FM4-Logo

jetzt live:

Aktueller Musiktitel:

Svoboda

Charles Games

Damals, nach dem Krieg

Das tschechische Videospiel „Svoboda 1945: Liberation“ nimmt sich mit viel Empathie und Emotion eines heiklen Themas an: Der Vertreibung von drei Millionen Sudetendeutschen nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs.

Von Rainer Sigl

Es sind alte Menschen, denen ich hier gegenübersitze, mit traurigen Augen, faltigen Gesichtern und grauen oder weißen Haaren. Sie sitzen da und erzählen: Von der Schreckensherrschaft der Nazis in den Jahren, als das kleine Dorf Svoboda Teil des deutschen Reichsprotektorats Böhmen und Mähren war; von der Befreiung im Mai 1945, als der Krieg endlich zu Ende ging und in tausend kleinen und großen Grausamkeiten an den Deutschen Vergeltung geübt wurde; und wie sich kurz darauf, unter dem Kommunismus, ein weiteres Mal alles veränderte.

Das Videospiel „Svoboda 1945: Liberation“ nimmt sich mit der komplizierten Geschichte der Vertreibung der Sudetendeutschen in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg ein vermeintlich unspektakuläres Kapitel der Zeitgeschichte zum Thema und erzählt darüber aus ganz verschiedenen Perspektiven.

Opfer werden Täter, immer wieder

Der Rahmen dieses Spiels, das trotz fiktiver Handlung auf historischen Fakten und echten Lebensgeschichten beruht, ist banal: In einem kleinen Ort im Süden Tschechiens soll im Jahr 2001 eine alte Schule abgerissen werden. Als Beamter des Denkmalschutzes reise ich an, um zu prüfen, ob das Gebäude erhalten werden soll. In Gesprächen mit den Bewohner*innen des Ortes decke ich in Videosequenzen Stück für Stück auf, was in den Tagen nach Kriegsende hier geschehen ist. Bald stelle ich fest: Auch die Täter von damals sind Opfer, und beiderseitiges Unrecht ist durch Rache nicht wieder gutzumachen.

Die tschechischen Entwickler Charles Games haben schon vor vier Jahren mit ihrem historischen Spiel „Attentat 1942“ Gespür für Geschichtsvermittlung bewiesen. In „Svoboda 1945“ sind die Fronten aber nicht so klar abgesteckt wie beim Kampf des tschechischen Widerstandes während des Krieges.

Nicht alle Sudetendeutschen waren Nationalsozialisten, und die „wilden Vertreibungen“ der Monate nach Kriegsende sind ein bis heute selten thematisiertes Kapitel der deutsch-tschechischen Geschichte. Hier kommen alle Seiten zu Wort: Die damals vertriebene Deutsche, die nach einem Leben im Exil ein letztes Mal in ihre alte Heimat zurückkehrt; nach dem Krieg neu angesiedelte Tschechen, die in den leeren Dörfern nach Schicksalsschlägen und eigenen Vertreibungserfahrungen eine neue Heimat suchten; Widerstandskämpfer gegen die Nazis, die wegen deutscher Herkunft in ihrer Heimat Südböhmen von ihren Nachbarn noch jahrzehntelang zu Fremden gemacht wurden.

Schuldzuweisungen gibt es keine in diesem Spiel; am schlechtesten kommen aber noch die Profiteure des Kommunismus weg, die nicht zu selten nach dem Ende der Sowjetunion zu den Gewinnern des rasant alles verschlingenden Kapitalismus wurden.

Svoboda

Charles Games

Viel Geschichte, nicht so viel Spiel

„Svoboda 1945: Liberation“ ist ein melancholisches, ruhiges Spiel, das sein Thema durch hervorragende Schauspieler*innen und umfassende Hintergrundinfos vermittelt. Vertont ist es auf Tschechisch, die Untertitel und weiterführenden Texte sind im Moment nur auf Englisch verfügbar, eine deutsche Version soll aber in Kürze folgen.

„Svoboda 1945: Liberation“, entwickelt und vertrieben von Charles Games, ist für Windows und Mac erschienen.

Die Schauspieler*innen sind hochprofessionell, die Geschichte ist ebenso beklemmend wie spannend. Sehr interaktiv ist „Svoboda 1945“ dabei aber leider nicht: Abgesehen von einigen kurzen Minigames geht es hier eher um die Spurensuche und das Einsammeln aller Informationen, die zusammen ein überaus differenziertes Bild ergeben. Das ist ein wenig schade, denn in interaktiven Elementen ließen sich auch historische Mechanismen wunderbar abbilden und begreifbar machen. Der kurze Aufbauspielteil, in dem die Schikanen der kommunistischen Regierung gegenüber den außerhalb der Kolchosen arbeitenden Bauern thematisiert werden, vermittelt ein eindrücklicheres Bild von der Geschichte als Dutzende Seiten Hintergrundtext.

Auch wenn „Svoboda 1945: Liberation“ von ein wenig mehr interaktiven Elementen profitiert hätte, ist es dennoch empfehlenswert. Es ist spannender und emotionaler Geschichtsunterricht in ungewohnter Form und zugleich eine spielerische Möglichkeit, sein Wissen und seinen Horizont zu erweitern.

mehr Game:

Aktuell: