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Publikum vor der Bühne

Eva Sutter

Wetter, Wurst, Voodoo und 3G

Eindrücke vom Szene Openair in Lustenau

Von Susi Ondrušová

Fast hätte ich es vergessen, aber zu einer Zeit, als ich im Jahr an die 10 Festivals im Jahr besucht habe, war meine erste Standardfrage beim Rundgang über das Gelände und der dazugehörigen Umfrage fürs Radio: „Auf einer Skala von 1 bis 10: Wie betrunken bist du?“ Erfahrungsgemäß bedeutet eine Antwort „7“ und darüber hinaus, dass irgendwer auf eine Frage unbedingt in einem Nebensatz „Peeeenis“ einbauen wird (true story, keine Ahnung) oder anfängt, Alkoholsorten aufzuzählen (gestern passiert). Ich hätte mich über Besucher*innen in einem Tierkostüm gefreut, das war doch eine blasse Erinnerung an die Zeit vor Corona, aber jetzt: viel Radlerhosen-Liebe und Euphorie. Flunkyball, Trichter, Dosenbier, Festivalbändchen, Pfandbecher, Ladestationen fürs digitale Festivalgeldbörsl, Flipflops, Gummistiefel, T-Shirts der vergangenen Szene Openair Festivals. Ich war hier. Ich bin das erste Mal hier.

„Ja, uns ist kein anderes bekannt“, sagt Hannes Hagen, Veranstalter vom Szene Openair auf meine Frage, ob in Lustenau das einzige mehrtägige 3G-Festival in Österreich stattfindet. Das einzige mit Camping und mehr als 5.000 Menschen. Das Electric Love Ende des Monats ist auf 10.000 Besucher*innen pro Tag ausgelegt, wird aber ohne Camping stattfinden. Das FM4 Frequency Festival wurde im Juni trotz PCR-Test-only-Präventionskonzept von der Stadt St.Pölten abgesagt. Der erste Tag am Szene Openair mit Bands wie Black Sea Dahu, Lisa Pac oder Parov Stelar ist ungewöhnlich, das Gefühl, das erste Mal in einer großen Menschenmenge zu stehen, ein mulmiges. Man kann die letzten Monate der Übervorsichtigkeit nicht wegblenden und einfach so vergessen machen. „Fix wird es ein Cluster geben“, sagt ein Besucher, den ich von weitem schon beäugt habe (Schätzung: Alkoholpegel höchstens 2), weil er wie ich als einziger weit und breit eine Maske während dem Yung-Hurn-Konzert trägt.

Menschen im Regen

Eva Sutter

„Die Leute sind hungrig auf Kultur, auf die Acts, auf Camping, auf alles sind sie hungrig. Wir haben 99,9 Prozent Leute, bei denen klappt 3G einfach, und es funktioniert!“ sagt Hannes Hagen. Das Sicherheitskonzept am Szene Openair lautet: 3G. Philipp Ober ist Corona-Beauftragter am Festival in Lustenau und ergänzt, auf meine Frage, was mit den restlichen 0,1 Prozent ist: „Es war wirklich jeder Besucher vorbereitet, man kennt es eh aus dem normalen, alltäglichen Leben. Es geht nichts mehr ohne Test, ohne Impfung. Ja, es hat wirklich sensationell gut funktioniert, wie die Leute vorbereitet waren. Wir nehmen alle Kontaktdaten von den Besucher*innen auf und über diese Telefonnummer kann die Behörde die Besucher*innen erreichen. An der ‚Außenhaut‘ vom Gelände gibt’s einen 3G-Check, damit man grundsätzlich in die Camping-Bereiche hereinkommt. Und dann ist das nochmal unterteilt in das Kerngelände, da sind die beiden Hauptbühnen, und auf dem Campingplatz sind die Tagesbühnen, da gibt’s auch einen 3G-Check. Es gibt diese drei Stellen. Wenn ein Besucher über den Haupteingang reinkommt als Tagesgast, dann braucht er einmal durch den 3G-Check und kommt direkt auf das Kerngelände. Oder man geht mit 3G-Check auf den Campingplatz und braucht dann erneut einen 3G-Check, um ins Kerngelände zurückzukommen.“ Mit 7.000 Besucher*innen haben die Veranstalter heuer weniger Tickets aufgelegt als noch 2019: „Um den Druck vom Gelände zu nehmen, um den Druck vom Eingang zu nehmen“, sagt Hannes Hagen.

3G-Kontrolle am Eingang

Eva Sutter

Warteschlangen und Wartezeiten bei den Einlassstellen existieren natürlich. Wartegefühl ist aber relativ: „Wir hatten jetzt zwei Jahre lang nichts, worüber wir uns freuen konnten, in dem Aspekt, wie es hier gerade stattfindet. Wir sind am Zenit unserer Jugend und die wollen wir auch ein Stück weit genießen“, erzählt mir ein Festivalbesucher mit Tagespass. „Ich hab nicht wirklich Angst, aber rational denkend sollte ich vermutlich nicht hier sein.“ Eine andere Besucherin wusste lange gar nicht, ob sie überhaupt kommt: „Ob ich es schaffe, also wegen der Angst vor Menschen.“ Die Kontrollen und 3G-Checks geben den Festivalfans ein Gefühl der Sicherheit und Kontrolle: „Man wird echt gründlich kontrolliert und genauso muss es sein, so können wir ein bisschen näher zur alten Normalität zurück. Wenn es das einzige ist, was man braucht, dass alle 3G sein müssen, dann können wir das alle machen, denke ich.“ Ob sie nach dem Festivalausflug, wenn sie am Sonntag heimkommt, zur Sicherheit einen Test machen wird? Ja, meint sie, wobei: „Das PCR-Angebot ist in Vorarlberg so naja. Ich mache zu Hause einen Wohnzimmertest und werde dann auch einen Antigen-Test machen.“

Voodoo Jürgens

Rafael S. Roman

Sollte am Festival jemand mit Symptomen aufwachen oder sich unwohl fühlen, sind die 3G Clearing Points im Campingbereich und beim Haupteingang die erste Anlaufstelle. „Oder die Gesundheitshotline 1450“, sagt Philipp, der oberste Corona-Beauftragte am Szene Openair: „Bei den Clearing Points werden wir grundsätzlich einen Test machen, dann mit der Behörde in Kontakt treten und mit dem Infektionsteam der Bezirkshauptmannschaft weitersehen, wie die weitere Vorgehensweise ist.“

Die große Frage ist allerdings, wie sehr die Besucher*innen auf sich selbst und ihre Freund*innen aufpassen, an einem Ort, an dem es darum geht, abzuschalten und den Alltag zu vergessen. Ein negatives Antigen-Testergebnis vom Donnerstag kann bis zum nächsten Test am Freitag positiv sein. Die Eigenverantwortung und Vorsicht, die ein Corona-Alltag braucht, ist nicht ganz kompatibel mit der Idee des „ausgelassen Feierns“. Es ist Festivalneuland, das organisatorisch heuer am Szene Openair betreten wird, und emotionales Neuland für die Besucher*innen. Veranstalter Hannes Hagen auf die Frage, ab wann die 3G-Ausgabe vom Szene Openair ein Erfolg ist: „Wenn alle Bands gespielt haben und wenn alle gesund zu Hause angekommen sind.“ Bis Samstagnachmittag sind den Veranstaltern keine Infektionen am Festivalgelände gemeldet worden. Das Covid-19-Dashboard der Vorarlberger Landesregierung
wird übers Wochenende nicht aktualisiert, sondern erst am Montag. Wobei Besucher*innen hier natürlich aus allen Bundesländern und den umliegenden Nachbarländern anreisen.

Wurst

Rafael S. Roman

Neben Corona ist das zweite dominante Thema am Festival das Wetter: Beim Late-Nite-Auftritt von WURST gießt es in Strömen. Eine Menschentraube mit sowohl Ponchos als auch „Jetzt ist es auch schon egal“-Kleidungsstatus bleibt vor der Bühne positioniert und darf sich über die perfekte (Regen-)Nummer freuen - ein Cover von Princes „Purple Rain“. Neben Songs aus dem WURST-Album „Truth Over Magnitude“ und der aktuellen Single „Malebu“ gibt es als Zugabe auch „Rise Like A Phoenix“, begleitet von der Akustikgitarre, zu hören.

Geregnet hat es auch beim Konzert von Voodoo Jürgens am späten Nachmittag, sein Konzert musste allerdings nach nur drei Songs abgebrochen werden: „Wir haben gediegen begonnen und wir wären an dem Punkt gewesen, wo wir loslegen, und genau in dem Moment ist dann klar gewesen, hey, es kommt der ärgste Regen und wir müssen jetzt sofort von der Bühne.“

Nachdem viele der auftretenden Bands die Konzerten und Festivals arme Corona-Zeit auf der Bühne zwischen ihren Songs thematisieren und sich freuen, vor einem stehenden Publikum ohne Maske auftreten zu können, frage ich auch Voodoo Jürgens, ob er eine ähnliche Bühnenansage parat hatte, die er beim Interview loswerden möchte: „Ich hab überlegt, ob ich etwas dazusagen soll, und hab mir gedacht, ich spare es mir! Es ist so absurd, als wir hergefahren sind, haben wir über Kroatien geredet, wo die Leute in Clustern zurückreisen. So schön es ist, wieder zu spielen, und so wichtig es für uns ist. Für mich waren die letzten eineinhalb Jahre schwer auch und ich hab schon sehr gekämpft damit, ‚was tu ich jetzt?‘ Was ich am liebsten sagen würd, vielleicht, ist: Die Leute sollen impfen gehen, dass die Scheiße vorbei ist! Und das klingt ein bisschen wie ein Bremser, den man jetzt nicht so auf einem Festival sagen muss oder will. Aber das wär, glaub ich, das Wichtigste!“

Voodoo Jürgens

Rafael S. Roman

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