reinen Zahlen von Flüchtlingen die menschlichen Gesichter gegenüberstellen und das Bild, sie seien „gefährlich“ oder gar "kriminell“, zurechtrücken, das in der medialen Berichterstattung und von populistischen Politiker*innen oft verbreitet wird.

So voller Leben und Energie, so erfüllt von seiner Tätigkeit war Ronny Kokert nicht immer. Der Weg zu dem Punkt, wo er jetzt steht, hat vor vielen Jahren begonnen. Aus einer persönlichen Krise heraus.

Buch Cover Ronny Kokert "Der Weg der Freiheit"

Kremayr & Scheriau Verlag

„Der Weg der Freiheit“ von Ronny Kokert ist im Verlag Kremayr & Scheriau erschienen.

Vom leistungsorientierten Einzelkämpfer zum mitfühlenden Miteinander

Ronny Kokert hatte alles. Er erfüllte sich seinen Kindheitstraum und wurde Taekwondo-Weltmeister, entwickelte seine eigene Kampfsportausbildung Shinergy und eröffnete ein großes Trainingszentrum in Wien. Er coachte Sportler*innen und Unternehmen, lebte in einer großen Wohnung und hatte eine glückliche Familie. Doch in seinem Inneren sah die Welt anders aus.

„Die hohen Mietkosten, die Gehälter und zu wenig Mitglieder - ich jonglierte Millionen. Und dennoch hatte ich nichts. Außer der ständigen Furcht, zu scheitern. Nichts mit Freiheit. Nichts mit Freude. Angst und Burnout hießen meine Begleiter. Ich kämpfte wie besessen. Gegen Konkurrenten, Stress und Zweifel. Und gegen mich selbst.“

Bis er eines Morgens einen Artikel über die schlimmen Zustände für die Geflüchteten an unseren Grenzen und in dem Lager in Traiskirchen liest. Also entschließt er sich zu helfen. Auf einem Feld in der Nähe des Lagers sitzt er mit geflüchteten Jugendlichen zusammen und sieht in ihren Augen „das Kämpferherz und den Willen und Mut zur Veränderung“, wie Ronny es so schön ausdrückt. So gründet er 2016 das Projekt der „Freedom Fighters“ und unterrichtet fortan Flüchtlinge in seiner achtsamen und respektvollen Kampfkunst.

Er konnte damals noch nicht wissen, wohin ihn dieses Projekt führen wird und welche unglaublichen Geschichten sich entfalten werden. In seinem Buch „Der Weg der Freiheit“ zeichnet Ronny Kokert auf sehr ehrliche Art den steinigen und gleichzeitig erfüllenden Weg nach, den er mit seinen „Freedom Fighters“ gegangen ist, und stellt dabei die Geschichten von vier Geflüchteten in den Mittelpunkt.

Andreas Gstettner-Brugger und Ronny Kokert

Radio FM4

Das Überwinden von Wut, Angst und Traumata

Wie die Geschichte von Abbas Salih, der die Ermordung seines Vaters miterlebt und aus dem Irak flüchtet. Auf der gefährlichen Reise hilft er seinem gehbehinderten Cousin zu überleben und schafft es mit ihm bis nach Österreich. Hier absolviert er das Training mit Ronny Kokert, heiratet seine Frau, wird Fahrradmechaniker und 2019 Weltmeister im Kickboxen.

Berührend und beeindruckend ist auch die Geschichte von Ismail Noori, der unter den Trümmern seines zerbombten Elternhauses überlebt und über das Mittelmeer flüchtet, in dem er zweimal fast ertrinkt. Mit Schleppern schafft er es nach Österreich, wo er als 16-Jähriger beginnt, mit den Freedom Fighters zu trainieren. Seine Kreativität, seine Leichtigkeit und sein gewitzter, spielerischer Zugang verhelfen Ismail trotz Asthma-Beschwerden zum Staatsmeistertitel. Darüber hinaus erfüllt er sich seinen Traum und wird Profikoch.

Anfänglich scheint es paradox, traumatisierten Kriegsflüchtlingen eine Kampfkunst beizubringen. Doch für Ronny Kokert ist es ein guter Weg zu innerer Weiterentwicklung und einer gelungenen Integration.

Ronny Kokert: „Der Wert der Kampfkunst liegt darin, dass man den Bereichen des Mensch-Seins, der Wut, der Angst und der Aggression Raum gibt, sie bewusst macht und auslebt und die Möglichkeit schafft, sie zu integrieren, konstruktiv damit umgehen zu lernen.“

Statt die Gefühle zu unterdrücken, bis sie sich irgendwann in einer explosiven Art den Weg an die Oberfläche bahnen und Schaden und Leid anrichten, wird bei der Shinergy-Methode durch Achtsamkeit und durch einen respektvollen Umgang mit sich und seinen Gegnern diesen Gefühlen in einem klar definierten und sicheren Rahmen Ausdruck verliehen. So versteht sich auch das Motto:

Kämpfen zu können bedeutet, nicht mehr kämpfen zu müssen

Ronny Kokert: „Ziel der Kampfkunst ist der Frieden. Das klingt widersprüchlich, ist aber im Polaritätsprinzip begründet, dass das eine immer auch das andere bedingt. Wenn man mit einem Teil der Persönlichkeit umgehen lernen will, dann muss man sich damit konfrontieren. Letztendlich geht es darum, dich selbst zu erkennen, den Gegner zu erkennen und in weiterer Folge dich im Gegner zu erkennen. Denn jeder äußere Konflikt und Widerstand spiegelt immer nur einen inneren Konflikt, den du auflösen kannst und aus dem Gegeneinander ein Miteinander zu üben schaffst.“

Die Philosophie des Talmuds hat sich auch Ronny Kokert zu eigen gemacht. „Wer ein einzelnes Leben rettet, rettet die ganze Welt“ - dieser Satz ist sein Motor, sein Antrieb, auf den er zurückgreifen kann, selbst wenn er niedergeschlagen und traurig in einem Hotel in der Nähe des Flüchtlingslagers auf Lesbos sitzt. Denn Ronny Kokerts Engagement geht über das Trainieren von Geflüchteten in Österreich weit hinaus. Er hat sich öfter in das Flüchtlingslager von Moria geschummelt, um dort Spenden zu übergeben, um mit Flüchtlingen dort zu trainieren, er hat von dort auch für den ORF berichtet und sich Gefahr ausgesetzt, als er versteckte Aufnahmen gemacht hat, um sie uns allen zu zeigen.

„Der Weg der Freiheit“ ist ein immens wichtiges Buch in einer Zeit, die geprägt ist von Selbstoptimierung, Abschottungspolitik, Spaltung der Gesellschaft und aus Überforderung resultierendem Egozentrismus. Das eigene Herz zu öffnen, macht verletzlich. Deshalb ist sich verteidigen zu können so wichtig, um offen durch die Welt gehen zu können. Das zeigt sich auch in „Der Weg der Freiheit“. Wir alle fechten Kämpfe aus. Ronny Kokert und seine Mannschaft haben sich gegen Anfeindungen, Drohungen, Verunglimpfungen durch populistische Politiker und rassistische Mitmenschen verteidigen müssen, kämpften gegen ignorante und voreingenommene Beamte bei Asylentscheidungen und mussten sich gleichzeitig mit den eigenen, inneren Schattenseiten auseinandersetzen.

Tipp:
Ronny Kokert liest aus seinem Buch „Der Weg der Freiheit“ am 15.9. ab 19:00 Uhr in der Thalia Filiale Mariahilfer Straße in Wien.

Mit klarem Geist ganz im Hier und Jetzt verankert zu sein und sich mit Mitgefühl um das Leben anderer und das eigene zu kümmern, hat nicht nur den Geflüchteten geholfen, ihre schweren Prüfungen zu bestehen, sondern auch Ronny Kokert zu einem sinnerfüllten Leben verholfen.

Ronny Kokert: „Ich habe sie das Kämpfen gelehrt, um nicht mehr kämpfen zu müssen, und sie haben mich das Leben gelehrt, um nicht mehr leben zu müssen, sondern mit voller Kraft und Freude leben zu dürfen. Die Freedom Fighters zeichnen sich durch ihre Sensibilität, den respektvollen Umgang miteinander, Höflichkeit, Dankbarkeit und Bescheidenheit aus. Mir war wichtig, das aufzuzeigen und klar zu machen, worauf es ankommt. Es gibt unzählige Lebenshilferatgeber, aber von wem wollen wir besser lernen, wie wir mit Schicksalsschlägen und Veränderungen umgehen können, als von jungen Menschen, die alles verloren haben, hier angekommen sind in der Freiheit und sich aus eigener Kraft alles neu aufgebaut haben. Wir können so viel profitieren von den Geflüchteten, die durch lebensbedrohliche Situationen und Unsicherheiten gegangen sind und sich hier mit ihrem Mut und ihrer Verletzlichkeit zeigen. Es erfüllt mich und, ich glaube, jeden Menschen mit Sinn, im Augenblick zu bleiben und zu sehen, dass dort, wo man helfen kann, man auch helfen soll. Jeder kann sich mit seinen Qualitäten einbringen. Ich weiß aus eigener Erfahrung, dass, wenn man sein Glück auch auf dem Glück der Mitmenschen aufbaut, es das eigene Leben erfüllter macht. Denn die Freiheit, die wir anderen Menschen zugestehen, die spüren wir dann auch in uns selbst.“

FM4 Interview Podcast

Ronny Kokert im Gespräch mit Andreas Gstettner-Brugger

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