FM4-Logo

jetzt live:

Aktueller Musiktitel:

Bühne mit Gesprächsrunde

Philipp Bohar

Momentum?!

Um den Begriff des Momentums dreht sich das Diskursprogramm des im Vorfeld zweimal verschobenen Elevate Festivals 2021 in Graz. Brian Eno, dessen Installation „77 Million Paintings“ derzeit im Dom im Berg zu sehen ist, ist am Sonntagnachmittag in einem Livegespräch zu sehen.

Von Natalie Brunner

Das Momentum - ist es ein physikalischer, zeitlicher, kultureller Begriff? Was ist ein Momentum? Wodurch unterscheidet sich dieser Begriff von der reinen Zeitlichkeit des Moments? Vielleicht ist es der Moment, wo uns im Angesicht der Krise und der mit ihr kommenden Angst klar wird, dass wir handeln müssen, nicht, um unsere Zukunft zu gestalten, sondern um überhaupt eine Zukunft zu haben. Ist es ein Momentum, wenn wir verstehen, dass ein Geisteszustand, in dem wir geglaubt haben, Vertrauen in den Lauf der Dinge haben zu können, vorbei ist? Trägt ein Momentum eine Aufforderung in sich?

Bernhard Steirer vom Elevate Festival darüber, warum in diesem Jahr „Momentum“ als Leitbegriff des Festivals gewählt worden ist: „Wir haben früh entdeckt, dass wir nicht über die Pandemie sprechen werden können, und haben dann nach einer Begrifflichkeit gesucht, die sich mit den Auswirkungen der Pandemie in verschiedenen Bereichen beschäftigen kann und andere Themen aber auch nicht ausschließt. So sind wir zu diesem Begriff gekommen. Weil in der Tat haben sich durch diese Pandemie sehr viele Verschiebungen entwickelt, im Bereich Digitales, Homeschooling, Videokonferenzen oder auch die Art, wie man miteinander kommuniziert, und andererseits gibt es Themen, wo das Momentum ein bisschen abhandengekommen ist, Stichwort Klimawandel. Mit diesen Dynamiken wollten wir uns im big picture beschäftigen und sind so zu diesem Begriff gekommen. Momentum hat immer mit Zeit zu tun, und es ist bei sehr vielen Dingen so: Wenn man in irgendeiner Weise Relevanz haben will, eine kritische Masse entwickeln möchte, das richtige Timing, ist die richtige Idee entscheidend. Zu guter Letzt ist es ja auch das, was wir mit einem Festival erreichen möchten, was bei Veranstaltungen immer passieren muss, ein Momentum zu entwickeln. Das heißt, dass wir versuchen, möglichst viele Menschen zusammenzubringen und auch das Publikum mitzuziehen.“

Momentum und Krise

In ihrem Talk sprach die Philosophin Ariadne von Schirach über die „Krise“, ein Wort, das aus dem Griechischen kommt und Zuspitzung bedeutet. Unsere Spezies habe ein Identitätsproblem und die Krise tobe heftig auf zwei Schauplätzen. Zum einen „geht es um strukturellen Rassismus und Bewegungen wie BLM. Es geht aber auch um Sexismus und die Tatsache, dass Frauen in Deutschland und Österreich immer noch weniger verdienen als Männer. Und es geht um die Anerkennung queerer und diverser Lebensformen, ob Transpersonen oder Menschen ohne eindeutiges Geschlecht. Und hinter all dem geht es um die Rechte derer die keine Stimme haben, um ihre Rechte einzuklagen – Geflüchtete, Ausgebeutete, Menschen im Krieg“. Der zweite Schauplatz, so Ariadne von Schirach, sei jener der Ausbeutung, die unsere Spezies an allen Formen des Lebens, den Ressourcen und am globalen Ökosystem betreibt.

Wie wir im Angesicht dessen unsere Zeit nützen, in welche Richtung wir steuern - vielleicht umreißt das die Bedeutung und die Aufgaben, mit der der Begriff Momentum uns konfrontiert. Was wollen wir tun? Was sollen wir tun, was können wir tun?

Auf der Suche nach Freiräumen

Am Freitag am Nachmittag ging es um das Thema Clubkultur. David Prieth, in Innsbruck lebender Kulturarbeiter, Aktivist, Künstler und Veranstalter, Geschäftsführer des PMK und Obmann der Innsbruck Club Commission, sprach mit Dimitri Hegemann, einem Pionier der Clubkultur und Gründer des Tresor Clubs Berlin, und Martina Brunner von der Vienna Club Commission.

Dimitri Hegemann definierte in seiner Erzählung über Berlin in den frühen 90ern als ein besonderes Momentum den Zeitpunkt nach dem Mauerfall, als es viele Freiräume in der Stadt gab, die für Clubkultur genutzt wurden, und die Menschen inspiriert und motiviert aus der Nacht gekommen seien. Clubs seien im Unterschied zu Diskotheken Räume, die katalytische und therapeutische Wirkung haben könnten, meint Hegemann. „Gib der Jugend ihren Raum zum Experimentieren” ist der Gedanke, der seiner Initiative Happy Locals zugrunde liegt. Damit will Hegemann an Orten mit weniger als 100.000 Einwohner*innen langfristig dezentrale Kulturarbeit in Gang bringen, um der Abwanderung in Ballungszentren entgegenzuwirken.

Das Zeitempfinden aushebeln zu können ist eine Qualität der Installation „77 Million Paintings“ von Brian Eno, die im Rahmen des Elevate Festivals im Dom im Berg zu sehen ist. Auf den großen Floor des Dom im Berg - normalerweise die Hauptbühne des Festivals - ist ein Birkenwald gesetzt worden, der den Rahmen für die zu einem Stern angeordneten digitalen Bilder von Eno bildet. Es sind abstrakte Bilder, die sich nach dem Zufallsprinzip ständig neu zusammensetzen und mit dem Ambient-Soundtrack interagieren. Brian Eno spricht am Sonntag um 17.30 Uhr mit Johnny Bliss. Dieser Talk wird wie alle anderen Diskursveranstaltungen auf elevate.at/live gestreamt und ist in weiterer Folge auf der Webseite des Elevate on demand verfügbar.

Aktuell: