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„Crap“: Ein Liebesbrief an eine beschissene Gegend

West Virginia liegt in den Appalachen, einem Gebirgszug im Osten der USA. So ähnlich heißt der teilweise autobiografische Roman von Scott McClanahan im englischen Original: „Crappalachia“ (übersetzt etwa: Scheiß-Appalachen). Der Roman ist jetzt mit dem Titel „Crap“ auf Deutsch erschienen.

Von Diana Köhler

„Almost heaven, West Virginia“ – so beginnt das Lied „Country Roads“ von John Denver. West Virginia ist das Zuhause des Autors Scott McClanahan. Almost Heaven? „Naja“, würde der wohl darauf antworten.

Der Autor Scott McClanahan ist im deutschsprachigen Raum bekannt geworden durch seinen Roman „Sarah“. Dieser handelt von einer Scheidung und wurde schon in den USA hochgelobt. Scott McClanahan ist damit aus dem literarischen Underground aufgetaucht. Ins Deutsche übersetzt hat den ersten wie auch den neuen Roman Clemens Setz.

Kampf und Kohle

West Virginia ist bekannt als armes Kohlebergbaugebiet und die damit verbundenen „coal wars“, einem bewaffneten Kampf zwischen den Kohlefirmen und den Arbeiter*innen, die sich nicht weiter ausbeuten lassen wollten. Auch Scott McClanahan hat in der Schule vom Kohlebergbau in seinem Heimatbundesstaat gehört. Er schreibt dazu:

„Wir lernten etwas über die Katastrophe von Farmington. Die Frauen warteten auf ihre Männer, aber die kamen nicht mehr. Und die Bergbaufirma bezahlte die Männer hinterher nur für den halben Tag, da sie während der anderen Hälfte bereits tot gewesen waren. Ich lernte, dass das alles irgendwas beweist. Es beweist eine Sache. Nämlich, dass die armen Leute nicht besonders intelligent waren. Nur arme Leute können verzweifelt genug sein, um in irgendeinem Loch in der Erde zu arbeiten und auch noch Gott dafür zu danken, dass sie in einem Loch arbeiten dürfen.“

In West Virginia sterben mehr Menschen durch eine Überdosis Opioid-Schmerzmittel als sonst irgendwo in den USA. Für Donald Trump war West Virginia das zweitstärkste Bundesland bei seiner Wahl zum Präsidenten.

Cover: Crap

Ars Vivendi / Sarah Eschbach

„Crap“ von Scott McClanahan ist in einer Übersetzung von Clemens Setz erschienen.

Gegen das Vergessen

Dort wächst Scott McClanahan auf, bei seiner hypochondrischen Großmutter Ruby, die Fotografien von Toten sammelt und so oft vortäuscht, krank zu sein, bis auch die Rettung nicht mehr kommt, wenn sie anruft. Sein Onkel Nathan, spastisch gelähmt und der beste Damespieler weit und breit, wünscht sich nichts sehnlicher als eine Frau. Insgesamt hatte Scott McClanahan 12 Onkel und Tanten. Fünf von ihnen haben sich umgebracht, bevor er sie kennenlernen kann. Dann zieht Scott zu seinem zwangsneurotischen Freund Bill und seinen Freunden, mit denen er im Hinterhof Wrestlingturniere veranstaltet. Bill wiederholt wieder und immer wieder dieselbe Geschichte und zählt die Seehöhen der Berge auf, die er sieht. Am Ende sind viele der Menschen, die seinen Weg gekreuzt haben, tot, im Gefängnis oder einfach nur weg. Geistig oder räumlich. Scott McClanahan aber will sie mit diesem Buch festhalten, will sie nicht vergessen und nicht selbst vergessen werden.

"Mein Zuhause gab es nicht mehr. Also entschied ich mich, dieses Buch zu schreiben. Ich versuchte, mich an all die Menschen und Phantome zu erinnern, die ich je gekannt und geliebt hatte. Ich versuchte, sie dazu zu bringen, zu lachen und zu tanzen, sich zu bewegen und zu träumen, zu lieben und zu schauen. Ich fügte einige von ihnen zusammen und verquirlte unsere gemeinsamen Erlebnisse. Ich wollte sie zurück auf die Erde holen, aber ich schaffte es nicht.“

Biografie eines Ortes

„Crap“ ist ein verzweifelter Liebesbrief an ein Land und seine Menschen. Es ist eine Geschichte der Verlierer*innen, der mittellosen Arbeiter*innenschicht der USA, jener, die allzu schnell als besoffener „white trash“ abgestempelt werden. Scott McClanahan gibt ihnen ein Gesicht, beschreibt sie mit all ihren Liebenswürdigkeiten, aber auch Abgründen, ohne ihnen ihre Würde zu nehmen. Es ist ein sensibler und liebevoller, aber auch beinharter und grausamer Roman. Durch den wilden Schreibstil wird man durch den ganzen Roman geschoben und gestoßen und hin und her geschüttelt. Am Ende steht man mit dem Gefühl da, dass es nur einen Weg gibt, den man jetzt gehen sollte: Die Country Road natürlich, to the plaaaaaace I belooooong, West Virginiaaa…

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