FM4-Logo

jetzt live:

Aktueller Musiktitel:

Campino lachende Pressefotos 2021

Daniel Hofer

Campinos erstes Buch „Hope Street“

Tausende Fans reisen tausende Kilometer, um bei seinen Konzerten dabeizusein, als Fußball-Fan wiederum reist Campino kilometerweit zu Spielen seiner Mannschaft Liverpool FC. Sein erstes Buch handelt aber von viel mehr als nur der Liebe zum Fußball. Es ist die Geschichte einer Entwurzelung und der Suche nach einer Heimat.

Von Susi Ondrušová

Der erste Fan wartet schon am frühen Nachmittag an der Prinz-Eugen-Straße vor den noch verschlossenen Toren des Theaters im Park, um sich mit Campino fotografieren zu lassen und ein Autogramm zu bekommen. An der Tür hängt ein selfmade Poster in rot-weiß-rot: „Willkommen in Wien! Campino & Kuddel“. Die beiden Musiker sind in der Stadt.

Andreas Frege aka Campino wird aus seinem ersten Buch vorlesen, er wird über sein Buch sprechen und, an der Gitarre begleitet von seinem Bandkollegen Kuddel, ein paar Songs zum Besten geben. Er wird die erste halbe Stunde seiner Veranstaltung auf einen Bildschirm schielen, auf dem das Spiel Liverpool FC vs Norwich übertragen wird. „Das ist keine starke Mannschaft“ sagt Campino im Interview lange vor Anpfiff. Welchen Tee wird er zur Feier des Tages trinken, nach seinem Lese/Konzert-Abend und dem geglückten (wie sich später herausstellt 3:0) Spiel? „Lebensfreude“ antwortet er.

Campino im Theater im Park in Wien 2021

Pascal Riesinger

Lebensfreude beim Campino-Abend im Theater im Park

Es gab viele Überraschungsmomente beim Lesen von Campinos erstem Buch „Hope Street – Wie ich einmal englischer Meister wurde“. Das Kapitel, in dem Campino erwähnt, dass er „Marketing-Opfer der Tee-Industrie“ ist und passend zur Laune mal nach der Sorte „Wild Sein“ oder „Detox Deine Seele“ oder „Frisch Verliebt“ greift, war nur ein so ein Überraschungsmoment. Man kann „Hope Street“ als Fußball-Fan lesen, wenn man Spieler-Namen und Stadion-Orte und die Relevanz der Spiele einordnen kann und man kann „Hope Street“ als Tote Hosen-Fan lesen, weil man sehr viel über das Leben von Andreas Frege erfährt. Ich gehöre zur zweiten Kategorie. Mich braucht bei der Millionshow-Frage nach „dem Abseits“ oder wer gerade wo Meister ist niemand als Joker anrufen.

Das Buch wird chronologisch mit den kleingedruckten Ergebnissen der Liverpool FC-Spiele von August 2019 bis Juni 2020 zusammengehalten. Klar, die Tore sind die eigentliche Sensation, spannend sind aber auch Campinos Aufzählungen, wo er die Spiele überhaupt geschaut wurden: Backstage auf einem Festival, im Fernsehen oder direkt im Stadion vor Ort. Das Gewinnen und Aufsteigen ist nur der Rahmen vom Buch, viel mehr geht es um die Suche nach einer Heimat. Campinos Mutter ist Engländerin, der Vater Deutscher. „Meine Orientierung nach England war, wenn ich es von heute aus betrachte, eh nie etwas anderes als eine verdeckte Liebeserklärung an meine Mutter.“

Campino im Theater im Park in Wien 2021

Pascal Riesinger

Es ist ein Aufwachsen zwischen den Kulturen, eine Suche nach einem Zuhause. Auf den Rängen im Stadion oder auf einer Konzert Bühne. „Früher war zu Hause da, wo man Weihnachten feiert. Heute ist es komplizierter“, schreibt Campino. Das „Früher“ macht das Buch so lesenswert: Früher, als es unvorstellbar war, dass eine Engländerin einen Deutschen heiratet. Früher, als es nur Festnetztelefon gab. Früher, als die Familie Frege mit dem Auto und Schiff in die Ferien nach England gefahren ist. So ist „Hope Street“ eine Biografie der etwas anderen Art. So leichtfüßig und detailreich, dass man sich wundert, wie sich Campino überhaupt an Uhrzeiten und Orte so genau erinnern kann!

Die Antwort ist recht einfach:

Campino: Ich führe tatsächlich seit vielen, vielen Jahren Tagebuch. Das hat mir auch streckenweise in dem Buch geholfen, dass ich nachschlagen konnte. Wie fühlte ich mich eigentlich 2005 in Istanbul und so? Und dann lese ich diese 3,4 Seiten drumherum und kann mich da in diese Zeit wieder zurückversetzen. Ich habe irgendwann in den 90ern angefangen, wirklich zu sagen: Für jeden Tag eine Seite. Das ist zwar völlig blöde, weil wer soll das irgendwann lesen, aber ich habe dann den Punkt überwunden, an dem man sich das fragt. Da machst du nur noch weiter, weil du es eh schon viele Jahre gemacht hast und dann denkst „Ich kann ja nicht einfach völlig zusammenhangslos jetzt aufhören“ im Jahr 2021 oder so. Deshalb ist es tatsächlich so, dass ich bis in die 80er Jahre das rein verfolgen kann und seit 1990 oder 1991 wirklich: Jeder Tag eine Seite. Und das ist ganz spannend, wenn es um konkrete Dinge geht, ansonsten natürlich viel Langeweile.

FM4: Was mich ja irgendwie überrascht hat, weil es mir eine neue Seite von dir gezeigt hat, nämlich die Geschichte der Entwurzelung, die Geschichte mit deiner Familie und das Thema Heimatort, Sehnsuchtsort. Das war eigentlich etwas, mit dem ich gar nicht gerechnet habe, dass ich in dem Buch entdecke. War das irgendwie immer klar, dass das ein Teil dieses Buches auch sein wird? Du gehst ja bis 1910 mit deiner Familiengeschichte zurück.

Campino "Hope Street" Cover

Piper Verlag

„Hope Street – Wie ich einmal englischer Meister wurde“ ist im Oktober 2020 im Piper Verlag erschienen.

Am 17.August liest Campino auf der Sommerbühne im Münchener Olympiastadion

Am 2.Juli 2022 spielen die Toten Hosen Krieau Open Air in Wien

Campino: Ich hatte ursprünglich wirklich vor, ein reines Fan Buch zu schreiben und nur diese Saison zu dokumentieren. Aber mir ist sehr schnell aufgefallen, dass ich ja erst einmal erklären musste, warum es jetzt ausgerechnet der Liverpool FC ist, dem ich so folge. Und da war ich schon mit einem Bein drin in der Familiengeschichte. Ich habe erst mal die englische Seite beschrieben und fand dann, dass das Gleichgewicht nicht mehr stimmt wenn ich nicht auch über meine deutsche Familie berichte. Und in beiden Fällen war das so, dass mir das unheimlichen Spaß gemacht hat in alten Briefen rum zu wühlen und wie so eine Art Puzzlespiel die einzelnen Puzzleteile zusammenzufügen. Und so habe ich eigentlich meine eigene Familienhistorie nochmal in einer Gründlichkeit untersucht und beleuchtet, die ich mir sonst im Leben nicht erlaubt hätte. Ich muss sagen, für mich war die Sache ein Gewinn, schon bevor das Buch überhaupt veröffentlicht war, weil ich dadurch halt unheimlich viel schöne Dinge nochmal erfahren habe über meine Großeltern und so. Insofern bin ich mit dem Buch auf Entdeckungsreise gegangen.

FM4: Am Anfang vom Buch beschreibst du, wie du die englische Staatsbürgerschaft bekommst. Ich war überrascht, dass es dir dann doch so wichtig war. Ich frage mich auch die ganze Zeit „Welchen Pass hab ich? Welche Staatsbürgerschaft hab ich? Was bedeutet das, wählen zu dürfen? Oder nicht zu dürfen? Was ist die EU?“ Solche Fragen. Und ich dachte während dem Lesen, ich muss dich unbedingt fragen, warum es dir so wichtig ist. Aber am Ende hab ich mir gedacht: Vielleicht muss man es einfach gelten lassen. Vielleicht kann man dieses „Was das Papier bedeutet“ und das beim Amt sein und sagen „Ich habe die britische Staatsbürgerschaft“, vielleicht kann man das einem Außenstehenden nicht erklären.

Campino: Naja, es geht sogar um ein bisschen mehr. Wir haben ein ganz konkretes Beispiel vor Kurzem gehabt, wo die Briten gesagt haben, wir lassen jetzt erstmal niemanden aus Europa rein, wegen der unübersichtlichen Corona Lage und so weiter. Und das wäre für mich unerträglich, da an der Grenze zu stehen und jemand sagt „Du nicht!“ weil das ist der Moment, indem man also sich selber hinterfragt ist das wirklich mein Zuhause? Und da tut mir das dann schon gut zu sagen „Moment mal, also ich gehöre irgendwie auch dazu!“ Und da war das dann plötzlich mehr als nur so was „Symbolisches“.

Tatsächlich ist das für mich, glaube ich, in meiner Kindheit so tragisch gewesen, dass ich eben im Gegensatz zu meinen Geschwistern keinen englischen Pass hatte, den deutschen Namen verpasst bekommen hab und so und man mich in meinem englischen Gefühl überhaupt nicht ernst genommen hat. Auch die Nachbarskinder nicht. Wenn dann England gegen Deutschland war und ich habe natürlich zu England gehalten, dann haben die immer gefragt „Hää, wieso hältst du zu England?“ Und ich war unter so einem Beweisdruck, der mich wahnsinnig genervt hat und anscheinend auch im Unterbewusstsein brutal geprägt hat. Und deshalb ist mir das bis heute ein Anliegen gewesen. Und jetzt, wo ich den Pass auch habe und das alles klar ist und auch bewiesen werden kann sozusagen. Jetzt bin ich schon deutlich entspannter. Jetzt bin ich auch mit Großbritannien viel kritischer. (lacht)

Campino lachende Pressefotos 2021

Daniel Hofer

FM4: Was glaubst du, welcher Art von Fußball-Fan oder Liverpool-Fan wärst du, wenn deine Biografie nicht wäre, dass du der Sänger einer sehr bekannten Band bist und das Geld hast, nämlich auch dann nach Katar zu fliegen zu einem Spiel. Das ist halt schon ein großer Luxus, wo du Seiten siehst, die andere Fans nicht sehen.

Campino: Ich glaube, dass ich vom Fantum her kein bisschen anders wäre. Ich bin ja Liverpool Anhänger, seitdem ich zwölf war, und bis ich irgendwie Ende zwanzig war, habe ich nie viel Geld in der Tasche gehabt und trotzdem meinen Verein geliebt. Ich konnte vielleicht nicht häufig zu Spielen fahren, aber das stört das Fantum ja nicht, es geht ja immer um diese Sehnsucht und die wenigsten von uns können das ausleben und jedes Mal dabei sein. Also das spielte eigentlich nicht die Rolle. Natürlich sind die Erlebnisse heute andere, wenn ich mit Jürgen Klopp irgendeinen Quatsch erlebe. Aber ich habe genauso viel gelacht auf den ganz normalen Auswärtsfahrten. Und ich fahr übrigens auch sehr gerne allein, immer noch zu Spielen und da ist kein Freund mit dabei oder so. Sondern dann bin ich einfach nur Beobachter oder irgendein Anonymer Typen mit einem roten Hemd wie alle anderen auch und steh da am Fish&Chips Stand wie alle und genieße das auch. Für mich hat diese Anonymität auch ein sagenhaftes Vergnügen, weil ich das in Deutschland vielleicht so nicht leben könnte. Auch bei Fortuna nicht. Da würde ich im Steh Block dauernd angequatscht werden, was ja auch nicht schlimm ist! Aber in Liverpool achtet halt niemand auf mich und dann ist man einfach nur „one of the lads“ und das macht halt nach wie vor ungeheuren Spaß.

FM4: Fansein hat ja nicht nur mit Erinnerungen zu tun und Erlebnissen und Bekanntschaften, die man macht, sondern auch mit tatsächlich haptischen Dingen. Was ist das Wertvollste - und da geht es jetzt überhaupt nicht ums Geld - aber was ist das wertvollste Liverpool-„Teil“, das du besitzt?

Campino: Ich hab für meinen Sohn ein Baby-Trikot bekommen mit den Unterschriften der ganzen Mannschaft. Damals mit Steven Gerrard und Owen und Didi Haman. Das hat mir sehr viel bedeutet. Viel, viel mehr als meinem Jungen, dem war das alles völlig wurscht. Ich hab tatsächlich von Jürgen die Final Teilnehmer Medaille bekommen aus Kiew, wo sie gegen Real Madrid verloren haben und er wollte die nicht mehr. Er wollte sie einfach nicht um seinen Hals hängen haben und hat die mir dann noch in der Nacht gegeben. Die bedeutet mir wiederum sehr, sehr viel. Das ist ein schönes Freundschafts-Zeichen. Und vor allem kann jetzt Jürgen die auch wieder besser angucken, nachdem er ein Jahr später dann die Champions League gewonnen hat. Da gibt es schon so kleine Erinnerungsstücke. Manche Karten erinnern mich an tolle Reisen nach Shrewsburry. Zu den verrücktesten Orten. Ich stelle fest, dass es nicht immer nur die großen Spiele mit Grandesse sind, gegen Bayern München oder Manchester City, sondern dass das durchaus auch so Pokal-Spiele sind aus der siebten Runde, die überhaupt keine große Bedeutung haben. Da stehe ich eigentlich am meisten drauf, da gehen die Raritäten los.

FM4: Was du im Buch beschreibst dieses Gefühl, dass man als Fan etwas bewirkt und der Mannschaft Glück bringt im Stadion. Rational ist das natürlich nicht zu erklären.

Campino: Naja, klar. Aber es ist eben nicht nur Einbildung, weil die Möglichkeit besteht ja immer an. Du nimmst eine Cola-Dose und wirft sie auf einen Platz. Was meinst du, wie schnell du rausfliegst? Also plötzlich merken viele Leute und auch die vom Fernseher „Da ist jemand“ also du bist ja de facto da und du kannst das beeinflussen. Wir sind ja alle zivilisiert genug, dass wir das nur verbal tun, aber wir beeinflussen die Stimmung an dem Abend, so wie die Fans bei einem Konzert das tun, wenn sie jubeln oder wenn sie buhen oder den Mittelfinger zeigen oder irgendwie sowas. Es kann Reaktionen auslösen. Natürlich, manche auf der Bühne sagen dann „Jetzt erst recht!“, andere lassen sich irritieren. Aber wir spielen auf jeden Fall unsere kleine Rolle. Deutlich mehr, als wenn wir nur vorm Fernseher hängen würden.

Campino im Theater im Park in Wien 2021

Pascal Riesinger

FM4: Fußballfan ist man genauso wie Musikfan ein Leben lang. Im Buch kommt eine Diskussion mit einem Freund von dir vor, wo es darum geht, dass du erklären muss, warum es dir jetzt „richtig wichtig ist“ ein Spiel zu sehen. Ich glaube, das ist eine Situation, in der schon ganz viele Fans waren. Ob das ich bin, die zu Radiohead fährt oder ein Fan da draußen, der 1000 km nach Wien zu deinem Gig gefahren ist. Wir werden zuhause gefragt: „Warum machst du das?“

Campino: Ich glaube, so lange man irgendetwas verfolgt mit Leidenschaft, ob das Malen ist, ob das Musik oder Fußball ist, dann wird das in dem Moment spannend, wo es emotional wird. Alles andere ist für mich auch langweilig. Mir geht es immer um Begegnungen und mir geht es um eine Emotionalität und das kann man zusammen so erleben und das steht über jedem sachlichen Argument, ob das jetzt Quatsch ist oder nicht. In diesem Zusammenhang muss ich sagen: Wir haben jetzt anderthalb Jahre mit Corona verbracht, sind immer noch gewohnt, dass uns dieser Virus durch die Gegend schubst, dass wir täglich irgendwo lesen müssen, welche Bestimmungen gelten denn heute eigentlich. Und wir als Band wir hoffen so sehr, dass wir das Thema nächstes Jahr zumindest im nächsten Sommer so im Griff haben, dass wir z.B. auch hier in Wien spielen können. Es haben schon so viele Leute Tickets geholt und wir freuen uns darauf. Und natürlich würde ich auch heute Abend viel lieber richtig Radau machen und mit allen tanzen und schwitzen und singen. Aber man muss die Realität so nehmen, wie sie ist. Und da ist das heute eine tolle Begegnung mit allen Menschen, so dass man sich zuwinken kann, dass wir gegenseitig wieder sehen, dass wir da sind. Und das ist dann schon eine ganz gute Alternative, wenn sonst nichts erlaubt ist.

mehr Buch:

Aktuell: