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Wien bei Nacht

CC0 / Julius Silver

mit akzent

Wien ist weder Gotham City noch Chicago, sondern eher langweilig

Ich habe gestern folgendem Gespräch in der U-Bahn gelauscht: Menschen, die vom Land kommen, beschwerten sich über die öffentlichen Verkehrsmittel in Wien. Sie sprachen laut, als ob sie alleine im Zug säßen.

Eine Kolumne von Todor Ovtcharov

Eine Frau um die 40 fand die U-Bahn dreckig und zeigte auf die Decke, wo sie einen Fußabdruck zu sehen glaubte. Ich sah mir den Fleck an. Das war wahrscheinlich nur ein Schatten, aber die Dame war sich sicher, dass es ein Fußabdruck sei. In ihrer Fantasie spielten sich in diesem Zug Orgien ab, die alles auf Kopf stellen. Sie und ihr Gesprächspartner, ein Mann Mitte 40, musterten alle Fahrgäste und sahen in ihnen die Teilnehmer dieser Orgien.

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Der junge Mann mit Kopfhörern sei sicher einer, der Rapmusik hört, wo Sex, Drogen und Gewalt verherrlicht werden. Der junge Mann bewegte seine Lippen und niemand stellte sich vor, dass er womöglich für eine Lateinprüfung lernte und irreguläre Verben übte.

Danach kommentierten die beiden Fahrgäste ein junges Mädchen mit Kopftuch, das ein Buch las. Das sei wohl eine fanatische Islamistin, die in der U Bahn den Koran auswendig lernt.

Mehrere Stationen lang kommentierten die Herrschaften Wien, das in ihren Augen dreckig, laut, unfreundlich und voller komischer Menschen ist. Etwas zwischen Gotham City und Chicago der 1920er Jahre. Die zwei wollten so schnell wie möglich aus der Großstadt raus.

Ab und zu schauten sie auch mich an, vielleicht weil ich das repräsentiere, wovor sie Angst haben und an der Stadt nicht mögen. Im Unterschied zu ihnen finde ich, dass Wien eher langweilig, steril und konservativ ist im Vergleich mit anderen Städten in Europa. Auch die Öffis sind sauber, pünktlich und fad. Zum Glück ist die Stadt nicht so groß und die zwei stiegen schnell aus. Der junge Mann mit den Kopfhörern stieg auch aus. Er hörte tatsächlich Rapmusik. Das ist aber nicht so schlimm, oder?

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