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Zwei ängstliche junge Menschen in einer Höhle

Universal Pictures

FILMPODCAST

„Old“ und die Welt des M. Night Shyamalan

Auch in seinem neuen Film macht sich der US-Regisseur auf die Suche nach dem Unheimlichen. Twists inklusive. Im FM4 Filmpodcast folgen wir seinen Spuren.

Von Christian Fuchs

Ungefähr zur Mitte dieses Films denkt man: Diesmal hat sich M. Night Shyamalan selbst übertroffen. Während Hollywood weiterhin überwiegend auf Sequels, Prequels und aufgeblasene Blockbuster setzt, ist alles an „Old“ originell. Die ungewöhnliche Besetzung, die innovative Kameraführung, vor allem die bizarre Geschichte.

In einem Luxusresort auf einer paradiesischen Insel bekommen einige Gäste einen Spezialtipp: Ein abgelegener Strand soll für die ultimative Relaxtheit sorgen. Ganz so einsam geht es in der Felsenbucht aber nicht zu, Grüppchen unterschiedlichster Urlauber*innen treffen aufeinander. Gemeinsam machen die Tourist*innen eine schreckliche Erfahrung: Die Zeit verläuft rasend schnell auf dem Strand. Aus Kindern werden in wenigen Stunden Teenager.

Zwei ernste junge Menschen an einem Strand

Universal Pictures

„Old“

Am Ende von „Old“ stellt sich leider Enttäuschung ein. Schade, ein Meisterwerk des Mysterygenres ist es dann doch nicht geworden. Wie schon öfter bei Mr. Shyamalan wird das letzte Drittel nicht dem aufregenden Film davor gerecht. Aber egal, sage ich, auch wenn mir Kollege Jan Hestmann im neuen FM4 Filmpodcast vehement widerspricht. Wenn ein Regisseur das Geheimnis so virtuos aufbaut, dann kann die Auflösung ohnehin nur eine Enttäuschung sein.

Schräge Perspektiven, verstörende Bilder

Vielleicht muss man sich aber nur von der ganzen Geheimniskrämerei lösen, mit der die Filme von M. Night Shyamalan verbunden sind. Rein schauspielerisch ist „Old“ nämlich beeindruckend. Vicky Krieps („Phantom Thread“), Abbey Lee („The Neon Demon“), Thomasin McKenzie („JoJo Rabitt“) und Alex Wolff („Hereditary“) gehören zu dem fantastischen Ensemble wie aus einem surrealen Agatha-Christie-Movie, einzig Gael García Bernal agiert komplett auf Autopilot.

Hinter den schrägen Perspektiven und verstörenden Bildern von Ausnahmekameramann Mike Gioulakis („It Follows“) steckt auch eine dunkle Reflexion über das Altwerden und den Verfall. Allein dafür muss man Shyamalan danken.

Ein älterer Mann mit verschmutztem Gesicht schaut fassungslos

Universal Pictures

Ich persönlich bin dem Regisseur aber ohnehin seit Jahrzehnten verbunden, gelingt ihm doch etwas besonders Rares in seinen Filmen. Der in Indien geborene und in Pennsylvania aufgewachsene M. Night Shyamalan macht sich ernsthaft auf die Suche nach dem Unheimlichen im Kino. Ich rede nicht von Horrorfilmklischees, plakativen Jump-Scares oder grellen Splatter-Schocks. Shyamalan schafft es mit weitaus zurückhaltenderen Mitteln, heftig zu gruseln, und erwischt dabei auch einen abgebrühten Genrekenner wie meine Wenigkeit eiskalt.

Grandiose Gänsehautmomente und leere Versprechungen

Beeinflusst von seinen Idolen Alfred Hitchcock und Steven Spielberg ist es dem Filmemacher gelungen, eine eigene Sprache des subtilen Schreckens zu entwickeln. Eingebaut sind all die grandiosen Gänsehautmomente aber in Handlungsgerüste, die gegen Ende oft einbrechen. So bleibt statt echten Suspense-Klassikern oft, zugegeben, ein Kino der leeren Versprechungen übrig.

Die beklemmende Stimmung von „Signs“ löst sich in billigen X-Files-Zitaten und einer Überdosis religiösem Kitsch auf. Die Aura des Apokalyptischen weicht in „The Happening“ der peinlichen Berühmtheit. Sogar sein doomiger Hollywood-Durchbruchsfilm „The Sixth Sense“ krankt an manchen schwulstigen Szenen. Und „Old“ sabotiert die aufgebaute dringliche Atmosphäre in den letzten 20 Minuten mit einer aufgesetzten Wendung.

The Village“ heißt noch immer der makelloseste Film in Shyamalas Werk. Nicht nur punkto Spannung, der historische Thriller hat auch einen Subtext anzubieten, der tiefer geht als die Holzhammerbotschaften seiner frühen Erfolgsfilme.

Eine junge Frau steht in einer Tür und reicht jemandem die Hand

Disney

„The Village“

Unschuld und Gewalt, Angst und Panikmache

Im Zentrum dieses langsamen Films, in dem man sich verlieren kann, voller hypnotischer Kamerafahrten und spooky Soundeffekte, malerischer Farben und ausdrucksvoller Gesichter, steht ein isoliertes amerikanisches Dorf. Irgendwann im 19. Jahrhundert leben die Bewohner*innen völlig abgeschottet am Rand eines dunklen Waldes.

Was dort drinnen in der Finsternis lauert, hält auch die neugierige Dorfjugend von eventuellen Streifzügen in umliegende Städte ab. „Ones we cannot speak of“ werden die Kreaturen flüsternd genannt, wer ihnen in die Klauen gerät, erzählen die Dorfältesten, ist verloren.

Ein junger Mann mit einem Kapuzenmantel steht im Wald und streicht mit einem Pinsel Farbe auf einen Baumstamm

Disney

Irgendwann könnte sich „The Village“ zu einem abgedroschenen Monstermovie wandeln. M. Night Shyamalan bleibt aber so lange wie möglich dem schleichenden Grauen alter Gothic Novels treu, und wenn man dann das Ende längst ahnt, wird es vom Regisseur doch in einer Weise exekutiert, die unter die Haut geht. Letztlich wandelt sich „The Village“ zu einer noch immer topaktuellen Untersuchung über Unschuld und Gewalt, über Religion und Panikmache, über Angst, die eine Gesellschaft antreibt.

Metakommentar zum Comic-Kino-Trend

Umwerfend in ihrer Gesamtheit ist auch die Superheldentrilogie von M. Night Shyamalan. Die beginnt im Jahr 2000 mit „Unbreakable“ und - wie so oft im Schaffen des Regisseurs - einem Rätsel.

Millionen Kinogeher*innen in aller Welt können es damals nicht erwarten zu erfahren, warum Bruce Willis als einziger in dem geschickt beworbenen Thriller ein katastrophales Zugunglück überlebt. Nur ein von Samuel L. Jackson gespielter Comic-Spezialist, der an einer unheilbaren Knochenkrankheit leidet, scheint mehr über den Unfall zu wissen. Am Schluss sind manche Zuseher*innen enttäuscht. „Unbreakable“ entpuppt sich nämlich einfach als düstere Hommage an die Superheldenhefte, die in der Kindheit des Regisseurs zentraler Lesestoff waren.

Drei Menschen bei einer Gruppentherapie, einer ist angekettet, einer sitzt im Rollstuhl

Disney

„Glass“

2016 präsentiert M. Night Shyamalan einen überaus gefinkelten Psychothriller namens „Split“ rund um einen Entführer (James McAvoy) mit multipler Persönlichkeitsstörung. Erst in den letzten Minuten des cleveren Schockers erfahren wir, durch einen typischen Shyamalan-Twist, die Verbindung zu dem mittlerweile kultisch verehrten Frühwerk des Regisseurs. „Split“ erweist sich Dekaden später plötzlich als Sequel zu „Unbreakable“.

Im Nachfolgefilm „Glass“ entfaltet sich dann die volle Tragweite der Story. Die drei Filme wirken wie ein kluger Metakommentar zum Comic-Kino-Trend einerseits, funktionieren auf der anderen Seite aber auch für sich als emotional mitreißender Genrebeitrag. Die Bumm-Zack-Ästhetik von Marvel & Co. lässt sich M. Night Shyamalan jedenfalls bis zur letzten Minute und einem tollen Anti-Showdown nicht aufzwingen.

Dass Jan Hestmann, wie angedeutet, all meine Euphorie über den Regisseur nur stellenweise teilt, macht unser Filmpodcast-Gespräch vielleicht sogar spannender. Wir würden uns freuen, wenn ihr uns auf dem Weg durch gefährliche Wälder und dichte Maisfelder, auf die Dachböden schrulliger Großeltern und in schummrige Keller begleitet.

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