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Blick auf Londoner Straße durch regennasses Fenster

Robert Rotifer

ROBERT ROTIFER

Back in the UK

Nach knapp drei Wochen Festland zum ersten Mal wieder in die Wahlheimat zurückgekehrt, mit allen dazu nötigen Papieren - über das heikle Zusammenspiel von Seuchenbekämpfung und restriktiver Einwanderungspolitik.

Eine Kolumne von Robert Rotifer

Am Ende war’s dann natürlich eine Antiklimax, wie so oft.

Ich hatte meinen Gurgeltest in Wien gemacht, gratis (danke, Wien!), das Impfzertifikat bereit, den Pass sowieso und dazu noch meine Passenger Locator Form, die auszufüllen mich ziemlich viel Nerven gekostet hatte.

Robert Rotifer moderiert FM4 Heartbeat und lebt seit 1997 in Großbritannien, erst in London, dann in Canterbury, jetzt beides.

Nachdem Österreich letzten Freitag, als ich ankam, noch als bernsteinfarbenes Land galt (gemäß der britischen Ampelsprache „red – amber – green“, seit Montag ist Österreich grün), brauchte ich dafür auch noch den Nachweis, einen „Day 2 Test“ gebucht zu haben, der nur privat und nicht übers staatliche Gesundheitssystem gemacht werden darf (danke, Vereinigtes Königinnenreich!).

Ich hatte sogar eigens einen Zugangscode eingeholt, mit dem man seinen leider nur online existierenden Nachweis eines Settled Status (also das Bleiberecht als EU-Bürger*in) abrufen kann. Nur zur Sicherheit, nach all den Horrorgeschichten, die ich gelesen hatte. Von jenen 3.294 EU-Bürger*innen, die allein bis Ende Mai schon bei der Grenzkontrolle zurück oder in Abschiebezentren geschickt wurden, weil sie den UK-Grenzer*innen nicht glaubhaft machen konnten, dass sie bleiben durften bzw. nicht unberechtigt zum Bleiben gekommen waren.

Kein Katzenjammer meinerseits, wir bekommen nach Jahrzehnten als Tifus’ Zuckerpüppchen - ja, Asterix-Zitat, never mind - erst ein klein bisschen was davon zu spüren, was Menschen aus anderen Teilen der Welt immer schon zu erdulden hatten.

Aber wie alle diese Schikanen betreffen sie echte Menschen im echten Leben, während jene Leute, für deren fremdenfeindliche Satisfaktion diese Gesetze stets weiter verschärft werden, ihrer gänzlich ungewahr in einer mythischen Scheinwelt weiterleben, wo Einwander*innen bei Ankunft mit Sozialwohnungen versorgt und Willkommensgeschenken überhäuft werden.

Wer nicht gerade den Guardian oder den Online-Independent liest, würde von der Unbill der Ankommenden auch nie erfahren. Noch am Tag, bevor wir Richtung Österreich aufgebrochen waren, hatte ich in Canterbury eine Frau Mitte 60 mit durchaus kosmopolitischem Weltbild kennengelernt, die selbst viele Jahre in Europa verbracht hatte und seit einiger Zeit hier im bisher florierenden Sprachschulen-Sektor arbeitet, der dieses Jahr mit rapide gesunkenen Teilnehmer*innenzahlen zu kämpfen hat.

Die Schuld daran gab sie eindeutig der Pandemie. Ich gab sanft zu bedenken, dass es wohl auch was mit den Einwanderungsbedingungen post-Brexit zu tun haben könnte, aber davon wollte sie nichts hören, denn die Schüler*innen kämen zumeist ganz formlos ohne fixen Plan hierher, um ihr Englisch zu verbessern und währenddessen Arbeit zu suchen.

Aber genau das, erklärte ich ihr, sei nun ja eben nicht mehr erlaubt. Vielmehr müsse nun auch ein*e EU-Bürger*in ein Jobangebot mit einem Einkommen von mindestens 25.600 Pfund (rund 30.000 Euro) nachweisen, ehe sie/er mit der Absicht zu bleiben ins Vereinigte Königinnenreich einreisen darf.

Nie davon gehört.
Und sie wollte es auch nicht recht glauben.

Dass selbst einer Sprachschul-Vermittlerin diese Dinge so überhaupt nicht bewusst sind, fand ich dann schon ziemlich bezeichnend. Nicht unwesentlich aber auch ihre Bereitschaft, die ganze Sache erst einmal auf die Pandemie zu schieben.

Tatsächlich gibt es da nämlich einen heiklen Subtext: Das Zusammenspiel zwischen mit der Seuche verbundenen Einreisebeschränkungen und restriktiver Einwanderungspolitik aus anderen Motiven.

Schließlich stehen auf der britischen roten Liste gesperrter Herkunftsnationen vor allem ärmere Länder in Afrika, Asien oder Südamerika, wo es keinen oder wenig Impfstoff gibt.

Nesrine Malik behandelte dieses Thema im gestrigen Guardian in einer gut recherchierten Kolumne, der eigentlich nichts hinzuzufügen ist.

„Wenn wir die Verbreitung des Virus so gering wie möglich halten wollen“, schreibt Malik da, „ergibt es Sinn, Bewegungen zwischen und innerhalb von Ländern einzugrenzen. Aber es wird klar, dass solche Maßnahmen in vielen Fällen nicht mit der Reduzierung von Infektionen und der Verbreitung von Impfungen abgeglichen werden. Etwas Undurchsichtigeres ist hier im Gange. Es fällt schwer, sich des Eindrucks zu erwehren, dass es da einen Wunsch gibt, nicht zu den normalen Fließrhythmen zurückzukehren, sondern stattdessen diese Gelegenheit zu nutzen, Bewegungen [über Grenzen hinweg] permanent zu erschweren. Vor allem, wenn jemandes Ausgangspunkt im globalen Süden liegt. [...] Sowohl die USA als auch das UK haben im vergangenen Jahr mehrmals die Einreise aus Ländern untersagt, deren Infektionsraten wesentlich niedriger als ihre eigenen lagen.“

Meine eigene bernsteinfarbene Einreise dagegen verlief, wie eingangs gesagt, ohne Höhe- oder Tiefpunkte. Niemand wollte die Passenger Locator Form sehen, niemand meinen Settled Status kontrollieren, und so blieb mir genügend Zeit, mir nach knapp drei Wochen Abwesenheit anzusehen, wie meine Wahlheimat sich Neuankömmlingen heutzutage so präsentiert. War schließlich meine erste Einreise seit Inkrafttreten des Brexit.

Poster Heritage is GREAT am Flughafen Heathrow

Robert Rotifer

Beim Schlangestehen an der Grenzkontrolle begrüßt einen ein riesiges Plakat mit einer hübschen Burg drauf und dem Slogan „Heritage is GREAT“. Eine dieser Parolen, die man sich erst einmal auf Deutsch vorstellen muss, um mitzukriegen, wie bizarr sie sich eigentlich anhören: „Das Erbe ist GROSS“. Groß wie (impliziert) Britannien. Es bestand ja immer schon eine gewisse Dissonanz zwischen der idealisiert idyllischen Art, wie sich diese Insel gern touristisch darstellt, und dem inoffiziellen, popkulturell urbanen, progressiv multikulturellen Gegenbild des UK. Aber diese Dissonanz war immer eine kauzige gewesen. Jetzt riecht sie dagegen ganz aggressiv nach Culture Wars.

Desgleichen will ich ja nicht eine vermeintlich kuscheligere Vergangenheit heraufbeschwören, aber nach meiner jahrzehntelangen Erfahrung war die britische Grenze früher schon ein Ort, wo sehr zivil aussehende Beamt*innen in weißen Hemden entspannt und besonnen hinter Schreibtischen saßen und sich mit Gesten respektvoller Gelassenheit in ihrem Brauen- und Mundwinkelspiel den Pass zeigen ließen.

Heute dagegen begegnet man auf dem Weg in die automatischen Sperren Pappbildern von in dunkelstblaues Cop-Blau gekleideten, bulligen Beamt*innen der Border Force. Darunter wieder so ein Slogan: „Commitment – Discipline – Respect – Moral Courage“ - „Hingebung – Disziplin – Respekt – Moralischer Mut.“

Plakat der UK Border Force in Heathrow

Robert Rotifer

Ich meine, es bedarf für diesen Job, den sich wahrscheinlich niemand je erträumt hat, sicherlich gewisser Qualitäten.
Sitzfleisch.
Die Fähigkeit, Monotonie und Mangel an Tageslicht zu erdulden.
Aber moralischer Mut?
Beim Kontrollieren der Grenze?

Nachdem ich die Sperre passiert hatte, in der Kofferhalle, sah ich dann ein überlebensgroßes Plakat der konsequent und etwas desperat vor dem biederen Ruf ihrer Vergangenheit fliehenden hyperbritischen Luxusmarke Burberry, repräsentiert vom schon sexualisierten, aber eindeutig selbstbewussten Körper einer Schwarzen Frau. Und ich dachte mir: Wie eigenartig diese Zeit, wo Corporate Wokewashing, Nationalismus und grenzpolizeiliche Macho-Posen so nahtlos ineinander übergehen?

Plakat von Burberry

Robert Rotifer

Am nächsten Tag schaute ich durch die Regentropfen auf dem Fenster hinunter auf die von all dem unbeeindruckte Londoner Straße, während ich auf den verpflichtenden PCR-Test wartete, den ich um 49 Pfund plus 6 Pfund Verschickungsgebühr bestellt hatte (umgerechnet 65 Euro, das billigste, was ich finden konnte - es hätte auch das Dreifache sein können).

Ein gutes Geschäft für die überall aus dem Boden schießenden, neuen privaten Labors von Gesundheitsversorgungsfirmen, die sich auf diese Weise auch noch ein Stückchen tiefer ins Monopol des staatlichen Gesundheitssystems vorarbeiten und dessen schleichende Privatisierung von innen weitertreiben.

Blick auf Londoner Straße durch regennasses Fenster

Robert Rotifer

Die Schachtel mit dem Testwerkzeug drin hatte noch eine Pointe zu bieten. Denn laut Absenderadresse kam sie aus Barnard Castle, genau jenem Städtchen, in welches letztes Jahr berühmterweise der damalige Regierungsberater Dominic Cummings trotz Lockdowns und Covid-Infektion mit seiner Familie gefahren war, um “seine Sicht zu testen“.

Covid-Test mit Absender "Barnard Castle"

Robert Rotifer

Realsatire ist manchmal schon auch ziemlich plump.

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